wm 1 Sebastian Koch 2011HAMBURGER THEATER FESTIVAL, OKTOBER 2017, Teil 1/2

Wolfgang Mielke

Weltexpresso (Hamburg) - Für alle Theaterfreunde Hamburgs bedeutet das 2009 gegründete und jeweils im Herbst stattfindende "Hamburger Theater Festival" ein Aufatmen: Wenigstens ein Mal im Jahr hier gutes Theater sehen können! Nilolaus Besch, Ernst Peter Komrowski, Emanuel Eckardt, Anja Michalke und Claudia Remus leisten hier Großartiges, unterstützt von sehr zahlreichen Sponsoren und Förderern – und durch die Auswahl von jährlich etwa 10 – 12 auffällig guten Theater-Produktionen.

Produktion heißt in diesem Fall "Hervorbringung" – und meint zu allererst die künstlerische Leistung. Das bezeichnet auch den Unterschied zum Berliner Theatertreffen: das zwar konziser stattfindet, nämlich innerhalb von ein oder eineinhalb Wochen, während das Hamburger Theater Festival sich über etwa 6 – 7 Wochen von Ende September bis Anfang November ausdehnt; dafür werden hier aber ausschließlich Aufführungen eingeladen, die künstlerisch überzeugen, während das Berliner Theatertreffen seit vielen Jahren ein vorwiegend vom theaterpolitischen Kalkül zusammengesetztes Treffen geworden ist.

Denn dass man, wie bei einer Olympiade, komprimiert die besten Theateraufführungen des deutschsprachigen Raumes jeweils im Mai in Berlin zu sehen bekam, ist seit über 20 Jahren vergangen. Ob das "Hamburger Theater Festival" den Anspruch hat, ebenfalls sozusagen einen Extrakt der besten Aufführungen repräsentativ zu zeigen, muss offen bleiben; die Auswahl kann auch willkürlich treffen, aber doch immer nur Aufführungen, die künstlerisch zu beeindrucken und nachhaltig zu überzeugen vermögen.

wm 2 Nicola Perscheid Paul Hartmann 1925 mit 36 JahrenAuf dem diesjährigen Programmheft "- Das Magazin - " des Festivals ist Sebastian Koch zu sehen. Sein Fach ist das des schönen Mannes und jugendlichen Helden, aber längst auch schon das des Charakterspielers geworden. Über Paul Hartmann (1889 – 1977), dem selben Fach angehörend wie Sebastian Koch, hieß es in einer "Kabale und Liebe"-Kritik einmal, dass ein Schauspieler, der bereits den Präsidenten spielen könne, nicht mehr die Rolle des Ferdinand, also des jugendlichen Helden, zugeteilt bekommen sollte. Sebastian Koch befindet sich an genau diesem Punkt, strahlt aber doch auch noch so viel Jugendlichkeit aus, dass man meint, ihn noch vor dieser imaginären Linie zu sehen.

Der Abend aber bedient genau diese beiden Möglichkeiten:

Jugendlichkeit passt zum Prometheus, dem antiken Aufbegehrer gegen die Götter. Die Texte, die zu hören sind, wurden teilweise vor der Aufführung aufgenommen und werden nun parallel vom Band gespielt; überwiegend aber werden sie, - und das ist das Entscheidende -, in der Gegenwart der Aufführung von Sebastian Koch, auf einem schwarzen Podium an einem kleinen Tisch vorgelesen, der noch vor die eigentliche Orchesterbühne über die ersten Zuschauerreihen gebaut wurde.

Die verschiedenen Autoren-Namen der Texte werden an eine eckig aufgestellte Leinwand-Gruppe geworfen. Auch verschiedene Bildreihen sieht man über diesen kastenartigen Leinwandeinbau huschen.

wm 3 Will Quadflieg 1942 mit 28 JahrenManches dabei spricht Sebastian Koch so, wie man es noch nicht gehört hat: Nicht jugendlich-heldenhaft, wie es noch Will Quadflieg (1914 – 2003) – übrigens bis in Alter - tat, - sondern vor allem nachdenklich, nachsinnend. So etwa das bekannte Goethe-Gedicht "Prometheus". Das bedeutet keine Beeinträchtigung. Vielleicht sogar im Gegenteil. Ich fragte mich währenddessen, wie wohl die strahlend-heldenhafte Version heute hier, in der Laeiszhalle-Musikhalle, gewirkt haben würde.

