Die Choreografin Nanine Linning verlässt Heidelberg
Hanswerner Kruse
Heidelberg (Weltexpresso) - Sechs Jahre lang erneuerte Nanine Linning (41) mit ihrem kleinen Ensemble erfolgreich die Tanzsparte des Heidelberger Theaters. Nun verlässt sie die Stadt und arbeitet in Europa als freie Choreografin ohne festes Engagement.
Eine Gruppe von gefiederten Wesen bewegt sich zitternd, drehend, hüpfend zur nervösen Minimal Music John Adams. Manchmal werden die nicht synchron Tanzenden ganz, ganz langsam, Einzelne brechen mit individuellen Bewegungen aus und kreieren doch in der Gruppe gemeinsame Bilder. Später verschwinden Paare zu klagenden Tönen von Arvo Pärt und Gustav Mahler hinter milchigen Vorhängen. Zur Livemusik des Philharmonischen Orchesters tanzen sie Soli oder Pas de Deux; und werden immer weniger.
„Dusk“, dieses reduzierte Stück auf der kahlen Bühne erzählt vom Abschied, vom Verschwinden - und stimmt sehr traurig! Man spürt intensiv den Schmerz, den Linning über den Verlust eines geliebten Menschen, in diesem Werk aufgehoben hat. Zugleich aber ist diese melancholische Choreografie ihr Schwanengesang: ihre letzte Arbeit in Heidelberg, die noch bis zum Ende der Spielzeit gezeigt wird.
Einige Tage danach präsentiert die Compagnie zum letzten Mal „Khora“, ihr Tanzstück des letzten Jahres. Auch hier ist die gesamte Choreografie bereits stark reduziert, die leere Bühne wird ab und zu lediglich mit Vorhangstreifen und farbigem Licht gestaltet, das verfremdet die Tanzenden und schafft faszinierende vergängliche Räume. Auch ohne die aufwendigen Bühnenbilder der letzten Jahre zeigt das Ensemble berührende und spannende Bilder mit zahlreichen Bewegungsstopps. Während es im klassischen Tanz eher darauf ankommt, sich kunstvoll von einem Ort zum anderen zu bewegen, schafft die Compagnie durch das Einfrieren kunstvolle flüchtige Skulpturen.
Doch der großartige Tanzabend versackt am Ende in einer läppischen choreografischen Tupperparty. Die vom Bühnenhimmel kopfüber herunterhängenden Ensemblemitglieder schenken Sekt an das auf die Bühne strömende Publikum aus. Linning hat im Heidelberger Tanztheater (bei einer Auslastung von 97%) eindrucksvollere Hängetänze und weniger läppische Beteiligungen des Publikums geschaffen:
Bereits in ihrer ersten Choreografie „Zero“ schwebten im Rauch am Bühnenhimmel puppenhafte Figuren über tanzende Wesen mit gummiartigen Röcken und schwarzen insektenhaften Köpfen auf dem Boden. In „Bacon“ verwandelte sich, in einem Kammerspiel auf engsten Raum im „Zwinger“, das Ensemble an die Bilder Francis Bacons an. Immer wieder baumelten dabei umgekehrt aufgehängte Figuren zwischen den Besuchern. Oft hat die Choreografin mit Bildenden Künstlern, Designern, Musikern zusammengearbeitet: In „Requiem“ beispielsweise steckten ihre Tänzerinnen und Tänzer in großen Skulpturen, nahmen Kontakt mit dem umherlaufenden Publikum auf, und befreiten sich später tanzend aus ihren Hüllen. Ein Teil des Publikums bewegte sich in „Hieronymus“ auf der Hinterbühne, während die Compagnie große, an Hieronymus Bosch erinnernde Plastiken bespielte. Im Zuschauerraum erlebte man auf der Bühne ein Stück mit Tanzenden und anderen Besuchern zwischen Skulpturen; nach der Pause wurde getauscht (wir berichteten über alle genannten Stücke im Weltexpresso)..
Die Niederländerin Nanine Linning gehört zu den innovativsten und experimentierfreudigsten Choreografinnen des zeitgenössischen Tanzes. Immer wieder hat sie in ihren Gesamtkunstwerken die Grenzen zu anderen Künsten überschritten. Sie verlässt Heidelberg mit Wehmut, aber im SWF-Interview meinte sie: „Ich habe das Gefühl, künstlerisch brauche ich neue Wege. Kunst lebt vom Wandel, von Neugier, vom sich selbst weiter entwickeln. Wenn ich in eine neue Umgebung komme, kann ich auch wieder neue Sachen in mir selbst entdecken.“
Foto:
Flüchtige Skulptur der Compagnie in „Khora“ © Kalle Kuikkaniemi
Info:
Weitere Vorstellungen von „Dust“ 1./7./17./18. April, 5./18./27. Mai, 6./15 Juli
„Bacon“ wird noch gezeigt 11. - 13. April, 19. - 20. Mai 2018
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