Wer das Foyer zum IG Farben-Gebäude auf dem Campus Westend Frankfurt am 28. e. J. betritt wird immer wieder die Namen von 8000 Opfern hören
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am Folgetag des Jahrestags der Befreiung von Auschwitz fand am Campus Westend der Goethe Universität wieder die im Jahresrhythmus begangene Namenslesung am Eingangsfoyer des Hauptgebäudes statt, die an die Opfer von Auschwitz Monowitz erinnert.
Die Lesung steht in unmittelbarer Beziehung zum IG Farben-Gebäude. Diejenigen, die von der ‚Initiative Studierender am IG Farben Campus‘ anlässlich des 74. Jahrestages die Namen der in Willkür absichtsvoll Ermordeter verlasen, wechselten sich ab, so dass das Prozedere sich hinzog. Zufolge der überlieferten Liste, die mutmaßlich von Häftlingen gesichert und dadurch der Vernichtung entging (den Wachmannschaften war daran gelegen, dass die Spuren ihrer Verbrechen aus dem Weg geschafft wurden) werden auch künftig hin immer 8000 Namen verlesen.
Das IG Farben-Gebäude wuchs in diese Funktion hinein, da es mit der Rolle des Konzerns im Kontext der nationalsozialistischen Menschenvernichtung in Beziehung steht. Die Farbenindustrie AG (kurz IG Farben) vergrößerte sich durch ‚Arisierung‘, im Zuge derer ehemals jüdische Konkurrenten wirtschaftlich und existenziell verdrängt und ausgeschaltet wurden.
Die Arisierung jüdischer Vermögenswerte wurde kürzlich erst zum öffentlich behandelten Thema in Frankfurt am Main, wo die Rolle der Stadtverwaltung bei der rechtswidrigen und kaltschnäuzigen Inbesitznahme von 170 Immobilien aus deutsch-jüdischem Eigentum künftig Aufarbeitung erfahren soll. Die Arbeit der sog. Arisierung war das Alltagsgeschäft von Bürokraten, die unter jedem System funktioniert hätten, d.h. Sache von Schreibtischtätern.
Die IG-Farben stehen für das zur Ermordung in den Konzentrationslagern eingesetzte Gas
Im ersten privat finanzierten KZ Auschwitz III Buna-Monowitz, in dem von einem mit der IG Farben verbundenen Unternehmen hergestelltes Gas zur Vernichtung von Menschen eingesetzt wurde, gab es auf einer Fabrikbaustelle des IG Farben- Konzerns unerträgliche, systematisch Häftlingen Tod bereitende Arbeitsbedingungen.
Regelmäßig fanden auch Selektionen unter den nicht mehr bzw. nicht mehr genügend Arbeitsfähigen statt. Das KZ war auf den Tod der Häftlinge ausgerichtet. Dahinter verbarg sich die Konzeption der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“, ein Terminus, der im Wörterbuch des absoluten Unmenschen an oberster Stelle zu verzeichnen ist.
Von den 35 000 Menschen, die in Monowitz inhaftiert waren, wurden 25 000 im Lager, auf der Baustelle oder in den Gaskammern Birkenaus ermordet. Es handelte sich um Menschen, die schon zu schwach waren, sich verletzt hatten oder ‚schon‘ mehr als zwei Wochen im Krankentrakt verbrachten. Die Vorgänge um dieses Lager erfahren an der Goethe Universität, die die Geschichte aufgrund des übernommenen Gebäudes vererbt bekam, mittlerweile Aufarbeitung.
Der erste Lehrstuhl für die Holocaust-Forschung
Hierzu dient seit Mai 2017 der erste Lehrstuhl für Holocaust-Forschung am Historischen Seminar der Goethe Universität Frankfurt. Diesen hat Prof. Dr. Sybille Steinbacher zur Erforschung der Geschichte der Universität im Nationalsozialismus und in der frühen Bundesrepublik inne. Hierzu verhilft auch das Forschungsprojekt der Universität zur Geschichte der IG-Farben und der Entschädigung ihrer Opfer. Auch Interviews von Überlebenden werden dokumentiert. Die Wissenschaftlerin hat zugleich die Leitung des Fritz-Bauer-Instituts inne. Die Frage, was die Wissenschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu tun habe, ist ebenfalls Gegenstand des Interesses.
Die Initiative Studierender am IG Farben Campus findet allerdings, dass zur Aufarbeitung des Geschehenen „zu wenig passiert“. Nun gibt es immerhin die Gedenkstätte „Norbert Wollheim Memorial‘. Wollheim war im Frühjahr 1943 gemeinsam mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn nach Auschwitz deportiert worden. Dort wurde seine Familie mit dem Gas ermordet, das von einem mit der IG Farben verbundenen Unternehmen hergestellt wurde.
Im Park des repräsentativen, von Hans Poelzig erbauten Gebäudes sind Fotos von Opfern im seitlich gelegenen Pavillon, einem ehemaligen Pförtnerhäuschen der damals entstandenen Anlage, ausgestellt. Er wurde zur Gedenkstätte umgewidmet, die etwas abliegt, was ihr aber guttut.
Norbert Wollheim gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Gründungsmitgliedern des Zentralrats der Juden in Deutschland. 1951 wanderte er in die USA aus, wo er 1998 in New York starb.
Fotos: Heinz Markert
Info:
Im Innern des Pavilions lautet der Schriftzug an der rückwärtigen Wand: Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit
https://www.uni-frankfurt.de/73083934/Druckversion_Gedenkplan_Campus_Westend___Lageplan.pdf