wpo IMG 3888Ausstellung "Suchen. Finden. Fundstücke." im Kunstverein

Hanswerner Kruse:

Fulda (Weltexpresso) - Am letzten Wochenende eröffneten im Fuldaer Kunstverein vier Künstlerinnen und ein Künstler ihre Ausstellung "Suchen. Finden. Fundstücke." Zur Begrüßung der Gäste trug Singer/Songwriter Kosch (Konstantin Enders) zunächst einen selbst geschriebenen Rock-Song vor:

„...Wir wissen nicht genau ob wir finden was wir suchen
Aber wir hoffen, dass das was wir suchen uns findet...“

Im großen Saal des Fuldaer Kunstvereins heulen lebensgroße Wölfe aus Draht, Lumpen und Zement feurige Öl- oder Materialbilder an. Aus dem offenen Kamin im Nebenraum quellen weiße unglasierte Teller und bedecken teilweise den Boden. Im dritten Ausstellungsraum entführt schrille, afrikanisch wirkende Pop-Art in exotische Welten, darunter ringelt sich am Boden ein großes, teileweise bunt bemaltes Baumgerippe um einen Stützpfeiler. Dazwischen Fleischwölfe mit kleinen Fell-Applikationen, bemalte Palmblätter oder bunte PC-Tastaturen, Stiere aus altmodischen Türscharnieren, „Kunsthonig“ mit der Mona Lisa in Bienengelee. Am Rand dieses gut kuratierten Sammelsuriums finden sich viele figurative Skulpturen aus eher klassischen Materialien wie Holz oder Sandstein, aber auch strenge Geschöpfe aus zusammengesetzten Fundstücken. Es ist eine seltsame künstlerische Melange, welche die vier Ausstellerinnen und der Aussteller in der Galerie des Kunstvereins am Dahliengarten servieren.
Die Laudatio zur Eröffnung hielt der freie Journalist Hanswerner Kruse (also ich):

1. Die Liebe zum Abfall

Van Gogh schrieb einst in einem Brief: 
Heute bin ich mal auf dem Fleck gewesen, wo die Aschenmänner den Müll jetzt hinbringen. Donnerwetter war das schön! Morgen bekomme ich einige interessante Gegenstände von diesem Müllabladeplatz zur Ansicht als Modelle, unter anderem kaputte Straßenlaternen, verrostet und verbogen, der Aschenmann wird sie mitbringen. Das wäre was für ein Andersensches Märchen, diese Sammlung ausgedienter Eimer, Körbe, Kessel, Soldaten-Kochgeschirre, Ölkannen, Draht, Straßenlaternen, Ofenrohre“ (Assmann 389f.).

Der Maler nutzte die ihn faszinierenden Dinge aus dem „wahren Paradies für Künstler, so unansehnlich sie auch sein mögen“, lediglich als Requisiten für seine Gemälde.  Erst einige Jahrzehnte später erklärte Kurt Schwitters Überflüssiges, Ausgedientes, Kaputtes selbst zum künstlerischen Material:


wpo IMG 3891„Ich sah nämlich nicht ein , weshalb man die alten Fahrscheine, angespülte Hölzer, Garderobennummern, Drähte und Radteile, Knöpfe und altes Gerümpel aus Bodenkammern und Müllhaufen nicht ebenso gut als Material für Gemälde verwenden sollte, wie die von Fabriken hergestellten Farben“ (Assmann ebd.).
Also malte van Goghaltes Gerümpel mit Farben. Schwitters dagegen „malte“ mit altem Gerümpelstatt mit Farben und schuf so die Basis für Collagen. Dazwischen wirkte damals noch Marcel Duchamp, der konsequent Gebrauchsgegenstände - wie ein Urinal oder einen Flaschenständer - aus ihren alltäglichen Zusammenhängen riss und diese objets trouvés, die gefundenen Gegenstände, als Readymades zur Kunst erklärte.

wpo IMG 3892Das alles war im frühen 20. Jahrhundert nicht nur dadaistische Destruktion der Kunst oder  Provokation durch die Fluxus-Bewegung um 1960. Ernsthaft betroffen - nämlich jeweils auf dem Hintergrund eines Weltkriegs - setzten sich die Künstlerinnen und Künstler mit dem Problem auseinander, Kunst und Lebenswelten miteinander zu verbinden.
Sie wollten der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, Kompost für die steril gewordene künstlerische Moderne sein oder als kulturelles Gedächtnis wirken.
Wie die Surrealisten empfanden viele „Schönheit als die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Operationstisch." 
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Es ist so, als brachen alle Dämme, „als die Künstler sich um 1910 herum auf das Meer des nie Geahnten wagten“ (Adorno): Fundstücke, Alltagsgegenstände und wertlose Materialien interessierten die Künstlerinnen und Künstler nicht weil sie arme Leute waren, sondern sie nutzten sie bewusst als Collagen zur Erneuerung der Malerei und eroberten schließlich mit Montagen, Assemblagen und Installationen die gesamte Bildende Kunst der Moderne. Arte Povera wurde auch ein Zweig der Kunstgeschichte.


