ist der nächste Preisträger: Julius-Campe-Preis 2018
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Er gehörte zu den liebevollsten Preisen der früheren Buchmessen: der Julius-Campe-Preis, den der HOFFMANN UND CAMPE Verlag verleiht, und der in diesem Jahr an den Filmregisseur Christian Petzold geht. Eine sehr gute Idee, denkt man spontan, denn erstens ist die Ausweitung auf einen Filmemacher eine gute Sache und zweitens ist Christian Petzold einer, der mit den Mitteln des Film existenzielle Probleme heutiger Menschen auf die Leinwand malt.
Wir müssen an uns halten, um nicht ins Schwärmen zu geraten über Filme wie BARBARA aus dem Jahr 2012 , denen YELLA 2008 und JERICHOW 2011 voranging, wobei man immer wieder auf Nina Hoss stößt, die sowieso eine besonders intensive, ja innerliche Schauspielerin ist, aber in den Filmen von Petzold besonders leuchtet. Der gemeinsame Film PHOENIX aus dem Jahr 2014, der einen Mann, der im Dritten Reich seine jüdische Frau an die Nazis verraten hat, diese in der Nachkriegszeit in Berlin auf ihren Mann treffen läßt, der sie nicht erkennt und sie wegen ihrer Ähnlichkeit mit der toten Ehefrau(schließlich weiß er, daß sie in Auschwitz umkam), bittet, für Erb- Entschädigungsangelegenheiten seiner Frau diese für einige Tage zu spielen, damit er an deren Vermögen kommt, bis er - sie singt, er begleitet sie am Klavier - ihre Auschwitznummern am Arm erkennt. Die Gänsehaut, die den Zuschauer überzieht, stellt sich auch beim zweiten und dritten Sehen des Films ein. Übrigens nahm Petzold nach dem Dokumentarfilm FRITZ BAUER - TOD AUF RATEN von Ilona Ziok, Berlinale 2010, der den Hessischen Generalstaatsanwalt wieder als eine der wichtigsten politischen Figuren der Nachkriegszeit ins Gedächtnis rief, diese Botschaft auf und widmete am Schluß von PHOENIX auf schwarzem Grund in weißen Lettern diesen Film Fritz Bauer.
Doch wie man gleich lesen kann, ist es der neueste Film von Petzold, der wie früher seine anderen im diesjährigen Wettbewerb der Berlinale lief, TRANSIT, der zu seiner Wahl als Preisträger führte. Denn Birgit Schmitz, Verlegerische Leitung von HOFFMANN UND CAMPE führt quasi als Begründung aus:
»Dass wir erfahren dürfen, wie eng der Roman von Anna Seghers auch nach acht Jahrzehnten mit unserer Gegenwart verbunden ist, verdanken wir Christian Petzold und seinem Film ›Transit‹. Der Film selbst wählt eine neue, mutige Erzählform, in der Bild und Text auf bisher unbekannte Weise aufeinandertreffen. Die Worte von Anna Seghers werden nicht angepasst oder gegenwartstauglich gemacht – stattdessen bleibt die ihnen eigene Poesie erhalten. Wir haben als Zuschauer das Gefühl, ihre Worte sprechen aus dem Jahr 1942 direkt in unsere Gegenwart hinein. Da kein Kostüm ablenkt, keine Kulisse den Blick verstellt, wird deutlich, wie es Literatur immer wieder gelingt, die Zeitläufte zu durchschreiten. Petzold setzt mit seinen Bildern und mit der Sprache von Anna Seghers dem heute allgegenwärtigen Diskurs über Flucht und Migration auch eine notwendige Erzählung entgegen und macht deutlich, was es heißt, in den Transitzonen dieser Welt verharren zu müssen.
Der Roman bewegt sich mit seiner Autorin durch die Welt: im mexikanischen Exil verfasst, wurde er erst auf Englisch und Spanisch veröffentlicht, bis er schließlich 1948 auch in Deutschland erscheinen konnte.
›Transit‹ selbst ist ein Schwebezustand, wie es Petzold nennt, wo sich Zeiten überlagern, und der Film zeigt, wie sehr wir den Schwebezustand, den Literatur erzeugt, auch in unserer Gegenwart als Ort der Reflektion brauchen.«
Mit der Verleihung des Julius-Campe-Preises 2018 ehrt der HOFFMANN UND CAMPE Verlag Christian Petzold für die Verdienste um die deutsche Literatur.
