wm willy brandt helmut schmidt spd"DEMOKRATIE" im Ernst-Deutsch-Theater, Hamburg, Teil 2/3

Wolfgang Mielke

Hamburg.(Weltexpresso) - Schauspieler: O. E. Hasse (1903 - 1978) konnte historische und ja meist politisch-historische Persönlichkeiten nachspielen (und musste das daher intensiver und häufiger tun, als ihm lieb war); auch Bruno Ganz (1941 - 2019) gelang es in eindrucksvoller Weise, Adolf Hitler (1889 – 1945) zu spielen (auch wenn ihm von dessen bösen Registern einiges fehlte).

Es ist also nicht leicht, ein Stück, dessen wirkliche Akteure uns noch sehr vertraut sind, auf die Bühne zu bringen. Absturz und dann die Um- und Eingewöhnung sind unvermeidbar. Es dauert eine Zeitlang, bis sich das einpegelt; bis man den Schauspielern allmählich abnimmt, 'Willy Brandt', 'Herbert Wehner', 'Horst Ehmke', 'Helmut Schmidt' usw.- zu sein.  Die zweite Hälfte des Abends gelingt daher deutlich besser: Zeichen dafür, dass man sich umgewöhnt, neu eingewöhnt hat. -

Das spricht dafür, dass die Besetzung, jedenfalls innerhalb ihrer gegebenen Möglichkeiten, funktioniert, die Kräfteverhältnisse der Schauspieler zueinander die historischen politischen Kräfteverhältnisse nachvollziehbar wiedergeben; zumindest ein Bild schaffen, dass der damaligen Zeit, dieser Mischung aus Idealen und leider auch Schmutz, nahekommt, auch wenn die tatsächlichen Vorgänge in mehreren Punkten anders gewesen sein dürften. Aber Frayn hat selbst darauf hingewiesen, dass die Worte, die gesprochen werden, nicht jedenfalls die historisch verbürgten Äußerungen der damaligen Politiker gewesen sein müssen; Frayn behandelt sein Thema mit einem Grad von dichterischer Freiheit. 

"Demokratie" ist ein Stück, dass man nicht so leicht vergisst. Denn es gelingt, die Zeit von damals wieder anzustoßen und ins Gedächtnis zurückzurufen.


Die Rollenträger

Welches Bild hinterlässt die Schauspieler-Mannschaft: Einen zögerlichen, zurückhaltenden Kanzler, eher defensiv und mehrmals als beschwichtigend vorgeführt (Sven Walser); dann einen bemühten, eifrigen bis wieseligen Minister 'Horst Ehmke' (von seinen Genossen damals 'Hotte' genannt;  Frank Thomé); einen nach und nach stetig drängender werdenden 'Helmut Schmidt' (Carsten Klemm), der auch in der Kopf- und Kinnhaltung einige Ähnlichkeit mit dem echten Helmut Schmidt (1918 – 2015) zeigt. Man sieht Oliver Warsitz als besorgtes Faktotum; Frank Jordan als 'Genscher' (noch etwas blass; aber man ist natürlich verwöhnt durch den 'späten Genscher'). Man sieht Stephan A. Tölle als graue DDR- oder Stasi-Ratte, farblos-unauffällig wie ein grauer Aktendeckel, der den DDR-Spion 'Günter Guillaume' (Marcus Calvin) teils sichtlich überwacht, teils mit Direktiven versieht, teils aufmuntert, wenn es ihm nötig erscheint.

Gut gefiel mir Jörg Seyer (als Reinhard Wilke, eine Art Kanzleramtsminister), gut in der Haltung und unter den 'Genossen' fast aristokratisch wirkend. Und man sieht, - bestimmt nicht zuletzt -, Erik Schäffler als 'Herbert Wehner'.  Am deutlichsten bleiben Marcus Calvin als teils penetrant-aufdringlicher, teils verzagter 'Guillaume'; Sven Walser als fast heiliger 'Willy Brandt', Erik Schäffler als 'Herbert Wehner' und Frank Thomé als ebenso bemühter wie tricksender und mauschelnder 'Horst Ehmke' – und damit einen wesentlichen Teil des schon erwähnten Schmutzes jener Zeit sehr glaubhaft abdeckend - in Erinnerung. Das bedeutet keine Positiv- oder Negativ-Auslese der Darsteller, sondern liegt zum Teil auch an der Farbigkeit und Dankbarkeit ihrer jeweiligen Rollen. Alle Farbpunkte passen gut zusammen – und man möchte auf keinen verzichten. 

