wm buhneapplausAUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY in Hamburg, Teil 1/2

Helmut Marrat

Weltexpresso (Hamburg) - Im Endeindruck und auch in der Erinnerung bleibt etwas bestehen, das großen Wert hat. Und wenn man den Fall abklopft – bleibt es auch noch bestehen. - Den 'ganzen Kuchen' sozusagen nun kennenzulernen, nachdem man die Rosinen schon viele Jahre lang kannte, ist sehr interessant.

Was aber sind die Rosinen? Und was ist der Kuchen? Rosinen gibt es, genau genommen, nur zwei: Den "Alabama Song" und den Song "Wie man sich bettet, so liegt man". - Der Text stammt von Bertolt Brecht (1898 - 1956), die Musik von Kurt Weill (1900 – 1950). - Die Uraufführung dieser Oper – oder Opernparodie – war am 9.3.1930 im Neuen Theater Leipzig, dem Vorgängerbau des Leipziger Opernhauses. Durch einen organisierten Protest der NSDAP, vermutlich durch SA-Rüpel, ging die Uraufführung teils in einem Theaterskandal unter, konnte aber mit Mühe durchgeführt werden.

Die konzertante Aufführung von "Mahagonny" in der Hamburger Musikhalle/Laeiszhalle durch die Hamburger Symphoniker erfolgte am 27.5.2018. Am selben Tag fand in Berlin eine Demonstration von 5.000 AfD-Anhängern in Berlin statt, - überraschend vielen -, die von 25.000 AfD-Gegnern so weit wie möglich, teils durch ohrenbetäubendes Trillerpfeifen, gestört und behindert wurde. Wie erfolgreich diese Gegen-Demonstranten waren, ist fraglich angesichts des erheblichen Werbe-Effekts, den sie den nur 5.000 AfD-Leuten zugeschanzt haben. Hätte sich kein Mensch um deren Demonstrationszug gekümmert, würde auch kaum jemand davon Notiz genommen haben. So wurde das hochgespielt, indem sich beide Seiten gegeneinander aufheizten. - Also wieder einmal prallen – sehr vereinfacht gesagt - Rechts und Links in unserem Land aufeinander. Günstiger hätte der Termin der konzertanten Aufführung also gar nicht liegen können! --- Heute geht es um die 'Überfremdung' Deutschlands durch (echte oder nur behauptete) Flüchtlinge und Asylanten; vor knapp 90 Jahren ging es um die 'Überfremdung' durch Pazifisten. Auch in den noch so friedlichen Bürgerlichen schlummerte der Gedanke an Revanche für den unselig verlorenen 1. Weltkrieg. Man muss sich vergegenwärtigen: Ohne den "Kanonensong" wäre die "Dreigroschenoper" bei ihrer Uraufführung im August 1928 schier durchgefallen! 

Ich hatte die Gelegenheit, noch mit einem prominenten Besucher dieser Uraufführung, mit keinem Geringeren als Boleslaw Barlog (1906 – 1999) zu sprechen. Barlog hatte ein staunenswertes Gedächtnis für die Theater-Aufführungen, die er gesehen hatte. Die Aufnahme der "Dreigroschenoper" durch das kritische und verwöhnte Berliner Publikum im Schiffbauerdammtheater war höchstens lau; war fast gelangweilt, gleichgültig. Mit dem "Kanonensong" aber war es so, "als sei plötzlich eine Starkstromleitung ins Parkett gelegt worden"! -- Wenig darauf empfahl Alfred Kerr der Linken in Deutschland, "sich einen General zu mieten"! Wie man weiß, wurde sein Hinweis nicht beachtet.

Die Situation zwischen 1930 und 2018 unterscheidet sich aber insoweit, dass 1930 die Weltwirtschaftskrise (seit 5 Monaten) begonnen hatte; - wenig später sollte man in großen Buchstaben an die Hofwände von Mietskasernen lesen können: "Erst Fressen, dann Miete!" -; - während derzeit die Wirtschaft blüht und boomt und die Arbeitslosenzahlen entsprechend zurückgehen. Der einzige, aber nicht geringe Vorteil von Angela Merkel (*1954), liegt ja darin, nach dem rot-grünen Chaos von 1998 – 2005, das allerdings auch durch die Einführung des Euro zum 1.1.2002 unterstützt wurde, wieder Ruhe ins Land gebracht zu haben, statt - wenig übertrieben - alle paar Minuten durch neue Ankündigungen und Planungen verunsichert zu werden. Nur ein einziges Mal hat sie, - von einigen kurzsichtigen Fehlentscheidungen abgesehen -, - darin eine schwer-verhängnisvolle Ausnahme gemacht, deren Folgen aufzufangen Jahrzehnte dauern wird, in der, wie bekannt, eigenmächtigen Grenzöffnung für 2 Millionen arabische Flüchtlinge. Es ist eine Binsenweisheit, dass erst sie die AfD groß gemacht hat. Inzwischen versuchen die (bereits) etablierten Parteien neu gegen den Zustrom und Verbleib von Ausländern anzukämpfen, - nicht aus Überzeugung natürlich, sondern weil es sie verdriest und in Unsicherheit gebracht hat, dass jetzt, seit der letzten Bundestagswahl, ein Achtel des zur Verfügung stehenden 'Parlaments-Kuchens' von der AfD genutzt wird.

