Fachtag zum Thema gruppenbezogene Menschenfeindlichkei auf digitaler Basis
Corinne Elsesser
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - "Hanau und Halle: Ein Angriff auf uns alle?" Mit dieser Frage beschäftigte sich ein vom Religionspädagogischen Seminar der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau in Marburg organisierter Fachtag im Februar.
Der Fachtag fand online statt und erwies sich nicht als eine wissenschaftliche Tagung, wie zu erwarten gewesen wäre, sondern als ein virtuelles Treffen der von den grausamen Anschlägen der letzten Jahre in Halle oder Hanau direkt oder indirekt Betroffenen. Es wurde ein Austausch über persönliche Betroffenheit und Mitleiden mit den Opfern.
In ihren Grussworten bezogen zunächst Vertreter verschiedener Organisationen, die die Veranstaltung unterstützt haben, Stellung. Der Vorsitzende des Gemeinderates der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, Dr. Andrei Mares, betonte, dass Veranstaltungen wie diese eigentlich gar nicht notwendig sein sollten. Die Ereignisse in Halle und Hanau seien Ergebnisse eines Versäumnisses, dem Menschenhass wirksam entgegenzutreten. Rinaldo Strauß erinnerte als Geschäftsführer des Verbandes der Sinti und Roma in Hessen daran, dass bei dem fremdenfeindlichen Anschlag in Hanau am 19. Februar letzten Jahres auch Sinti und Roma zu Tode gekommen seien. Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, Dr. Meron Mendel, sprach von Betroffenheit, aber auch von Wut. Den Anschlägen läge eine Ideologie weisser Vorherrschaft zugrunde und es stelle sich die Frage, wie diese zu bekämpfen sei. Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau, wertete die Anschläge als Mahnung. Das vertrauensvolle Miteinander in der Gesellschaft werde infrage gestellt.
Zum Gastvortrag war Prof. Dr. Andreas Zick, Konfliktforscher und Sozialpsychologe am Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, geladen. In Krisenzeiten treten Normverschiebungen zutage und betreffen dann nicht mehr nur den Rand, sonder auch die Mitte der Gesellschaft. Diese verliere ihre regulierende und ausgleichende Funktion gegenüber Feindschaftskonstruktionen. Die zurzeit grassierende CoViD-19 Pandemie zeige, wie sich Entbindungen von gesellschaftlichen Normen beschleunigten und latent vorhandene Spaltungen verstärkten. Antidemokratische Haltungen werden demokratiefähig. Studien, die auch Emotionen berücksichtigten, wiesen einen hohen Prozentsatz latent rechtsextremer Einstellungen und Neigungen zu Populismus aus, der bei Jugendlichen bei 31-42 Prozent liege. Dies zeige, so Zick, wie bedenklich die Entwicklungen seien und wie dringend erforderlich neue Konzepte zivilgesellschaftlicher Bildung.
Statt einer Diskussion folgten Kurzimpulse. Samuel Salzborn, Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, beklagte, dass die Kritik an antisemitischen Straftaten in der öffentlichen Debatte immer wieder schnell verblasse. Dr. Markus End machte als Vorsitzender der Gesellschaft für Antiziganismusforschung auf unterschwellige rassistische Konnotationen im Sprachgebrauch der Polizei und anderer Institutionen aufmerksam. Und Saba-Nur Cheema, Leiterin Bildung an der Bildungsstätte Anne Frank, belegte anhand von Bildern und Narrativen in den Medien eine oft negative Darstellung von Muslimen.
Zum Abschluss fanden sich die Beteiligten noch einmal zusammen, leider ohne aus den Arbeitskreisen zu berichten, die nicht für ein allgemeines Publikum zugänglich waren und sich zwischenzeitlich mit Themen wie Antisemitismus, Antiziganimus, antimuslimischer Rassismus, Solidarität und "empowerment" der Betroffenen bei rechtem Terror beschäftigt hatten. Stattdessen Betroffenheit und Ratlosigkeit und schliesslich die Übereinkunft, das Problem Rassismus nicht an die Politik zu delegieren, sondern in die Gesellschaft zu tragen und gemeinsam anzugehen. Ein begrüssenswerter Ausblick, doch bleibt zu fragen, ob eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieser gesellschaftlich relevanten Thematik nicht angemessener gewesen wäre.
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Auszug aus der Einladung
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