wannseekonferenztagesBrief an den Regisseur - von dem im ZDF gezeigten Fernsehfilm DIE WANNSEEKONFERENZ - Matti Geschonneck

Eberhard Görner

Bad Freienwalde/Oder (Weltexpresso) - Der untenstehende Brief greift ein Problem auf, das unmittelbar nach der Ausstrahlung des wichtigen Fernsehfilms, der im Zusammenhang mit dem 27. Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee, als der bürokratisch/administrative Anfang der Judenvernichtung und dem totalen  Judenmord des Dritten Reiches zählt: die Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942, nämlich die Frage, was mit den dort Gezeigten,  Mandatsträger und andere NS-Funktionsträger, nach 1945 passierte. Das wäre wirklich einer neuen Sendung wert, denn, man ahnt es schon, die meisten haben es im nachfaschistischen Westdeutschland zu Amt und Würden gebracht. Von daher freuen wir uns, daß wir diesen Brief abdrucken dürfen, der Folgen haben sollte.

Lieber Matti Geschonneck,

wir kennen uns nicht persönlich, aber Deinen Vater, Erwin Geschonneck, kannte ich gut, denn ich hatte 1979 die Dramaturgie zum Film HERBSTZEIT für die Reihe Polizeiruf 110 im Fernsehen der DDR. Dein Vater spielte die emotionell aufwühlende Rolle des Paul Wositschka an der Seite von Gerhard Bienert unter der Regie von Manfred Moosblech. Wenn ich Dir schreibe, dass wir uns - leider - nicht persönlich kennen, so kenne ich doch Deine Filme und habe kollegialen Respekt vor Deiner Handschrift. Du hast sie perfektioniert in der ZDF-Produktion DIE WANNSEEKONFERENZ von welcher Matthias Döpfner am 23. Januar 2022 in der WELT AM SONNTAG auf einer ganzen Seite versuchte, die Frage zu stellen, die auch heute keiner beantworten kann: " Wie kann es sein, dass die Ermordung der europäischen Juden in neunzig Minuten bei Kaffee und Cognac beraten wurde ? Der ZDF-Film DIE WANNSEEKONFERENZ entlarvt die Sprache dessen, was sprachlos macht." Ich habe ihm dazu geschrieben: "Sie sehen mich mit jeder Zeile Ihrer gedanklichen Auseinandersetzung synchron zu diesem barbarischen Thema. Die Kälte des deutschen Charakters, von Matti Geschonneck gnadenlos inszeniert, kann Angst machen vor der Zukunft. Denn in der Vergangenheit spiegelt sich immer die Gegenwart. Ihre Analyse von "Verharmlosung und Verrohung zu einer Sprache des Uneigentlichen" lese ich als Warnung, dass Gefahr nicht nur durch Waffen, Rüstungsexport und Aufrüstung droht. Wo letzteres hinführen kann, dokumentiert unser Dokumentarfilm KZ MITTELBAU -ERINNERUNGEN AN DIE HÖLLE welcher mit einem bewegenden Auftritt von Ernst Cramer vor dem Bundestag endet. Ihr Text zur WANNSEEKONFERENZ und unser Film über das KZ Mittelbau Dora sind Warntafeln, dass die deutsche Geschichte nie mehr vom Weg der Humanität abkommt !" Übrigens, was Ernst Cramer betrifft, in Augsburg geboren, er wusste, warum er den Bundestag aufforderte, für eine Minute stehend der Opfer des Holocaust zu gedenken. Er konnte sich in die USA retten, seine Eltern und sein Bruder wurden in Auschwitz ermordet.