Im Gegensatz zu der Zeit um 1930 aber ist, wie gesagt, die wirtschaftliche Situation heute äußerst günstig, weshalb ein solcher Demonstrations-Zusammenprall nicht frei von einem luxuriösen Charakter ist. Immerhin: Die Tatsache einer teilweisen Parallelerscheinung ist nicht zu übergehen: Die echte und latente Kriegs- und Militärbegeisterung führte 1939 zu einem neuen Weltkrieg; der Pazifismus und die Notwendigkeit für ihn stehen heute längst nicht mehr in Zweifel. ----- Wenn aber eine Parallele zu heute besteht: Wie wird diese sich auf die Frage der Bevölkerungszusammensetzung auswirken? -------

Und: Welche Konsequenzen hat das für die Aufführung dieses Stückes der End-Zwanziger-Jahre? --- Erwartete man eine Aufführung, die zu ihrer Entstehungszeit in deutlichem Bezug gestanden hätte? - Natürlich hatte man genau das erwartet! - Aber es unterblieb, von drei oder vier an die hinter dem Orchster befindliche ziemlich große Leinwand geworfenen Bühnenentwürfen von Caspar Neher (1897 - 1962), in denen die krude Brutalität der Zeit dieser Wirtschaftskrisenjahre durchaus steckt, abgesehen.

wm kirch1Die Hauptschwäche dieser ganzen konzertanten, aber szenisch 'betreuten' Aufführung lag in der absurden Schwäche dessen, der für die "Szenische Einrichtung" zeichnete, eines Peter Schmidts (*1937). Dass er anfangs für Conrad Zuse (1910 - 1995), den Erfinder des Computers, gearbeitet hat, (dessen Enkelin bei Heymann-Bücher in Hamburg arbeitet), ehrt ihn. Aber es bleibt ein sonderbarer Missgriff! Mir war dieser Peter Schmidt schon durchs Ernst-Deutsch-Theater bekannt, flüchtig bekannt, vom Ansehen her, denn er erschien ja am Ende auch auf der Bühne zum Applaus; aber nicht als nennenswerter Künstler. Das herausragend beste Regie- und Bühnenbild-Duo am Ernst-Deutsch-Theater sind Gerd Heinz (*1940) als Regisseur und Lilot Hegi (*1947) als Bühnenbildnerin. Sie kommt (wie auch der Autor dieser Zeilen) aus der Schule eines der profiliertesten Bühnenbildner des 20. Jahrhunderts, der Prof. Willi Schmidts (1910 – 1994). - Verkürzt könnte man also im Tonfall von Thomas Bernhard (1931 – 1989) sagen: "Willi Schmidt – ja!" - "Peter Schmidt – nein!" ---- Denn das Stück heißt "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny". Es ist die weitere Ausarbeitung von "Mahagonny, ein Songspiel", das Kurt Weill und Bert Brecht für das Musikfest in Baden-Baden am 17.7.1927 schrieben. 

"Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" erinnert natürlich an Mahagoni, das Holz aus Mexiko und Mittelamerika, das aber seit mehreren Jahrzehnten fast nicht mehr verfügbar ist. Der Bezug zu Brechts und Weills Stück liegt aber allenfalls im Weit-Entlegenen und Subtropischen. Der Name "Mahagonny" wird im Stück mit "Netzestadt" übersetzt, erklärt. Also eine gut getarnte Fallgrube. Ein Köder. Davon sieht man aber auf den vielen Fotos, die Schmidt zusammengesucht und vielleicht teils auch selbst aufgenommen hat, nichts. Ein paar Hochhäuser, die natürlich für Mietwucher und Miethaie stehen; oder ein laienhafter Schnappschuss vom Hamburger Hafen mit der Elbphilharmonie. Als es ums "Fressen" geht, ein dicker, vollgefressener und wohl auch vollgekotzer, wenig bekleideter, glatzköpfiger Mann; beim Stichwort 'Boxen' sieht man zwei dunkle Boxer (der eine vermutlich Mohammad Ali (1942 – 2016)); - aber bei einem Bezug zur Entstehungszeit hätte man ein Bild von Max Schmeling (1905 - 2005) erwartet, denn Boxen war damals nicht ein Nischensport wie heute, sondern zog mit Faszination alle Gesellschaftsschichten an -; als dann von "Sex" die Rede ist, eine Sandwichpackung (vielleicht um sein Jung-Geblieben-Sein zu verkünden). Alles ganz flach, ohne künsterlische Übersetzung. Ganz enttäuschend für jemand, der wie ich, sich schon viele Gedanken über dieses Stück gemacht hat. 

FORTSETZUNG FOLGT

Fotos:
© Wolfgang Mielke