Feierliche Überreichung des Goethepreises 2017 im Kaisersaal des Frankfurter Römers, Teil 1/3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß die große französische Theaterfrau Ariane Mnouchkine den mit 50 000 Euro angemessen dotierten Goethepreis, der nur jedes dritte Jahr verliehen wird, für das Jahr 2017 erhält, war schon länger bekannt. Nun fand die Feier dazu im Frankfurter Römer statt.
Wer nicht da war, war die Preisträgerin. Aber aus wirklich gutem Grund. Denn sie weilt mit ihren 78 Jahren derzeit für lange Zeit in Japan, wo sie an die Wurzeln ihrer Theaterauffassung , Dramaturgie und Methoden anknüpft, als sie nämlich vor Jahren dort ergriffen wurde von dem, was dann in Europa als „Théatre du Soleil“ bekannt wurde, das die Studentin Mnouchkine 1964 mit Kommilitonen gegründet hatte. Es ist nicht leicht, die Faszination ihrer Aufführungen mit Worten zu beschreiben, weil es weder um den Inhalt geht, auch nicht um die ausgezeichneten Schauspieler, auch nicht die Requisiten - zumindest nicht allein - , sondern um ein Gesamtkunstwerk (so hätte selbst Richard Wagner diese völlig andersgeartete Aufführungstheorie und -praxis genannt). Jedes der bisher 36 Theaterstücke, die in der Regel viele viele Stunden dauern und derzeit von einem Ensemble von 35 Männern und Frauen aufgeführt wird, führt trotz unterschiedlicher Thematik zum selben Ergebnis: eine tiefe Erschütterung erfaßt den Zuschauer, der für sich am Ende denkt, daß er ein anderer geworden ist, als er vor dieser Aufführung war.
In der Tat knüpft sie mit ihrer Theaterarbeit, die eindeutig Vorbilder im japanischen No-Theater und anderer fernöstlichen Aufführungspraxen hat, damit an die antike Tradition der Katharsis an. In der griechischen Tragödie sind auf der Bühne die Schauspieler stellvertretend für das Publikum in die abgrundtiefen Fallstricken des Lebens verwickelt, sind systematisch moralisch und ethisch vernichtet, weil sie alle Stadien von existentiellen Gefühlen durchlaufen haben und durch die Götter gestraft worden sind, weil alleine das Zuschauen in diesen Menschen dieses Gefühl von Selbsterleben, Selbsterleiden, Selbstbestrafen, was erst Weiterleben legitimiert, hervorruft, eine Grundreinigung der Seele, also eigentlich auch das, was die Psychoanalyse herstellen will, dazu allerdings viele Jahre braucht, zudem sehr viel teurer ist.
Die Wirkung dieser Aufführungen durch das Théatre du Soleil konnte ich mehrmals erfahren, wobei gar nicht die Aufführungen in Paris die aufregendsten waren – sehr angemessen in einer aufgelassenen Halle für die Produktion von Zündern für Kanonen , draußen in Vincennes, sowieso ein historischer Ort. Also nicht dort waren die allertiefsten Eindrücke, sondern in Wien, wo während der Festwochen im Mai das Théatre du Soleil mehrfach auftrat und uns in einen fünfstündigen Rausch versetzte, der noch lange anhält. Natürlich gibt es einige Stücke, die unter all den guten Stücken herausragen. Das gilt auch für die Aufführungen, die ich in München sehen konnte. Aber alles in allem, wird für mich Ariane Mnouchkine mit ihren Theaterleuten in Wien zu Hause bleiben.
Das ist nur eine grobe Erklärung, warum uns diese französische Theaterdame so vieler Artikel wert ist. Sie selbst sandte eine Grußbotschaft, die im Kaisersaal des Römers als Video über die Leinwand ging, der alle mucksmäuschenstill lauschten – noch dazu auf Französisch- und die sinnvollerweise auf drei Seiten im ausliegenden Programm auf Deutsch übersetzt war, wobei kaum einer in dieses Blatt hineinschaute, sondern an den Lippen der grauhaarigen Prinzipalin hing, obwohl ich überzeugt bin, daß die Anwesenden nicht alle des Französischen mächtig sind. Aber auch ein Video kann eben eine Aura vermitteln.
Weil diese Dankesrede so interessant ist, werden wir in einem dritten Artikel daraus Auszüge veröffentlichen. In einem zweiten soll ordentlich der Ablauf dieser intensiven Feier geschildert werden.
Hinzuweisen ist zudem erneut auf den Filmabend des naxosKinos, der am Dienstagabend ab 18.30 Uhr in der laufenden Serie GROSSE THEATERFILME den Film von Ariane Mnochkine zeigt, den sie 1978 herausbrachte: MOLIÈRE – Théatre du Soleil. Der Film dauert 240 Minuten, im Original Französisch mit deutschen Untertiteln. Theaterleiter Willy Praml, der sie persönlich gut kennt, gibt eine Einführung in ihr Leben und Werk.
Fortsetzung folgt
Foto: Verleihung des Goethepreises an die abwesende Theaterintendantin Ariane Mnouchkine © Stefanie Kösling