Warum schreibe ich Dir das ? Weil mir an Deinem Film etwas fehlt. Er ist ja eine atemberaubende Mischung aus Spiel-und Dokumentarfilm, auf der Basis der Wannsee-Protokolle. Nach dem Abspann kommt unweigerlich die Frage auf, was ist mit den Teilnehmern dieser Vernichtungs-Konferenz nach 1945 geschehen ? Du siehst mich sicher, mit dem Namen Adolf Eichmann kann der eine oder andere Zuschauer etwas anfangen. Vielleicht weiß der eine oder andere sogar, dass das Todesurteil gegen Adolf Eichmann vor den Herren Richtern: Mosche Landau, Vorsitzender, Benjamin Halevi, Itzchak Raveh vor dem Bezirksgericht Jerusalem /Strafakt 40/61 verkündet wurde durch den Ankläger DER GENERALSTAATSANWALT DES STAATES ISRAEL gegen ADOLF SOHN DES ADOLF KARL EICHMANN ANGEKLAGTEN - der erste Absatz in der URTEILSFORMEL lautete: " (1.) Wir sprechen den Angeklagten aufgrund des ersten Anklagepunktes eines Verbrechens gegen das jüdische Volk, strafbar, gemäß Paragraph 1 (a) ( 1) des Gesetzes zur Bestrafung der Nazis und ihrer Helfer 1950 schuldig, indem er in dem Zeitraum vom August 1941 bis Mai 1945 in Deutschland, in den Ausländern und in den von Deutschland und den Achsenländern besetzten Gebieten, und in Gebieten, die der deutschen Herrschaft oder der Herrschaft der Achsenstaaten unterstanden, zusammen mit anderen,die Tötung von Millionen von Juden zum Zwecke der Durchführung des sogenannten Planes der Endlösung der Judenfrage verursacht hat, und zwar in der Absicht, das jüdische Volk zu vernichten."

Eine Absicht, die auch alle anderen Teilnehmer der Wannseekonferenz voll unterstützten. Was wurde aus ihnen ? Das hätte ich gerne im Abspann Deines Filmes erfahren, dass Gauleiter Alfred Meyer, Staatsminister im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, sich am 11. April 1945 in Zersen (Hessisch Oldendorf) per Suizid seiner Verantwortung entzogen hat. Ganz anders  Dr. Stuckart, SS-Obergruppenführer und Staatssekretär im Reichsministerium des Inneren. Er wurde 1950 als "Mitläufer" eingestuft und 1951 als 3. Landesvorsitzender in Niedersachsen in den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) gewählt. Im März 1953 verklagte Stuckart das Land Niedersachsen und erreichte im Oktober 1953 die Festsetzung ruhegehaltfähiger Dienstbezüge nach Besoldungsgruppe B5 der Reichsbesoldungsordnung, in die Ministerialdirektoren eingestuft wurden. Lange konnte er seine großzügige Besoldung, dank Wannseeekonferenz, nicht genießen. Im November 1953 kam er bei einem Autounfall ums Leben. Auch Erich Neumann, Staatssekretär in Hermann Görings Behörde für den Vierjahresplan, votierte für eine Endlösung der Judenfrage. Nebenbei war er ab 1941 stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Kontinentalen Erdöl AG zur Ausbeutung der Ölvorkommen in den besetzten Gebieten der Sowjetunion. Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde er nach drei Jahren Internierung Anfang 1948 entlassen und hatte noch schöne Tage, bis zu seinem Tod, am 23. März 1951, in Garmisch-Partenkirchen. Strafrichter Roland Freisler ließ die Rache Gottes für seine 2600 Todesurteile gegen den deutschen Widerstand bei einem Luftangriff, am 3. Februar 1945, in die Hölle fahren, was sich seine Witwe nach dem Krieg mit einer opulenten Rente per Reichsbesoldungsordnung vergolden ließ. Die Polen haben es richtig gemacht, als sie Josef Bühler, den ständigen Stellvertreter des Generalgouverneurs Hans Frank, am 21. August 1946, in Krakau durch das Oberste Nationale Tribunal zum Tode verurteilt und im Krakauer Gefängnis Montelupich aufhängten. Unterstaatssekretär Martin Luther, welcher im Auswärtigen Amt die Deportationen diplomatisch vorzubereiten und in den besetzten Ländern abzusichern hatte, putschte 1943 gegen seinen Vorgesetzten Rippentrop, daraufhin wurde er verhaftet und von Gestapochef Heinrich Müller, mit dem er auf der Wannseekonferenz Cognac genossen, verhört und ins KZ Sachsenhausen verbracht. Nach Kriegsende soll er an einer Herzattacke in Berlin gestorben sein. Durch seinen frühen Tod entging er der strafrechtlichen Verfolgung für seine Mitverantwortung an Judenmorden. Gerhard Klopfer, Ministerialdirektor in der Parteikanzlei der NSDAP, Staatsekretär in der Reichskanzlei und SS-Gruppenführer, er hatte mit seiner Vergangenheit gar keine Probleme. Im März 1949 wurde er nach seiner Entlassung aus einem Internierungslager durch eine Nürnberger Hauptspruchkammer als "minderbelastet" entnazifiziert. Ab 1952 war er Helfer in Steuersachen und ab 1956 als Rechtsanwalt in Ulm tätig. Ein Ermittlungsverfahren wegen seiner Teilnahme an der Wannseekonferenz wurde 1962 eingestellt.Nachdem er 1987 als letzter Teilnehmer der Wannseekonferenz gestorben war,wurde er in seiner Todesanzeige mit einem der Welt hohnsprechenden Text verabschiedet: "...nach einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflußbereich waren."

