Clemens Blattner
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Fassbinder kannte Ignatz Bubis nicht. Bubis war auch nicht Vorbild für die Figur des „Reichen Juden“: das ist zwischenzeitlich längst geklärt, auch gerichtlich. Ob andere Personen, die in der heißen dritten Phase der Westendspekulation aktiv waren, hierfür Pate standen: das soll nicht hier geklärt werden.
Wichtiger ist, dass Bubis Fassbinders Dramentext kannte: in seiner Autobiographie erzählt er, dass er es auf der Toilette des Bad Homburger Casinos von Anfang bis Ende gelesen hat. Danach stand sein Entschluß fest, dass das nicht auf einer deutschen Bühne inszeniert werden dürfe. Auf dem Transparent, mit dem die Bühnenbesetzer protestierten, stand „subventionierter Antisemismus“. In den Feuilletons nicht nur jüdischer Zeitschriften wurde behauptet, das Stück selbst sei antisemitisch. Es scheint mir einen genaueren Blick wert, dass Bubis den Fokus in seiner Autobiographie ein wenig verschiebt: da stellt er seine Furcht heraus, das Theaterpublikum könnte applaudieren, wenn die Figur des Nazis Hans von Gluck ihre Hetztiraden herausschreit. Also eine – keineswegs unberechtigte – Angst vor antisemitischen Relikten im deutschen Publikum!
Was in Fassbinders Dramen durchscheint, ist der Protest gegen eine Gesellschaft, die sich ungerecht gegenüber Minderheiten verhält: schon in seinem ersten Stück „Katzelmacher“ (von 1968, ein Jahr später verfilmt) ist der griechische Gastarbeiter Jorgos eigentlich kein richtiger Sympathieträger. Aber seine kleinbürgerliche Umgebung ist richtig unsympathisch, wenn sie ihn verfolgt. Genauso Ali in „Angst essen Seele auf“: was den Zuschauer für ihn einnimmt, sind weniger seine eigenen Handlungen als die Ungerechtigkeit, wie er von seiner Umwelt behandelt, besser: mißhandelt wird. Wir könnten verallgemeinern: weniger ein Engagement für die Anliegen einer bestimmten Minderheit, sondern mehr der Protest gegen eine zumeist miefige kleinbürgerliche Gesellschaft, die keine Abweichung von ihrer eigenen Spießigkeit dulden will.
Was bei Bubis beachtlich ist: in seinen reifen Jahren sein Engagement für verfolgte Minderheiten: für Migranten, gegen den Abbau des ursprünglich aus historischer Verantwortung für deutsche Schuld ins Grundgesetz an prominter Stelle aufgeführte Grundrecht auf politisches Asyl. Für das deutsch-jüdische Verhältnis hat er viel geleistet.
Markert meint: „Ignatz Bubis hat jenseits der Fünfzig zu gegebener Zeit seine Chance genutzt, wirtschaftlich erfolgreich zu werden.“ Jenseits der 50? Bei Jahrgang 1927 wäre das also ab 1977. 1978 wurde Bubis erstmals in das Direktorium des Zentralrates der Juden in Deutschland gewählt: da war er für die Jüdische Gemeinde deutschlandweit erfolgreich. Wirtschaftlich aktiv war er selbstverständlich schon deutlich länger. Wohl nur, weil er marktwirtschaftlich genug verdiente, konnte er es sich leisten, auch gesellschaftspolitisch so aktiv zu sein. Weil die Nazis ihm Schul- und Berufsausbildung verweigerten, blieb Bubis kaum eine andere Chance als sich als Selbständiger eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen: zunächst im Goldhandel, dann im Immobiliendevelopment.
In mehreren Interviews sagte Bubis, dass die Berufsbezeichnung „Spekulant“ durchaus zutreffend sei, auch wenn er den Begriff „Konjunkturritter“ bevorzuge. Nur wenn jemand „jüdischer Spekulant“ rief, dann habe er sich gewehrt – sehr zu Recht: denn im geflügelten Wort vom „jüdischen Spekulanten“ werden auf den ersten Blick Dinge verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben, nämlich eine Religionszugehörigkeit und eine marktwirtschaftliche Betätigung. Auf den zweiten Blick ist „jüdischer Spekulant“ der Beginn antisemitischer Projektionen: wer das verknüpft, wechselt von der Suche nach Wahrheit zu den Grundlagen vorurteilsvoller Ressentiments.
An Marktwirtschaft gibt‘s so manches zu kritisieren. Doch die Kritik sollte sich gegen das Marktsystem richten – nicht gegen einzelne Personen. Das gilt auch für Bubis.
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