Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Partei, die Deutschlands Geist und Moral besiegen möchte, die AfD, setzt sich offensichtlich aus zwei Flügeln zusammen:
Zum einen den Ewiggestrigen, denen entweder die Zivilisation abhandenkam oder die sie nie besessen haben. Und zum anderen den nach eigener Einschätzung Konservativen, die vorgeben, nationale Werte neu beleben zu wollen, aber die wirklichen Errungenschaften Deutschlands, die geistigen und ethischen, bewusst negieren und verschweigen. So sind die einen und die anderen vereint im Ungeist und hetzten gemeinsam gegen das kulturelle Erbe des Landes. Hierzu mobilisieren sie den Pöbel mit dem Ziel, einen anti-sozialen Ständestaat errichten zu können, dessen Wirtschaft neoliberal geprägt, dessen Kulturverständnis auf Blut (Rasse) und Boden (Privateigentum) beruhen und dessen Außenpolitik nationalistisch, revanchistisch und hegemonial sein würde.
Die Frankfurter Kulturinitiative PRO LESEN, die zehnmal im Jahr die Literatur vom Kopf auf die Füße stellt und nach ihrer Bedeutung für die Wirklichkeit fragt, widmet sich in ihrer März-Veranstaltung im Bibliothekszentrum Sachsenhausen dem Kleinbürgertum und seinem Hass. Denn auf den Vorurteilen des Kleinbürgers sowie des Proletariats, das seine Verelendung fürchtet, wächst erneut Hass gegen das Andere und das Fremde.
Die Phänomene sind indes nicht neu und die Literatur setzt sich seit Jahrzehnten mit ihnen auseinander.
Ödön von Horvath hat in seinem Roman „Der ewige Spießer“ den Prototypen des neuen, des republikanischen Spießbürgers beschrieben, den er nach dem Ersten Weltkrieg beobachten konnte. Dieser sei dumm, skrupellos, unverhohlen egoistisch und ohne jedes gesellschaftliche oder politische Bewusstsein.
Geblättert haben die Lesefreunde auch bei Heinrich Mann, speziell in dessen Essays „Der Hass – Deutsche Zeitgeschichte“, die er unmittelbar nach seiner Emigration im Februar 1933 verfasste und im Querido Verlag, Amsterdam, und bei Gallimard, Paris, veröffentlichte. In diesen Beiträgen nimmt er sich die führenden NS-Gestalten vor, insbesondere Goebbels, Göring und Hitler.
Über Goebbels notierte er: „Er atmete Hass, er verpestete damit die Luft, wohin immer er kam, die Luft der Säle, der Plätze, des ganzen Landes. Er zappelte sich nicht allein ab, alle Nazi-Agitatoren haben nichts weiter getan, bevor sie zur Macht kamen, und bleiben auch jetzt noch dabei. Aber er war mit am besten ausgestattet für den Hass. [...] Da steht er denn angesichts der riesigen Menge, die auf ihn hört und mitgeht; reißt einen gleichfalls riesigen Mund auf und entlässt Ströme von Hass.“
Und er konstatierte: „Die am wenigsten Zivilisierten werden niemals fertig werden mit einer ganzen, vorgeschrittenen geistigen Kultur und mit sozialen Gefügen, die aufgebaut waren auf dem Begriff der Menschenpflicht, füreinander einzustehn. Dazu braucht es Überläufer.“ Und die nahm er wahr im angepassten Bürgertum, das sich eigene politische und wirtschaftliche Erfolge vom NS-Staat versprach.
Zwei Jahrzehnte danach und kurz nach dem Ende eines weiteren Weltkriegs schrieb der Schweizer Dramatiker Max Frisch ein „Lehrstück ohne Lehre“, nämlich das Schauspiel „Biedermann und die Brandstifter“, dessen Hörspielfassung 1953 im Bayerischen Rundfunk zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Fünf Jahre später, im März 1958, wurde die Bühnenfassung im Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt.
Frisch entlarvt das konformistische Denken weiter Teile des Bürger- und Kleinbürgertums als Versagen vor dem politisch Gebotenen. Und geboten war laut Frisch nach den Erfahrungen von NS-Gewaltherrschaft und Zweitem Weltkrieg die uneingeschränkte Verneinung von Unmoral und von nicht demokratischer Herrschaft. Die Spießermentalität des Besitzbürgertums wäre sogar erneut dazu bereit, mit neuen politischen Brandstiftern gemeinsame Sache zu machen, solange ihre Pfründe dadurch nicht gestört würden.
Im Stück lässt er einen Chor aus Feuerwehrleuten sagen: „Blinder als blind ist der Ängstliche, zitternd vor Hoffnung, es sei nicht das Böse. Freundlich empfängt er’s, wehrlos, ach, müde der Angst, hoffend das Beste...bis es zu spät ist.“
Zwischen die Beispiele aus der Literatur platziert PRO LESEN Erkenntnisse des Sozialpsychologen Erich Fromm. In seinem Buch „Flucht vor der Freiheit“, das 1941 erschien, zu einem Zeitpunkt, als der verhängnisvolle Weg Nazi-Deutschlands endgültig jedem klar sein musste, beschrieb er den geistigen Konformismus, der keine Andersdenkenden und keine pluralistische Welt verträgt und autoritäre Charaktere hervorbringt. Die Ablehnung alles Fremden sei typisch für diese Entgleisung der menschlichen Gesellschaft, die eine potenziell faschistische sei.
PRO LESEN wird in seiner „Donnerstagabend-Lesung“ rund um den Büchertisch im Bibliothekszentrum Frankfurt-Sachsenhausen Ausschnitte aus Heinrich Manns Essays, aus Horvaths Roman und aus Fromms Untersuchung vortragen. Im Mittelpunkt des Abends steht eine szenische Lesung aus Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ in der Hörspielversion von 1953.
Foto:
Titelbild des Programmhefts „Literatur & Kultur“, das im PDF-Format kostenlos angefordert werden kann: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
© PRO LESEN e.V.
Info:
PRO LESEN-Themenwoche vom 19. – 24. März 2018 im Bibliothekszentrum Frankfurt-Sachsenhausen, Hedderichstr. 32. Diese besteht aus einer Buchausstellung und der Donnerstagabend-Lesung am 22. März, Beginn 19:00 Uhr. Der Eintritt ist frei.
PRO LESEN-Themenwoche vom 19. – 24. März 2018 im Bibliothekszentrum Frankfurt-Sachsenhausen, Hedderichstr. 32. Diese besteht aus einer Buchausstellung und der Donnerstagabend-Lesung am 22. März, Beginn 19:00 Uhr. Der Eintritt ist frei.