So ein "erfülltes Leben"war Ministerialdirektor Friedrich Wilhelm Kritzinger, Staatssekretär in der Reichskanzlei, nicht vergönnt. Er war zwar noch im Mai 1945 Staatsekretär in der Regierung Dönitz, wurde aber am 23. Mai von den Briten verhaftet und schon im April 1946 aus der Haft entlassen, im Dezember neuerlich verhaftet, doch aus gesundheitlichen Gründen erneut auf freiem Fuß gesetzt. Am 25. April 1947 starb er in Nürnberg. Otto Hofmann, General der Waffen-SS und General der Polizei, plädierte auf der Wannseekonferenz für die Sterilisierung von "Mischlingen". Im März 1948 wurde er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechn zu 25 Jahren Haft verurteit, aber schon am 7. April 1954 begnadigt und aus dem Zuchthaus Landsberg entlassen. Danach arbeitete er bis zu seinem Tode, am 31. Dezember 1982, in Bad Mergenheim als kaufmännisher Angestellter. Eine der ganz schlimmen Figuren am Konferenztisch am Wannensee war Heinrich Müller, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei. Er war ein Haupttäter der NS-Judenverfolgung und an nahezu allen Verbrechen führend beteiligt, die im RSHA geplant, vorbereitet und organisiert wurden. Im Mai 1945 wurde er in Berlin für Tod erklärt. Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement, Karl Eberhard Schöngarth, ließ von seinem Einsatzkommando zehntausende Juden erschießen. Für die Niederlande erließ er einen "Niedermachungsbefehl" und in Lemberg an der Hochschule polnische Professoren ermorden. Fast wäre er dem Henker entkommen, denn der Internationale Militärgerichtshof konnte seine direkte Beteiligung an den Massenmorden nicht nachweisen. Doch die Gerechtigkeit siegte: Schöngarth wurde am 16. Mai 1946 im Zuchthaus Hameln gehenkt. Rudolf Lange, SS-Standardenführer und Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD tötete mit seiner Einsatzgruppe A über 250 000 Menschen in weniger als sechs Monaten. Beim Kampf um Posen wurde Lange verwundet und beging Suizid. Der Anführer dieser Mörderbande, Reinhard Heydrich, er wurde am 4.6.1942 in Prag durch ein Attentat gerichtet, hinterließ seiner in Schleswig-Holstein lebenden Witwe nach dem Krieg die Pension eines Ministerpräsidenten, siehe Reichsbesoldungsordnung.

Wohl wissend, lieber Matti Geschonneck, dass diese erschreckenden Fakten keinen Platz auf Deinem Film-Abspann gefunden hätten, aber ein Extra-Dokumentarfilm zum "entnazifizierten Nachkriegsdeutschland" wäre wichtig gewesen. Auf Deiner Berliner Film-Premiere hat Bundespräsident Steinmeier für das Wegschauen nach 1945 bundesdeutscher Justiz gegenüber Nazi-Verbrechern, Worte der Scham gefunden. Das ehrt ihn. Dich ehrt Dein Film DIE WANNSEEKONFERENZ und mich würde freuen, wenn wir uns demnächst einmal in die Augen schauen könnten. Gesundheit und Schaffenskraft war der Wunsch meiner Mutter. Ich gebe ihn gern an Dich weiter.

Dein Bruder im Geiste -
Eberhard Görner

Foto:
©tagesschau.de

Info:
Weltexpresso hatte zum angesprochenen Fernsehfilm einige Artikel gebracht: 
https://weltexpresso.de/index.php/kino/24339-die-wannseekonferenz
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/24392-aus-dem-haus-der-wannsee-konferenz
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/24390-wessen-gedenkt-man-wenn-man-vieles-in-einen-topf-wirft