wm funfWELTBÜRGERTUM ODER BÜRGERTUM IM IRGENDWO: WOZU HEIMAT?, Teil 2/3

Wolfgang Wartenberg

Weltexpresso (Hamburg) - Wiederum links neben ihm, und damit in der Mitte der Diskussionsteilnehmer, saß Gisela Stuart. Auch sie stammt aus einem besonderen Milieu: Ihre Mutter, aus Aussig, ist heimatvertriebene Sudetendeutsche; ihr Vater stammt aus Bayern, wo Stuart bei Landshut geboren wurde und aufwuchs. In Vilsbiburg, dessen Kirche einen ganz ähnlichen Turm wie die Münchner Frauenkirche besitzt, ging sie zur Schule.

Mit 19 Jahren ging sie nach England, um ihr Englisch zu verbessern – und vermutlich auch, um die Spannungen ihrer halb-bayerischen Flüchtlingswelt zu hinter sich zu lassen. - Aber wie Janusz Reiter während der Diskussion, gelehrt durch eigene Erfahrung, sagt: Man geht nicht Schritt für Schritt von einer kleineren in eine mittlere und dann in die ganz große Welt hinein, verwandelt sich also nicht stufenweise vom Heimatgebundenen zum Weltbürger, sondern man bleibt auch in der Welt, auf der Weltbühnen-Ebene der, der man auch in der Heimat war. "Uns bleibt ein Erdenrest / zu tragen peinlich", heißt es im "Faust II" (Vers 11.954 f.).

Und diese Pein oder Peinlichkeit, - mehr Leid als Scham wird hier gemeint sein -, die Janusz Reiter eher als Startkraft lebt, fühlt man doch bei Gisela Stuart recht deutlich. Ihr Mutterhass ist beträchtlich. Vergleichbar mit dem Ruth Klügers. Und diese goethische Peinlichkeit ist wohl auch der Grund dafür gewesen, dass Gisela Stuart eine der stärksten Befürworterin und Kämpferin für den Brexit ist. Sie hat die Verbindungen gekappt. Gleich nach dem erfolgreichen Brexit-Referendum aber beteuert, die Verbindungen blieben so gut wie bisher. Ein doppelgleisiger Weg also. --- Haben auch die Engländer schlechthin nur die Zugbrücke in mittelalterlicher Manier hochgezogen? Und was wäre die Ursache dafür gewesen? Die zunehmend als bedrohlich empfundene Bevormundung durch Brüssel? Oder die Merkelsche Flüchtlingspolitik? - Hat Angela Merkel mit ihrer Politik vielleicht geschafft, - wenngleich sicher nicht in dieser Zielrichtung -, was Adolf Hitler nicht geschafft hat, nämlich England aus Europa herauszudrängen? Ist der 'Schoß' immer 'noch fruchtbar', wie Brecht fragte? Und was wäre dann hier 'deutschere' im Sinne von 'fruchtbarer' Politik? Die eher ängstliche Heimatschutzpolitik aus Richtung der AfD oder die – eitel oder nicht – den Mantel der Geschichte packende Politik von Angela Merkel? Und wenn sie es wäre, ihre Politik: Herrschte dieser 'fruchtbare Schoß' also immer noch, sozusagen durch unterschwellige Kraft, der letztlich nichts entgegen zu setzen wäre – wie eine genetische Vorbestimmung, Anlage oder auch Mutation, die dauerhaft wirksam sei? ------ Unbeantwortbare Fragen! ------------

Aber sie führen direkt in medias res: Was ist Heimat? Was ist Weltbürgertum? --------- "Gibt es eine heimatlose Rechte", fragte Max Frisch schon Anfang der 1970er Jahre. --------- Die Römer kannten den Satz: "Ubi bene, ibi patria." Demnach wäre die Entscheidung ganz einfach – und nicht an ein bestimmtes Land gebunden. Da dieses Wort aber wiederum auf den griechischen Komödien-Dichter Aristophanes zurückgeht, ist Vorsicht geboten. Das Werk heißt "Der Reichtum" – und gemeint ist der Reichtum Plutos, des Gottes der Unter- und Totenwelt. ---------- Wer selbst Flüchtling war oder ein Suchender, der eine Heimat, eine dauerhafte Bleibe sucht und der (erst) dort, wo er sich wohlgelitten fühlt, Wurzeln zu schlagen bereit ist, weiß, wovon ich rede. --------- Denn es geht ja nicht nur in dieser Diskussion darum, was die in einem Land längst Lebenden und dort Geborenen unter 'Heimat' verstehen – oder im Gegensatz und in der Erweiterung dazu unter 'Weltbürgertum' -, sondern es geht ja auch um Menschen, die auf diesem Erdball (noch) in Bewegung sind, die Nicht- oder Noch-Nicht-Sesshaften und Suchenden. ---------------

Links von Gisela Stuart und rechts der Diskussionsleiterin Lahnstein-Kandel sitzt Michel Friedman, sozusagen der Ankündigungs-Star des Abends. Er ist eloquent und recht elegant. (Es gibt berühmte Schauspieler wie zum Beispiel Adolf Wohlbrück, der sich im englischen Exil Anton Walbrook nannte, deren Eleganz noch einige Grade höher liegt.) Aber Eleganz oder nicht, war sicherlich nicht der Grund, Michel Friedman einzuladen. ----------

Die Diskussionsleiterin hat gleich eine sehr schöne Einleitung für die Frage nach 'Heimat' oder 'Weltbürgertum' ausgewählt: Sie erwähnt den Film "Casablanca" mit Humprey Bogart in der Hauptrolle, der von dem von Conrad Veidt gespielten deutschen Offizier Strasser nach seiner Nationalität gefragt wird; man könnte auch 'Heimat' dafür setzen. Und hier sind wir schon mit der ersten Frage mitten im Thema: Denn die Nationalität / Heimat / Herkunft wird hier als Begrenzung und möglichst kriminelle Fixierung verwendet. Der von Bogart gespielt Bar-Besitzer Rick antwortet jedoch ebenso schlau wie ausweichend: 'Er sei Alkoholiker'; Mitglied der Internationale der Süchtigen also. Damit muss sich Strasser zufrieden geben, und er tut das nicht ohne einen gewissen Respekt für Ricks gelungene Antwort.

"Mensch, ich liebe meine Heimat genau wie Du! Aber sie müssen mich auch darin leben lassen!" - ruft der Schuster Wilhelm Voigt in Carl Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick": Er steckt in einem Teufelskreis: Ohne Wohnanmeldung keine Arbeit – und ohne Arbeit keine Wohnanmeldung. Die Folge: Ausweisung! Und die ist ihm gerade wieder einmal zugestellt worden. (Werner Krauss muss das wahnsinnig gut gespielt haben. - Ich kenne leider nur einen Hörmitschnitt, der diese monströse Gigantik des nicht zu befriedigenden Staatsapparates allein schon deutlich macht!) - Das ist auch ein Thema für die Gegenwart: Flüchtlinge und Menschen, die meinen, ihre eigene Heimat durch Überfremdung zu verlieren und deswegen die politische Wahlnotbremse ziehen. (Eine mittelalterliche Zugbrücke steht ihnen nicht zur Verfügung.) --------- Diese Gegensätze prallen derzeit, nicht nur in unserem Land, aufeinander. Die Frage nach Heimat und/oder Weltbürgertum liegt also mehr als nah! Und so ist es gut, sie hier aufgegriffen zu sehen. - Anregungen bringt der Abend, und das ist schon etwas; Lösungen nicht; wie auch? -----------------

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