wolf leonce lena szene 01 fc1bf45bb1LEONCE UND LENA – ERNST-DEUTSCH-THEATER, HAMBURG, Teil 2/2

Wolfgang Mielke

Hamburg  (Weltexpresso) - Büchner - wie viele seiner Freunde – litt an dem reglementierten Leben im Deutschland nach dem Wiener Kongress (1815); der Erstarrung; der Verbote; der Langeweile. Prinz Leonce lässt er sagen: #"Was die Leute nicht alles aus Langeweile treiben! Sie studieren aus Langeweile, beten aus Langeweile, sie verlieben, verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich aus Langeweile, und – das ist der Humor davon – alles mit den wichtigsten Gesichtern (...)"#

Wie sehr diese Äußerung des Prinzen Leonce auch Büchners eigene Ansicht und Verzweiflung war, wird aus einer anderen Passage des schon zitierten Briefes an Gutzkow, 1836 aus Straßburg, deutlich – und damit auch seine Vorliebe für die Welt seines Valerios: #"Ich glaube, man muss in sozialen Dingen von einem absoluten# Rechts#grundsatz ausgehen, die Bildung eines neuen geistigen Lebens im# Volk# suchen und die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen. Zu was soll ein Ding, wie diese, zwischen Himmel und Erde herumlaufen? Das ganze Leben derselben besteht nur in Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben, das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann."# -

wolf leonce lena szene 02 cfaf44d0efDieser Weg führt aber zu der wichtigen Beobachtung und Konsequenz, die Hans Mayer als schließlich Antwort darauf gegeben hat, wie dieses Büchner so untypische Stück denn doch überhaupt zustande gekommen ist: #"Die Grundstimmung, die Büchner ein 'Lustspiel' schaffen lässt, ist nicht fröhlicher Mutwillen oder heiter lächelnder Spott, sondern Hass. (...) Die scheinbar so frohe Hymne auf Müßiggang und Langeweile entstammt bei Büchner dem Hass und der Verzweiflung."# --- Das Lustspiel also die Fortsetzung des Kampfes in der Verkleidung; getarnt; - oder anders formuliert: Selbst in ein Lustspiel dringt der Verdruss an der Wirklichkeit und der Hass auf sie und die Verzweiflung über die politischen Zustände hinein; die negativen Gefühle sind stärker als jeder Gedanke an Amüsement, an Zerstreuung und Unterhaltung, der ja auch ein Einverständnis mit den Zuständen der gegenwärtigen Wirklichkeit immer voraussetzt. -

Der Realismus war in der Inszenierung des Ernst-Deutsch-Theaters nicht nur (per se) dem Valerio und der Gouvernante zugegeben, sondern ich sah sie auch in einer alten Langnese-Eistruhe an der Rückwand im Hintergrund. Sie trug noch das alte Markisen-Logo und schien für mich gewissermaßen die Erdung zu sein: Das Zeugnis des sachlichsten Realismus. Später war dann zu sehen, dass es sich leider nicht um eine wirkliche echte alte Eistruhe handelte, sondern um ein künstlich (auch leider in der größeren Nähe künstlich wirkendes) Behältnis. Damit war der so wichtige Wert der Realitäts-Erdung natürlich verschwunden. ---

Das Bühnenbild bestand aus drei hintereinander liegenden offen einsehbaren Räumen, die jeweils etwa um die Hälfte an Tiefe verloren. Dazwischen gab es Gassen, in denen man auf- oder abgehen, aber auch auf einer seitlich aufgehängten, selbst nicht sichtbaren Schaukel in die Bühne hineinschauklen konnte. Manchmal der Valerio mit Hasenmaske: Vielleicht als 'Springinsfeld'? Oder als Anspielung an das berühmte Kinderbuch "Die Häschenschule" als Inbegriff jenes Philistertums, das Georg Büchner in Gießen kennenlernte und das ihm so abgrundtief verhasst war?

wolf leonce lena szene 04 cc3f77ad40Das bleibt offen. - Vorne im Raum, rechts, ragt ein Brett aus der Wand, ähnlich einem Sprungbrett im Schwimmbad, nur dicker, oder wie der Zookäfig von Menschenaffen. Eine Form des von Büchner so verachteten Müßiggangs seiner Mitbürger. - Auf ihm liegt der Darsteller des Leonce (Raphael Dwinger) zu Beginn. Macht Geräusche eines Schaffners, der einen U-Bahn-Zug zur Abfahrt abfertigt. Nun ja. Betonung von Bewegung, meinetwegen, die ja aber im Stück selbst nur scheinbar stattfindet. #"Allenthalben gibt Büchner in seinem Werk Augenblicksbilder aus Wanderungen auf einer Straße ohne Ende; überall geht man weiter, aber nicht vorwärts, steht man am Ende, wo man schon am Anfang stand."# - Das ist eine treffende Beobachtung.

