wm 1WELTBÜRGERTUM ODER BÜRGERTUM IM IRGENDWO: WOZU HEIMAT?, Teil 1/3

Wolfgang Wartenberg

Weltexpresso (Hamburg) -  So lautet der Titel einer Veranstaltung im Bucerius Kunst Forum in Hamburg. In dem ehemaligen Gebäuder der Vereins- und Westbank in Hamburg – und gleich neben dem Rathaus. So weit zur (heimatlichen) Topographie ... ---- "Mind the gap" – heißt es an vielen Stationen, wenn man in London mit der U-Bahn unterwegs ist. Gemeint ist: "Achten Sie bitte auf die Lücke zwischen Waggon und Bahnsteig." 

Der Hamburger Verkehrsverbund hat diesen Hinweis, und, - wir sind in Hamburg -, natürlich ebenfalls auf Englisch, für manche Bahnhöfe in die Lautsprecherdurchsagen eingefügt. Zuvor allerdings war diese Warnung schon in Berlin, auf der älteren Linie durch die Stadtmitte, längst zu hören. - "Mind the gap" steht direkt nicht als Motto über diesem Abend, sondern das noch weitergehende Motto dieser Veranstaltung heißt: "Bridging the Gap". Also: Auf die Kluft soll nicht nur geachtet werden; man arbeitet vielmehr daran, sie zu überbrücken. Und das seit 20 Jahren. - Denn entstanden ist diese Aufforderung in Zusammenhang mit dem Israel Museum, einer Institution, die die Gegensätze zwischen den Palästinensern und den Israeli überbrücken will, um sie langfristig ganz aus der Welt zu schaffen. Das ist ein sehr langer Weg. Denn: 'Nichts ist unerbittlicher als der Kampf unter Familienmitgliedern', wie sinngemäß einmal ein kluger Mensch geäußert hat.

Kluge Köpfe sind jeweils auch die Gäste dieser Gespräche zur Überbrückung von Gegensätzen. Natürlich: Gespräche sind keine Taten; aber immerhin bedeutet es schon einen Vorteil, über Probleme reden zu können, auch wenn damit noch längst keine Lösungen geschaffen werden. Wie eingangs gesagt: Ein langer Weg.

Im Veranstaltungsprogramm des Bucerius Kunst Forum (und der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius) wird diese Veranstaltung neben einem kurzen Text mit zwei Fotos beworben: Mit einem kleinen der Gesprächsleiterin Dr. h.c. Sonja Lahnstein-Kandel, die gleichzeitig die Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Israel Museums ist; und mit einem großen von Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, der vor allem durch TV-Diskussionsrunden bekannt wurde.

Er zieht natürlich das meiste Publikum an. Und auch ich bin hingekommen, um diesen Mann einmal 'live' zu erleben. Die Wirkung eines Menschen im Fernsehen ist manchmal eine völlig andere als in der räumlichen Gegenwart. Ebenso oft aber ist es eher ein 1:1-Verhältnis. Telegenität ist nicht erlernbar. Die Wirkung fällt so oder so aus, das liegt nicht bei uns. Helmut Schmidt zum Beispiel wirkte in natura nicht anders als auf dem Fernsehschirm. Ebenso Norbert Blüm oder Heiner Geißler. Helmut Kohl hatte in natura eine völlig andere Wirkung: Tumb im Fernsehen, in natura brutal, selbstsicher, zielbewusst. - Auch Michel Friedman hat im Fernsehen keine andere Wirkung als in natura. Welche Verhältnisse hier jeweils wirken, darüber müsste man einmal nachforschen. Vermutlich gibt es da Gesetzmäßigkeiten.

Weitere Gäste waren: Dr. Sergey Lagodinsky, aus Astrachan; als er 1975 geboren wurde, noch UdSSR. "Astrachan – Archangelsk" hieß einmal die Ziellinie des deutschen Angriffskeils in die Sowjetunion hinein. 1941-42. Diese Ziellinie wurde nicht erreicht; im Norden zum Weißen Meer hin nicht einmal annähernd; im Süden, bei Astrachan an der Wolga, wurde sie um 35 km verfehlt. So lange das her ist, wird die Erinnerung daran für den aufwachsenden Sergey Lagodinsky doch eine Rolle gespielt haben, etwa im Schulunterreicht. Lagodinsky ist Rechtsanwalt. In der Diskussion ist er der Zurückhaltendste. Doch manche Bereicherung erfährt das Gespräch auch durch ihn. Seine Anwesenheit war nicht zu unterschätzen.

Links neben ihm saß der ehemalige polnische Botschafter Janusz Reiter, ein Mann mit kaschubischen Wurzeln und möglicherweise, seinem Nachnamen nach, auch deutschen Wurzeln. Das Kaschubenland deckt sich geographisch zum Teil mit dem sogenannten Polnischen Korridor, der nach dem Ersten Weltkrieg, also vor jetzt fast einhundert Jahren, in das Staatsgebiet des damaligen Deutschen Reiches gebrochen wurde. Kaschubien ist ein schmales Stück Land, sicherlich jahrhundertelang auch ein Durchgangsland von West nach Ost und Norden nach Süden, das zahlreiche Elemente aufgenommen hat, aber auch an seine Umgebung abgab. Günter Grass ist wohl der bekannteste Prominente mit teils kaschubischen Wurzeln gewesen. Es gibt auch eine eigene kaschubische Sprache, das Kaschubische, das von immerhin über 100.000 Menschen gesprochen wird. Diese Sprache, wie man nachlesen kann, gilt als eine westslawische Sprache, enthält aber auch zahlreiche Lehnwörter aus dem Deutschen, sogar noch aus dem Alt-Preußischen, und vermutlich auch aus ostslawischen Sprachen. Vielseitig durchmischt und verzweigt und doch eigenständig. - Janusz Reiter ist nicht nur Diplomat, sondern auch der Gründer und Ratsvorsitzende des Zentrums für internationale Beziehungen mit Sitz in Warschau. Seine Diskussionsbeiträge waren besonders wertvoll: Klug, durchdacht, abgewogen; was auch heißt: Voller Bewusstsein für die Schwierigkeit des Weges.

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© Wolfgang Wartenberg