Dabei scheint manches der Historie im Detail nicht gerecht zu werden: Wehner wirkt im Stück wie ein zwar bevorzugter, aber ansonsten hauptsächlich motzender und teil-intriganter Parlamentarier, einer von Vielen, wenn auch unter ihnen mehr ein Primus inter pares. Die Unheimlichkeit der grauen Emimenz, eine Wirkung, die der historische Wehner hatte, - dieser Piranha, wie er auf mich immer wirkte -, kommt hier zu kurz. Der historische Wehner (1906 - 1990), - sofern man ihn nicht ins Dämonische idealisiert -, hätte sich, denkt man, kaum mit den anderen SPD-Abgeordneten derart gemein gemacht, wie es die von Frayn geschaffene Figur mehrfach tut. Er wäre immer eine ungreifbare, extra sitzende Instanz gewesen. Historisch wahrscheinlich ist, dass Wehner kein Freund der sozial-liberalen Koalition von 1969 gewesen ist. Er machte aus seiner Abneigung gegen die FDP, die er als "Pendlerpartei" bezeichnete, kein Hehl und hätte lieber weiter im Hintergrund gearbeitet als gewachsener Juniorpartner der – damals wirklich noch – großen Koalition.

Es gibt einen schönen Konter von Franz-Josef Strauß (1915 – 1988) an Herbert Wehner, der ihn in einer Bundestagsrede unaufhörlich stört: "Ich weiß, Herr Wehner, dass Sie einen Gesprächspartner suchen, da Sie sich mit ihrem Nachbarn nicht gern unterhalten!" - Sein Nachbar war Willy Brandt. - 1973 ließ Wehner Brandt fallen, deutlich gemacht durch seine Äußerungen über Brandt während seines Moskau-Aufenthaltes im Sommer 1973; berühmt wurde: "Der Herr badet gerne lau". Damit war der Bruch mit Brandt vollzogen, den Wehner noch deutlich durch das gekaufte Mißtrauensvotums-Ergebnis vom 27.4.1972 gestützt hatte.


Die politische Wirklichkeit

Der damalige Außenminister Walter Scheel (1919 – 2016) bezeichnete das Mißtrauensvotum in seiner Rede vor der Abstimmung als "Versuch, die Veränderung der politischen Verhältnisse ohne Wählerentscheid" zu bewirken und warnte, dass dieser Schritt "den Nerv dieser Demokratie" treffen würde.  Der Versuch, einen Regierungswechsel in der Bundesrepublik Deutschland durch ein konstruktives Mißtrauensvotum herbeizuführen, war ein Novum. Diese Epoche brachte sehr viel Neues hervor! Man denke allein im Konsumsektor, um nur zwei Beispiele zu nennen, an die neue "Ritter sport"-Schokolade, neu in der Form, nämlich "quadratisch – praktisch – gut". Oder die neuen Joghurt-Becher des "Lünebest-Joghurts", - Slogan: "Lünebest Spezial-Joghurt" - die nun der Innenform der sie umfassenden Hand angepasst wurden. 

Ein Novum war auch gewesen, dass am Wahlabend des 21.10.1969 nicht die stärkste Partei, die CDU/CSU, die Regierung übernahm, übernehmen konnte, sondern dass sich zwei weniger starke Parteien in einer Koalition zusammenschlossen und auf diese Weise eine, wenn auch knappe, Mehrheit aufboten und den Kanzler stellten.  Es gab Stimmen, die damals von "Wahlbetrug" sprachen.  Damals galt aber unter den Bundesbürgern vielfach auch die Meinung, "20 Jahre CDU sind genug".  Ein Wechsel stand in jedem Fall an.  Historiker wie Arnulf Baring (1932 – 2019) waren allerdings der Ansicht, die wesentlichen Innovationen seien bereits während der ersten großen Koalition vorbereitet und eingeleitet worden, deren SPD-Personal sich ja teilweise dann mit dem SPD-Personal der ersten sozial-liberalen Koalition deckte. Außenminister der großen Koalition war damals Willy Brandt selbst gewesen.

Sonderbar ist die Behauptung im Stück, die Deutschen hätten seit knapp 40 Jahren "keine Bewegung" kennengelernt. Gemeint ist "demokratische Bewegung" und sicherlich auch "Entwicklung" (was immer das auch heißen mag).  Blickt man einmal in Wolfgang Kraushaars (*1948) "Protest-Chronik 1949 – 1959", wird dieser Eindruck nicht bestätigt; im Gegenteil wird das Bild der angeblich unpolitischen und schlafend-ruhigen Anfangsjahre der Bundesrepublik Deutschland überraschend korrigiert!

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