Hanswerner Kruse
Schlüchtern (Weltexpresso) - In Potsdam treffe ich den Regisseur und Gitarristen Andreas Dresen (55), der gut zehn Jahre lang immer wieder an seinem Film über den ostdeutschen Singer-Songwriter Gerhard („Gundi“) Gundermann arbeitete. Er freut sich, mit mir zu sprechen, dem ersten Journalisten aus dem Westen, der die Rohfassung des Films gesehen hat, ihn gut und gar nicht ostalgisch findet. Manchmal habe er nicht mehr an den Streifen geglaubt, denn es gab so wenig Rückmeldung von außen: „Die Leute waren skeptisch, fanden das Thema zu ‚ostig’, obwohl wir das ja nun überhaupt nicht wollten.“ Nach Osthessen kommt der Filmemacher immer gerne: „Die Leute dort müssten Gundermann eigentlich kennen, wir waren mit der Band schon dreimal dort und haben immer Songs von ihm gespielt.“
Der ostdeutsche Musiker und Sänger Gundermann wurde nach der Wende durch seine Zusammenarbeit mit der Band „Silly“ auch im Westen bekannt; er starb 1998 mit nur 43 Jahren. Die zweite Weltpremiere des Films ist am 14. August in Schlüchtern-Steinau (Besprechung folgt). Vorher ab 19 Uhr tritt dort Dresen & Band mit dem Sänger und Schauspieler Alexander Scheer auf, der im Film den Gundermann spielt.
Warum haben Sie sich so lange mit Gundermann beschäftigt?
„Gundi“ war ein Mensch mit so vielen Facetten... er war Arbeiter, hat im Tagebau im Braunkohlenrevier gearbeitet, gleichzeitig war er ein großer Künstler, ein großer Poet. Er spielte mit seiner Band als Vorgruppe von Bob Dylan, danach ist er zur Frühschicht gefahren. Also das muss man erst mal bringen! Er hatte abends oft Auftritte vor Tausenden von Leuten und ist dann morgens in die einsame Kanzel seines riesigen Baggers gestiegen.
Auch politisch war er eine sehr interessante, widersprüchliche Figur. Einerseits glühender Kommunist, andererseits aus der Partei geflogen. Er ließ sich mit der Stasi ein, wurde dann aber wegen „grundsätzlicher Eigensinnigkeit“ fallen gelassen und schließlich selber jahrelang bespitzelt...
...Eigensinnigkeit?
...ja, er hat die Leute eben beim Wort genommen, das war durchaus mutig, konnte aber auch anstrengend sein. Er war anarchistisch und rebellisch, machte ständig Verbesserungsvorschlänge, wollte alles anders haben. „Der Genosse hat den Vorteil und den Nachteil, dass er ausspricht, was er denkt“, sagt im Film eine ältere Kollegin über ihn. Das ist ein Originalzitat.
Drehbuchautorin Stieler sagt, so eine Figur könne man gar nicht erfinden?
Nee, kann man tatsächlich nicht. Beim Singen war „Gundi“ immer ganz bei sich, ansonsten eckte er überall mit seiner Leidenschaft und seinen Überzeugungen an.
Und die Musik?
Ich liebe viele seiner Songs. Sie sind häufig melancholisch, die Poesie berührt mich zutiefst. Seine Musik ist es wert, gehört und entdeckt zu werden. Wir werden sie mit unserer Band auch bei einigen Premieren des Films spielen. Für den Film haben wir die Songs behutsam modernisiert; sie klingen transparenter als im Original, weniger folkig. Alexander Scheer singt fast besser als „Gundi“ (lacht). Die Lieder jedenfalls sind zeitlos schön, demnächst macht sogar der „Rolling Stone“ eine lange Strecke über Gundermanns Musik.
„Ich singe nicht für Brot“, das war keine Attitüde?
Später hätte „Gundi“ von seinen Songs locker leben können, aber er war wirklich eine proletarische Figur und brauchte das Arbeitsleben. Er latschte mit Stiefeln und Helm durch den Lausitzer Schlamm und hatte den Kopf in den Wolken. Die einsame Baggerkanzel in zwanzig Meter Höhe war ein poetischer Schutzraum für ihn. Mit der Mondlandschaft des Tagebaus vor der Nase, im Rhythmus der riesigen Schaufeln, konnte er seine Lieder erfinden. Das hat er gebraucht, das war sein Nährboden, sonst wären ihm nicht so tolle Songs eingefallen.
Sie haben ja bewusst einen Spielfilm gedreht, darin ist nicht alles authentisch?
Wir erzählen von seinem realen Leben, aber „Gundi“ im Film ist auch eine von uns geschaffene Kunstfigur, eine Mischung aus Erfindung und Realität. Insgesamt stimmt die Geschichte, jedoch sind Details vergrößert, verkleinert, verschoben... und Alexander Scheer erspielt ihn ja auch als eine ganz eigene Figur, obwohl er sich ihn zunächst wie eine zweite Haut übergezogen hat.
„Gundermann“ ist auch ein Film über Schuld...
Ja, in den 90er-Jahren geriet „Gundi“ wegen seiner zeitweiligen Stasi-Mitarbeit stark unter Druck, wie viele. Das war die Zeit: Christa Wolf! Heiner Müller! Und jetzt auch noch der Gundermann! Klar ist, er hat sich schuldig gemacht. Aber man soll und muss darüber differenziert reden: Wie wird man schuldig, wie kann man damit umgehen? Genervt hat die moralische Überheblichkeit der Hexenjäger, hinter der die Lebensleistung einiger Menschen völlig verschwand.
Ich kann mir kein Urteil anmaßen, wir erzählen einfach „Gundis“ Geschichte, in der ihm am Schluss seine Vergangenheit auf die Füße fällt. Seine Frau Conny erzählte mir, wie tief verzweifelt er war, nachdem er seine Stasi-Akte gelesen hatte. „Ich bitte nicht um Verzeihung“, hat er gesagt, „ich kann mir selbst nicht verzeihen.“
Letzte Frage, warum machen Sie eigentlich selbst gerne Musik?
Das Schöne daran ist, dass ich mitmachen darf, ich bin sonst immer nur der Kontrolletti. Ich bin ja der Regisseur und gucke den anderen bei der Arbeit zu, mäkel herum oder kommentiere, doch beim Musizieren spiele ich mit und bin Teil des Organismus. Das ist wirklich was Tolles, im schönsten Fall vergisst man den Druck und die Aufregung. Es kann manchmal sein, dass man so richtig abhebt mit allen die da sind, mit der Band, mit dem Publikum.
Foto:
Andreas Dresen © Klaus Fahlbusch
Andreas Dresen © Klaus Fahlbusch