Clemens Blattner
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wenn Ignatz Bubis gewürdigt wird, dann darf Rainer Werner Fassbinder nicht fehlen: so scheint es, wenn man „Wer ohne Fehl, der werfe den ersten Stein“ liest. Tatsächlich ist dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden und dem Filmemacher gemeinsam, dass beide sich für Minderheiten engagiert haben – das aber in sehr unterschiedlicher Weise.
Das hat Autor Heinz Markert in seinem Artikel "Wer ohne Fehl, der werfe den ersten Stein" vom 20. August auch nicht gemeint. Er greift die Mythen rund um „Der Müll, die Stadt und der Tod“ auf – Fassbinders wirkmächtigstes Theaterstück. Das Stück, das ungewollt auch der Jüdischen Gemeinde geholfen hat, als Akteur in der Bundesrepublik beachtet zu werden – nachdem rund ein Dutzend ihrer Mitglieder, darunter Ignatz Bubis, die Uraufführung von „Müll – Stadt – Tod“ im Frankfurter Schauspielhaus 1985 per Bühnenbesetzung verhindert hatten, wurde die Jüdische Gemeinde von bundesdeutschen Institutionen respektvoller behandelt.
Das will erläutert sein, darum der Reihe nach. In „Wer ohne Fehl...“ fließen die Gedanken sehr frei: alle möglichen Themenbereiche werden touchiert. Personen, Dinge und Verhältnisse werden gewertet – ohne sie wirklich zu durchdringen. Drei Aspekte will ich behandeln:
1. Fassbinders Drama „Müll – Stadt – Tod“
2. Die Westendspekulation (von den 1950ern bis zu den 1970ern)
3. Die Beziehung Bubis – Fassbinder
1. Rückblende zu einem Theaterstück
Markert mag Fassbinders „Müll – Stadt – Tod“ nicht: offen bekennt er, „dass er ... das Stück nicht für voll nehmen konnte und links liegen ließ“. Das ist sein gutes Recht, nur empfiehlt es sich dann, es auch tatsächlich liegen zu lassen und nichts weiter dazu zu sagen. Denn wenn man behauptet, „das Stück steht in der Tradition ähnlich gearteter fragwürdiger Machwerke“, dann reiht man es ein in einen Kanon antisemitischer Theaterstücke. Dann sollte man es aber gelesen haben. Oder einen Blick in die fundierte Analyse von Peter Menne werfen: „Die Dramatisierung eines Romans. Eine vergleichende Untersuchung zu Gerhard Zwerenz: «Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond» und Rainer Werner Fassbinder «Der Müll, die Stadt und der Tod»“ [1].
Mennes Band entwickelt seine Interpretation in ausführlicher Auseinandersetzung mit Befürwortern und Gegnern des Stücks – und kommt zu klarem Ergebnis: kein antisemitisches Stück, sondern eines über die Funktionsweise von Antisemitismus. Fassbinder geht mit „Müll – Stadt – Tod“ auf die Suche nach den gesellschaftlichen Bedingungen, die Ressentiment und Vorurteil ermöglichen und fördern: ein Abgesang auf die Kälte marktwirtschaftlicher Beziehungen. Ein Abgesang auf einen Markt, der sich ungehemmt alle Lebensbereiche, auch die Intimitäten, unterwirft – und die Gesellschaft unmenschlich werden läßt. Peter Menne zeigt auf, wie sich das Stück in das Werk von Fassbinder einreiht, der seit seinen ersten Stücken Partei gegen ungerechte Verfolgung von Minderheiten ergriffen hat.
„Müll – Stadt – Tod“ ist kein „verunglücktes Stück“ (Markert), sondern ein expressives Bild einer kalten Gesellschaft: eine dramatisch knappe Skizze der Mechanismen, die zu Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit führen. Die Befürchtung, dass Rechte und Neonazis sich des Stückes bedienen könnten, hat Micha Brumlik schon 1987 zurückgewiesen: „Fassbinders Stück war uns ist nicht dazu geeignet, etwa im Großen Saal der Jugendherberge von Celle von der Wiking-Jugend aufgeführt zu werden. Zu grell ist die Sprache des Dramas, zu unkonventionell die Welt sexueller Inversionen, als daß es «normalen» Rechtsextremisten zumutbar wäre“ [2].
Markert vermisst „wenigstens einmal“ eine Aufführung des Stücks. Schade, dass er die szenische Lesung im Frankfurter Gallus Theater verpaßt hat: Das Symposium „Der Müll, die Stadt und der Skandal. Fassbinder und der Antisemitismus heute“ lief da am 31. Oktober 2015, exakt am dreißigsten Jahrestag der Bühnenbesetzung im Frankfurter Schauspielhaus. Bei der szenischen Lesung standen zumeist genau die Schauspieler auf der Bühne, die das Stück im Oktober 1985 hätten uraufführen sollen. Der Humanistische Pressedienst berichtete ausführlich über das Symposium [3]. Der gleichnamige Sammelband zum Symposium ist lesenswert: vom Gespräch mit Michel Friedmann, damals Kulturreferent der Jüdischen Gemeinde und einer der Bühnenbesetzer, bis zum Abriß über die Westendspekulation und den antisemitischen Projektionen, die dabei erblühten.
FORTSETZUNG FOLGT
ANMERKUNGEN
[1] Peter Menne: „Die Dramatisierung eines Romans...“, Alibri-Verlag, 2018
als e-Book: https://www.alibri-buecher.de/E-Books/Buecher/Peter-Menne-Die-Dramatisierung-eines-Romans::591.html
Printausgabe: https://www.alibri-buecher.de/Buecher/Denken-Diskurs/Peter-Menne-Die-Dramatisierung-eines-Romans-Bd-1::630.html
[2] Micha Brumlik im taz-Interview: Krankfurt-Ballade in Manhattan, taz, 18.04.1987
[3] hpd-Bericht vom Symposium „Der Müll, die Stadt und der Skandal“ auf https://hpd.de/artikel/12393
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