Ein spektakuläres Kunstprojekt in Berlin
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Nachdem erste Informationen zum Kunstprojekt DAU durchsickerten, überschlug sich bereits die Kritik in der Hauptstadt: Bald soll mitten in der Nacht für einige Wochen in Berlin eine echte Mauer errichtet werden, um ein Ghetto auf dem Prachtboulevard „Unter den Linden“ nach außen abzugrenzen.
Auf der eilig einberufenen, sehr gut besuchten Pressekonferenz machten die Vertreter der diversen beteiligten Institutionen gestern deutlich, es ginge nicht um Mauerkitsch, stalinistisch-totalitäre Erlebniswelten oder die Verhöhnung der Opfer. So die Vorwürfe, die Filmemacher Tom Tykwer, Dr. Thomas Oberender, Leiter der Berliner Festspiele, Produzentin Susanne Marian und andere Beteiligte widerlegten. DAU sei vielmehr ein europaweites Projekt, das nacheinander die drei Errungenschaften der französischen Revolution künstlerisch in Szene setzen solle: „Freiheit“ in Berlin, „Brüderlichkeit“ in Paris und „Gleichheit“ in London. Gerade für die Berliner sei, angesichts der Mauer in ihrer Geschichte, Freiheit ein lange herbeigesehnter Zustand gewesen.
Seit zwei Jahren wird das Projekt vorbereitet und obwohl Hunderte von Leuten in zuständigen Ämtern und Institutionen sowie betroffene Anwohner einbezogen wurden, drang nichts nach außen. Dadurch konnte verhindert werden, dass das Vorhaben schon vor seiner Planung völlig zerredet und zerrissen wurde. Öffentliche Gelder sind nicht nötig, DAU wird von einer Londoner Stiftung finanziert.
Auf der Pressekonferenz war zu erfahren, die Besucher könnten intramural, in einem Schutzraum ohne Zerstreuung, eine andere, für sie neue Welt erleben: In dem abgegrenzten Areal wird es zahlreiche künstlerische Aktivitäten, Performances, wissenschaftliche Aktionen, Diskussionsgruppen und Einzelgespräche geben - sowie Filme des bekannten russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky, der auch Initiator von DAU ist. Ein komplexes digitales Programm (Device) steuert alle Besucher durch ihre eigene Parallelwelt und macht ihnen individuelle - aber letztlich frei wählbare - Angebote zum Besuch in der temporären Kunststadt. Sie zahlen keinen Eintritt, sondern können vorher ein Visum käuflich erwerben.
Dau ist der Spitzname des sowjetischen Wissenschaftlers und Nobelpreisträgers Lev Landau (1908 - 1968), der zeitweilig in einer streng isolierten, geheimen Laboratoriums-Siedlung in der UDSSR arbeitete. Filmemacher Khrzhanovsky wollte dessen Leben verfilmen und schuf dazu einen künstlichen Ort - sogar mit Schweineställen und wissenschaftlichen Laboratorien. 2009 begaben sich 400 Arbeiter, Kunstschaffende und Wissenschaftler sowie eine Schauspielerin an diesen Platz und begannen - isoliert von der Außenwelt - eine zweijährige Zeitreise in die alte Sowjetunion. Bald wurde das Drehbuch verworfen und die Menschen lebten und arbeiteten real in ihrer eigenen Welt, stritten, liebten, trennten sich oder bekamen Kinder. „Halte rein und drehe was Du interessant findest“, ermunterte Khrzhanovsky den deutschen Kameramann Jürgen Jürges, der 700 Stunden des wirklichen Lebens dieser Menschen festhielt. Aus dem Material entstanden bisher 13 Spielfilme und etliche Serien.
Im Schinkel Pavillon werden die Filme Khrzhanovskys vom 12. Oktober an vier Wochen lang präsentiert, doch das DAU ist keine aufgeblasene Filmpremiere. Vielmehr soll das Publikum in der künstlerischen Großinstallation eine eigene Realität erleben, gleichsam parallel zu den Filmmenschen. Über den „Skandal im Sperrbezirk“ freute sich Nina Pohl, Kuratorin des Schinkel Pavillons und selbst Künstlerin. Sie freue sich, Teil des Projekts zu sein, dass sich ganz im Geiste Josef Beuys und Christoph Schlingensiefs von der „langweiligen und weichgespülten“ Gegenwartskunst abhebe.
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© Hanswerner Kruse