Aber auch ganz andere Autoren kommen zu Wort. Die ganze Veranstaltung erinnerte mich in der Konzeption, was die Verbindung der Texte angeht, an das "Troja"-Projekt von Matthias Hartmann (*1963) und Amely Joana Haag, das 2013 auch auf dem "Hamburger Theater Festival" (in der Kampnagel-Fabrik) gezeigt wurde. Bei "Troja" wurde ein Textbogen aus den Texten der verschiedenen Autoren geformt, die über den Trojanischen Krieg geschrieben haben, selbst aber jeweils nur Teilaspekte herausarbeiteten und verwendeten. "Troja" nun also schuf den ganzen Ablauf, soweit er uns bekannt ist, in eine versammelt dramatische Form gebracht. - In "Prometheus/Egmont" tritt nur ein Schauspieler auf, flankiert teils von der Sängerin Marie Arnet. Und die Sprache des Schauspielers tritt nicht nur in Dialog mit dem Publikum, sondern auch in einen Dialog mit der Musik.

Musik ertönt: Nämlich Beethovens "Egmont"-Ouvertüre opus 84 von 1810. Dirigent Martin Haselböck (*1954), der, um beim Thema zu bleiben, auf der Bühne einen viel jüngeren Eindruck macht, leitet das Orchester Wiener Akademie. Die "Egmont"-Ouvertüre wird ganz vorgespielt; später ertönen aber mehrmals wieder Teile daraus und werden gegen den jeweiligen Text gestellt, so dass ein Spannungsverhältnis entsteht, das den Schauspieler zwischen Orchester und Publikum fordert.

"Das ist es, was mich an dem Abend gereizt hat, der intensive Dialog zwischen Musik und Sprache", erzählt Sebastian Koch, der sich auch in diesem, im Programmheft abgedruckten Gespräch wieder als kluger Mensch und Gesprächspartner erweist. Wichtig für seinen Charakter scheint mir, dass er sich bemüht hat, sich nicht zu wiederholen. Eine Serienrolle wäre nichts für ihn. Und er vermeidet, sich abstempeln und in eine Rollenschublade pferchen zu lassen.

Nicht nur Goethes "Prometheus" aus den Jahren 1772 – 1774, jener dichterischen Epoche, die als "Sturm und Drang" bezeichnet wird, ist zu hören. Auch Aischylos' (525 – 456 v. Chr.) "gefesselter Prometheus" wird verwendet. Ebenso "Prometheus"-Texte von Ovid (43 – um 17 n. Chr.), der dessen Verwandlung in seinen "Metamorphosen" nachspürt; Byron (1788 - 1824) und Shelley (1792 – 1822), der 1818 das Drama "Prometheus unbound", auf Deutsch etwa "Der entfesselte Prometheus", schrieb. Auch seine Ehefrau übrigens verwendete die antike Gestalt des Prometheus, nämlich in ihrem Roman "Frankenstein oder Der moderne Prometheus", der ebenfalls 1818, allerdings anonym, erschien, aber bereits in dem wegen des Ausbruchs des indonesischen Vulkans Tambora in Europa als "Jahr ohne Sommer" bezeichneten Jahr 1816 geschrieben worden war.

Zum Schluss dieses ersten Teils kommt auch Franz Kafka (1883 – 1924) noch zu Wort, der die Entwicklung des Prometheus, der die Menschen gegen den Willen der Götter die Beherrschung des Feuers lehrte und dafür grausam bestraft wurde, in vier kurze Entwicklungsstufen aufgliedert, klar und übersichtlich - wie in fast allen seinen doch letztlich – und vielleicht gerade deshalb? - immer wieder so geheimnisvollen Texten.

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