In den hier ausgestellten Arbeiten Hannah Wölfels oder Birgit Hackbarts kann man die Nutzung wertloser Materialien wie Putz, Abfälle und alltäglicher Dinge erkennen: Birgits Kompositionen von verrosteten Blechen auf Zement erinnern an frühe Collagen der Kunstgeschichte. Die Weiterbearbeitungvon Hannahs Fleischwölfen oder Birgits Figuren transformieren wiedererkennbare Fundstücken in eigenständige neue Artefakte.

wpo IMG 3881Der Hinweis auf die Teller soll hier nicht vergessen werden. Es ist weiße also unglasierte Rohware der längst geschlossenen Waechtersbacher Keramikwerke. Gemeinsam kreierten Hannah und Birgit den überquellenden Ofen, Birgit fasste zerbrochene Teller in Beton, Hannah vollendete die Fundstücke als „Zierstücke“ (wie es bei den Töpfern heißt).

Ihre inneren Fundstückepräsentiert dagegen die Malerin Birgit Kalkofen, die früher viele Länder in Asien und Afrika bereiste und ihre sinnlichen Eindrücke: die Gerüche, Farben und Geräusche, gleichsam das Lebensgefühl dieser fremden Welten, in sich bewahrte. In diesen farbenfrohen Arbeiten greift sie auf diese nachfühlbaren Erinnerungen zurück. Allerdings konfrontiert sie die Besucherinnen und Besucher im gleichen Raum auch mit leicht stilisierten Bildern, in denen weiße Urlauber nach diesen exotischen Paradiesen auf anderen Kontinenten zu suchen scheinen.

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2. Kreativer Aberglaube

IMG 3934Diese Ausstellung arbeitet gegen den Aberglaubenan, kreative Eingebungen künstlerischer Genies fielen vom Himmel. Auch Picasso trug mit seinen Worten, „Ich suche nicht ich finde“, zu diesem Mythos bei. Im Film des Regisseurs Clouzot (1955) malt Picasso auf einer gefilmten Glasscheibe und beweist das Gegenteil: Er malt und zeichnet, wischt das Gemalte weg, pinselt erneut, übermalt das Gemalte, verwischt wieder alles - bis er das Suchen nach langer Zeit aufgibt und die gläserne Leinwand gegen eine neue auswechselt. Darauf schafft er in kürzester Zeit ein für ihn stimmiges Bild, dass alles enthält, was er vorher gesucht, verworfen und schließlich gefunden hat.


IMG 3905Auch da kommt uns van Gogh in den Sinn, der nicht einfach wie wild Farbe auf die Leinwände klatschte, bevor er sich etwas Ohr abschnitt. Das Licht seiner geliebten provenzalischen Landschaft wurde bei ihm zur Farbe, besonders beschäftigte ihn das Gelb der Sonne und der Helianthen, das er auf seinen Bilder bannen wollte. Zunächst versuchte er es mit Ocker, später suchte er dann, quasi wissenschaftlich, mit dem aufkommenden Cadmium- oder Chromgelb seine Empfindungen umzusetzen.
Künstlerinnen und Künstler sind Suchende, sie spüren Themen oder Motive auf, suchen Modelle oder Vorlagen, fertigen Skizzen an, probieren Farben und Formen. Die technische und gestalterische Umsetzungihrer Ideen ist wichtiger Teil der künstlerischen Arbeit.


wpo IMG 3899Dabei können sich die Kunstschaffenden in Sackgassenverirren, müssen aufgeben oder wieder neu beginnen. Sie können aber auch die Besonderheiten des Materials, die Zufälle oder Fehler erkennen, aufgreifen und nutzen: Intuition ist dabei mehr als hilfreich!

Günther Heinisch sagt dazu: „Ich arbeite meist figürlich mit gefundenen Hölzern und Steinen in verschiedenen Formen. Dabei haben sowohl die gefundenen Formen als auch die Eigenschaften der Materialien, wie Maserungen oder Adern, Einfluss auf meine Assoziationen zur Gestaltung. 
Man könnte sagen, die Fundstücke inspirieren mein Schaffen
.“ Oft entstehen „erzählende“ Skulpturen, das leicht abstrahierte Paar im Baumstamm, die im Baum gefangene oder sich daraus befreiende Frau.