Der Preis ist benannt nach Julius Campe (1792 - 1867), der zu den größten Verlegern der deutschen Geschichte zählt. Als Entdecker von Heinrich Heine und als mutiger Förderer der Autoren des »Jungen Deutschlands« wurde er zum Inbegriff des idealistischen Verlegers, der literarische Entdeckungsfreude mit gesellschaftlichem Engagement vereint. Die Auszeichnung mit dem Julius-Campe-Preis, der den Verlag 1823 übernommen und ausgebaut hatte, gilt Persönlichkeiten und Institutionen, die sich auf herausragende Weise literaturkritische und literaturvermittelnde Verdienste erworben haben. Der Preis ist mit 99 Flaschen edlen Weins und des bei HOFFMANN UND CAMPE erschienenen Faksimiles der »Französischen Zustände« Heinrich Heines dotiert.
Die Julius-Campe-Preisträger der vergangenen Jahre waren:
2017: Staatsministerin Prof. Monika Grütters
2016: Das Netzwerk der Literaturhäuser
2015: Denis Scheck
2014: Buchhandlungskooperation 5 plus
2013: Felicitas von Lovenberg
2012: Petra Roth
2011: Roger Willemsen
2010: Elke Heidenreich
2009: Elisabeth Niggemann
2008: Wendelin Schmidt-Dengler (posthum)
2007: Klaus Reichert
2006: Michael Naumann
2005: Jan Philipp Reemtsma
2004: Joachim Kaiser
2003: Heinrich Detering
2002: Martin Walser
Die Verleihung erfolgt am Freitag, den 12. Oktober 2018, um 17 Uhr im Hessischen Hof während der Frankfurter Buchmesse.
Die Laudatio hält die Publizistin Carolin Emcke.
Schade. Das gilt nicht der Laudatorin und der Hessische Hof ist ein eleganter und besonders feiner Ort, zudem nahe der Buchmesse, was für eine Veranstaltung während des Buchmessenfreitagmittags - jetzt um 17 Uhr, was in den Hessischen Filmpreis am Freitag in der Alten Oper übergeht - wichtig ist. Doch man erinnert sich mit Wehmut an die früheren Buchmessentreffen des Verlags im Dominikeranerkloster, wo eine leichte, freie, so intellektuelle wie spirituelle Atmosphäre herrschte, wo übrigens Hilmar Hoffmann Stammgast war, die später keine Alte Oper, kein Buchhändlerhaus wiederbringen konnte.
Foto:
Petzold © privat
Emcke © Andreas Labes
Info:
12. Oktober 2018 auf Einladung des Verlages
Über Christian Petzold
Christian Petzold, am 14. September 1960 in Hilden geboren, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin sowie anschließend Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Während seines Studiums wirkte er als Regieassistent bei Filmproduktionen Harun Farockis und Hartmut Bitomskys mit. Mit »Pilotinnen« (1995) gab Petzold sein Spielfilmdebüt. Sein Kinodebüt »Die innere Sicherheit« (2000) erhielt den Preis der deutschen Filmkritik und den Deutschen Filmpreis. Viele weitere mehrfach ausgezeichnete Fernseh- und einige Kinofilme folgten. So erhielt Nina Hoss für »Yella« (2007) den Silbernen Bären der Berlinale und den Deutschen Filmpreis. Für »Barbara« (2012) wurde Christian Petzold u.a. mit dem Silbernen Bären der Berlinale für die Beste Regie ausgezeichnet. Zu den weiteren Auszeichnungen des Films zählen der Deutsche Filmpreis in Silber und die Nominierung zum Europäischen Filmpreis.
Über Carolin Emcke
Carolin Emcke, geboren 1967 in Mülheim an der Ruhr, studierte Philosophie in London, Frankfurt am Main und Harvard. Sie promovierte über den Begriff »kollektiver Identitäten«. Von 1998 bis 2013 berichtete Carolin Emcke aus Krisenregionen weltweit. 2003 bis 2004 war sie als Visiting Lecturer für Politische Theorie an der Yale University tätig. Die freie Publizistin engagiert sich immer wieder mit künstlerischen Projekten und Interventionen. Seit über zehn Jahren organisiert und moderiert Carolin Emcke die monatliche Diskussionsreihe »Streitraum« an der Schaubühne Berlin. Für ihr Schaffen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2016). Zu ihren Büchern zählen unter anderem »Von den Kriegen. Briefe an Freunde«, »Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF« und »Gegen den Hass«.