hwk 4und „Eine Winterreise“ im Tanzfestival Rhein-Main

Hanswerner Kruse

Darmstadt / Wiesbaden (Weltexpresso) - In Darmstadt begann mit dem Gastspiel „Gute Pässe, schlechte Pässe“ der freien Choreografin Helena Waldmann das zweite alljährliche „Tanzfestival Rhein-Main“ im Herbst. In Wiesbaden endeten die Festspiele vor Kurzem mit dem Tanztheater „Eine Winterreise“ des Hessischen Staatsballetts, das aber weiterhin gezeigt wird.

Vor drei Jahren wurden die Darmstädter und Wiesbadener Ballette fusioniert, um durch die Einsparungen das Angebot des zeitgenössischen Tanzes mit Gastspielen und Residenzen zu erweitern. „Aufwind“ hieß das erste programmatische Triptychon des Staatsballetts mit einem Stück des neuen Choreografen Tim Plegge und zwei Arbeiten externer Tanzkünstler. Die weiteren Produktionen gaben dem Tanz in beiden Städten tatsächlich starken Aufwind. Neu ist auch die Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Mousonturm, der für experimentelle Tanzkunst bekannt ist.

hwk 17 111In Waldmanns Stück begegnen sich zu elektronischer Musik Tanzende und Artisten, die sich trotz großartiger Bewegungs- und Akrobatikkünste nicht akzeptieren können: Zwei ungleiche Kulturen prallen aufeinander, dabei entstehen Aggressionen und Kämpfe, in denen die Akrobaten auf der Strecke bleiben. Diese künstlerische Allegorie aktueller politischer Entwicklungen gleitet dabei weder in Kitsch noch in moralische Belehrungen des Publikums ab.

„Ein Wintermärchen“ nach Franz Schubert (1797-1828) ist der bekannteste Liederzyklus der Romantik. Hans Zender (*1936) reicherte ihn in seiner kompositorischen Interpretation mit zeitgenössischen Orchesterklängen an. Seine Musik mit den klassischen Liedern liegt dem Erzählballett Tim Plegges zugrunde, das in einer großen Hotellobby auf der Bühne beginnt: Sieben Menschen stehen oder sitzen dort wie eingefroren. Der livrierte Hotelportier tanzt ein unterwürfiges Solo. Zwei Wanderer mit Rucksäcken tauchen auf. „Fremd bin ich eingezogen / Fremd zieh ich wieder aus“, singt der eine, während der andere einen Pas de Deux mit dem Portier beginnt. Die Figur des Wanderers - der seine Geliebte verlor - aus Franz Schuberts „Winterreise“, ist neben dem Sänger (Simon Bode) durch den Tänzer (Ramon John) verdoppelt. Irgendwann fangen die übrigen Gestalten an sich zu bewegen, umwinden die Wanderer oder bekämpfen einander in recht konventionellen Tänzen.

Diese sieben Tänzerinnen und Tänzer symbolisieren als „Rastlosigkeit“, „Kälte“ oder „Wahnsinn“ mit entsprechenden Bewegungen die inneren widerstreitenden Persönlichkeiten des Wanderers. Gelegentlich taucht dessen verlorene Liebe im blauen Kleid auf, einmal irrlichtern durch die Lobby alle Tänzerinnen des Ensembles in blauen Kleidern - der Farbe der Romantiker. Im Halbdunkel scheinen gelegentlich Erinnerungen und Fantasien des Wanderers in berührenden erotischen Tanzszenen der Compagnie auf. Der Tenor bewegt sich oft mit dem Ballett und ist, durch seine Gesänge, häufig präsenter als der zweite Wanderer mit seinen spinnenartigen Tanzbewegungen.

Durch die großartige Einspielung des Wiesbadener Staatsorchesters (Leitung Benjamin Schneider), den exzellenten lyrischen Tenor und die alten bewegenden Liedertexte ist der konzertante Teil der Aufführung mitunter spannender als die Choreografien. Die wirken bisweilen recht bieder oder wie getanzte Pantomimen. Ein dichtes Gesamtkunstwerk entsteht erst nach der Pause, in der sich Schuberts zweites Thema Todessehnsucht - nach dem Liebesleid - angemessen mit Musik, Gesang, Text, Kostümen und modernem Tanz verwebt.

Foto:
Das Ensemble in blau, der Farbe der Romantiker, mit dem singenden Wanderer (Bariton Simon Bode
Ein spannendes Solo der „Kälte“ (Tatsuki Takada), einem Teil der Persönlichkeit des Wanderers, beide © Regina Brocke

Info:
Aufführungen „Eine Winterreise“ in Wiesbaden 30. November, 2. und 29. Dezember. In Darmstadt 11. / 17. / 24. / 30. November sowie 8. / 16. / 22. / 25. Dezember.

www.hessisches-staatsballett.de