Manches davon war im Ernst-Deutsch-Theater herausgearbeitet. - Indes: "Leonce und Lena" ist ein Stück, das – so gut die Aufführung auch immer sein mag wie die von Robert Wilson im BE – nie #ganz# gelingt. Es gibt immer Aspekte, die unter den Tisch fallen; zwangsläufig vielleicht schon dadurch, dass man sich entscheidet, überhaupt eine Richtung einzuschlagen. ---- Auch als Hörspiel habe ich "Leonce und Lena" wahrgenommen: Einmal mit Oskar Werner (1922 - 1984) als verstehend-verschämter Leonce (1957/58; SWF); dann die von Professor Willi Schmidt (1910 – 1994) inszenierte gläsern-unterkühlte Version mit Klaus Kammer (1929 – 1964) als Leonce (1964; RIAS Berlin). --- Es sind immer Aspekte, die getroffen werden, und so umfassend sie auch sein mögen: Nie das Ganze. 

Im Ernst-Deutsch-Theater war der Anfang spannend; der Leonce brauchbar; die Rosetta (Rebecca Gollwitzer) teils sogar spannender; die Lena (Karla Sengteller) mit Brautschleier brauchte einige Zeit, sich aus diesem Schatten freizuspielen; die Gouvernante wurde nicht von einer Schauspielerin gespielt, sondern durch Daniel Schütter (= den Sohn von Friedrich Schütter und Isabelle Vértes-Schütter), der ein bißchen an Georgette Dee (*1958) erinnerte, aber der bessere Schauspieler ist. --- Dann der Valerio (Sven Walser), der mir gut gefiel; an einer Stelle gibt es sogar eine Parallele zu Goldonis "Der Diener zweier Herren" (1745), - was an das Motto #"E il fame?"# wieder denken lässt und auch an den Streit Gozzis mit Carlo Goldoni (1707 – 1793), dem er Verrrat und Verwässerung der Commedia dell'arte vorwarf.


Schließlich der König (Martin Seifert), der mir auch sehr gut gefiel, weich, unbestimmt, wehleidig, vielleicht sogar etwas maulig, wie ein großes Kind, das auf Zureden hört, aber auch wieder überrascht und so ein unberechenbarer Herrscher und launischer König ist. - Den Umstand der Wiederholung, der dauerhaften Bewegung, die gleichzeitig Stillstand ist, diese Beobachtung von Hans Mayer: #"(...) überall (...) steht man am Ende, wo man schon am Anfang stand."# hätte die Inszenierung noch deutlicher herausarbeiten können, indem Leonce, dem sein Vater, der König, am Ende die Herrschaft überträgt, sich nun ebenso zaghaft-unberechenbar seinem Volke präsentiert hätte. - Aber das kommt ja vielleicht, wenn die Inszenierung in der Zukunft irgend-(wann? -) einmal wieder aufgenommen wird – und sich der Zuschauerraum sich wieder angemessen füllen darf! - Derzeit liest Sven Walser täglich im Internet Abschnitte aus dem "Zauberberg" von Thomas Mann (1875 – 1955) vor, aus der Geschichte über Hans Castorp, der seinen Vetter im Sanatorium in Davos auf drei Wochen besucht – dann selbst krank wird – und sieben Jahre dort bleibt. - Hoffen wir, dass, so engagiert Sven Walser auch immer vorlesen wird, er diese Lesungen nicht beenden kann! – Nicht, weil er etwa selbst krank werden könnte, sondern weil diese Corona-Krise nicht so lange dauert, bis er dieses etwa 750 Seiten starke Buch vorgelesen hat!; und vor allem, weil diese Corona-Krise uns nicht allen eine Art von sieben Jahre dauerndem Sanatoriums-Aufenthalt aufnötigen soll! - Drücken wir also die Daumen!

Fotos:
© Ernst Deutsch Theater