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Elvira Peter sucht nach Themen wie Lebensfreude oder Begegnungen, sie malt schnell, lässt sich auf Zufälle ein und ist oft selbst überrascht, was entsteht: „Das Bild wird manchmal anders als geplant“, meint sie. Auf ihrem schwarz-weißen Bild im Ofenraum hat sie bewusst mit der Technik zur schwarz/weißen Gestaltung gerungen. Insgesamt changieren ihre Arbeiten vom Figurativen zum Abstrakten - und lassen sich erspüren.

Birgit Hackbart meint: „Die Gestaltung gleicht einem Spiel, dessen Ausgang offen ist“.

IMG 3908Hannah Wölfel „möchte die Dinge befreien und wachküssen, möchte sie bei ihrer Verwandlung unterstützen. Dieser kreative Prozess ist nicht beliebig, sondern ein Kampf, der die Wahrnehmung schärft und die ernsthafte Gestaltung der Fundstücke erfordert!

Der künstlerische Prozess des Suchens und Findens ist also nicht ganz so einfach, wie Picassos Spruch oder andere Kalenderweisheiten es uns weismachen wollen.




3. Hilft Morden im kreativen Prozess?

IMG 3887In dem vor kurzer Zeit veröffentlichten Psychothriller „Die stumme Patientin“ beschreibt Alex Michaelides die aufwendige und mühselige Arbeit einer Malerin (ZITAT S. 16). Nachdem sie eines Tages plötzlich ihren Mann mit einem Gewehr erschoss, „modifizierte sie den kreativen Prozess drastisch, indem sie ein Gemälde innerhalb weniger Tage nach dem Mord an ihrem Mann fertigstellte.“ Der Autor, ein ausgebildeter Psychotherapeut, schreibt weiter: „Es ergibt absolut Sinn, dass sie zu ihren Pinseln und Farben greift und ihre komplizierten Gefühle auf der Leinwand ausdrückt.“



wpo IMG 3925Können wir daraus schließen, dass man morden und leiden muss, um ein guter Künstler, eine gute Künstlerin zu sein? Ist eine schlechte Kindheit hilfreich, wie der provokative französische Literat Michel Houellebecq (S.6) meint:

„Henri ist ein Jahr alt. Er liegt am Boden, seine Windel ist voll; er schreit. Seine Mutter geht mit klackernden Absätzen durch den gefliesten Raum, sie such ihren BH, ihren Rocke. Sie hat es eilig zu ihrem abendlichen Rendezvous zu kommen. Dieses kleine verschissene Ding, das da auf den Fliesen zappelt, geht ihr enorm auf die Nerven. Sie fängt ebenfalls an zu schreien. Henri schreit umso lauter. Dann geht sie!
Ein geglückter Start für Henris Dichterlaufbahn!


Bissig macht Adorno in seiner „Ästhetischen Theorie“, in die wir schon mal reinschauten, deutlich: 
Kunstwerke sind unvergleichlich viel weniger Abbild undEigentum des Künstlers, als ein Doktor sich vorstellt, der Künstler einzig von der Couch her kennt. Nur Dilettanten stellen alles in der Kunst aufs Unbewusste ab. Ihr reines Gefühl repetiert heruntergekommene Clichés“ (Adorno 21). Unbewusste Regungen sind lediglich Impuls und Material neben vielen anderen Faktoren. Das abgemalte Pferd, oder in unserem Fall, die gestalteten Wölfe sind gestaltete Wölfeund kein Persönlichkeitstest der Künstlerinnen.

Tja, was nun?

  • Die ausgestellten Arbeiten sind (meist) offene Kunstwerke, die uns die gleiche Aufgabe zumuten, wie andere Themen und Materialien in der zeitgenössischen Kunst.
  • Die Ausstellung ist nämlich kein Suchspiel, wir sollten eigene Gefühle zu den Bildern und Kunstwerken zulassen und eigene Interpretationen wagen.
  • Birgit hofft, „vielleicht verlassen unsere Besucher die Ausstellung mit einem neuen Blick für Fundstücke, die noch auf ihre Entdeckung warten.“

Foto:
(c) Hanswerner Kruse
Letztes Bild: Der Autor als "Fundstück" (Performance zur Eröffnung)

Literatur:
Theodor. W, Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt 1970
Aleida Assmann: Erinnerungsräume, München 2003
Michel Houellebecq: Lebendig bleiben, Köln 2006
Alex Michaelides: Die stumme Patientin“ München 2019