3sat.de tsitsiEin Nachwort zum Friedenspreis für Tsitsi Dangarembga

Constanze Weinberg

Buxtehude (Weltexpresso) - Auf einem Nachtflug von Nairobi nach Frankfurter am Main wurde ich vor Jahren angesichts der Finsternis rund um unserem Flieger den Gedanken nicht los, der Kontinent unter uns gleiche einem schlafenden Riesen, der den Europäern bis auf vereinzelte Turbulenzen  über der Sahara nur selten in die Quere kommt. Nun hat sich der vermeintlich schlafende Riese wieder einmal zu Wort gemeldet, noch dazu mit der Stimme einer Frau. Ihr Name: Tsitsi Dangarembga; sie wurde mit dem diesjährigen Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt.

Die im heutigen Simbabwe geborene Schriftstellerin hat sich durch  zahlreiche Publikationen über das Leben der Menschen in Afrika einen Namen gemacht. Ihre Dankesrede in der Frankfurter Paulskirche vom 24. Oktober kann in den Blättern für deutsche und internationale Politik  (Heft 12/2021). nachgelesen werden. Eine interessante Lektüre, die auch die Frage  nach der Authentizität afrikanischer Literatur aufwirft.

In ihrer Rede rühmt Tsitsi Dangarembga Frankfurt am Main als schöne Stadt in einem Land, das für sie „immer die starke Nabelschnur des Westens“ gewesen sei. Wie diese Verbeugung zu verstehen ist, bleibt offen, sagte sie dem Westen doch im selben Atemzug nach,  er sei auf „vielfachen weiterhin praktizierten Formen der Gewalt“ aufgebaut, die er in  den Rest der Welt exportierte habe. In den postkolonialen Staaten würden sie jetzt so eifrig praktiziert, wie zuvor in imperialen und kolonialen Staaten.

Einerseits fühlt sich Tsitsi Dangarembga unverkennbar mit dem Westen verbunden, andererseits stellt sie in aller Schärfe fest, das Frieden unter diesen Bedingungen der Gewalt nicht gedeihen könne. Die globale Struktur, die diese Art von Gewalt geschaffen habe, könne nicht einfach aufgelöst werden. Mehr als sieben Milliarden Menschen  seien darin eingebettet. Die Antwort sei einfacher als wir dächten. Ethnisch determinierte und andere hierarchische Denkweisen müssten abgeschafft werden.

Nachdrücklich setzt sich die Schriftstellerin dafür ein, nicht länger viel Geld in die Beeinflussung der Menschen im Sinne bestehender Denkweisen zu investieren, bei denen es nicht um das Wohl der Menschen oder die Verbreitung des Friedens gehe, sondern „um etwas zu maximieren, das wir Profit nennen“. Ein System, das auf der einen Seite Konzentration und auf der anderen ein Defizit erzeugt, sei instabil und führe zwangsläufig in den Untergang. „Wir alle auf diesem Planeten brauchen heute dringend eine neue Aufklärung.“ Es müssten neue Gedanken entwickelt werden, die für unser Überleben notwendig seien.

Als Kind afrikanischer Eltern, das seine ersten Schuljahre in England verlebt hat und anschließend  eine nur weißen Mädchen vorbehaltene Eliteschule  im heimatlichen  Salisbury absolvierte, wuchs Tsitsi in  eine privilegierte Lebenswelt hinein, der sich später ein Studium an der Film- und Fernseh-Akademie in Deutschland und ein deutscher Ehemann hinzu gesellten. Entstand dadurch eine afro-europäische Denkweise, die sich abhebt von den afrikanischen Stimmen, die mir im Laufe des Lebens zu Ohren gekommen sind, Namen wie Patrice Lumumba, Yana Kenyatta, Julius Nyerere oder Nelson Mandela, in dessen in  Memoiren  sich der Satz findet: „Während der langen, einsamen Jahre (der Haft) wurde aus meinem Hunger nach Freiheit für mein eigenes Volk der Hunger nach Freiheit für alle Völker, ob weiß oder schwarz...“!

Was geschähe wohl, wenn der schlafende Riese Afrika damit begänne, eigene Autos zu bauen?

Foto:
Tsitsi Dangarembga
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