Serie: MARIA ORSKA ... WIEDERENTDECKT ...Die Verfolgung einer kulturhistorischen Spur..., Teil 14/15
WM.Wolfgang.Mielke
Hamburg (Weltexpresso) - Maria Orska wird nach 1927 in Texten von Tucholsky nicht mehr erwähnt und geriet allmählich in den Teufelskreis des steigendem Drogenkonsums, um die Leistungen auf der Bühne auch weiterhin schaffen zu können. - Sicherlich auch ein Kampf gegen das Altern. - Die Konkurrenz wuchs ja laufend nach.
Einen Reichtum an begabten Schauspielern wie zwischen etwa 1880 und 1970 gibt es ja heute längst nicht mehr! Was jetzt in Theatern und im Fernsehen wirkt, wird oft schon von den Laien- oder Kleindarstellern der "Aktenzeichen-XY-ungelöst"-Filme übertroffen! - In jenen Jahren aber brauchte man nur in den Sack hineinzugreifen! – und hatte immer Qualität in der Hand! Was heute an noch begabten Schauspielerin auf viele Theater verteilt existiert, das fand man zu der Zeit leicht an einem einzigen Theater!
Noch aber steigern sich die Leistungen der Orska! - Auch wenn sie mehr und mehr den Eindruck einer Getriebenen macht. --- Zeitweilig versucht sie, Mitte der 1920er Jahre, in Paris Fuß zu fassen. Sie hat dabei große Hoffnungen und Erwartungen in den Theatermann Louis Verneuil (1893 - 1952) gesetzt, in dessen Stücken "Karussell" und "Die Cousine aus Warschau", - gehobenes Boulevard -, sie so erfolgreich gespielt hat. Aber Verneuil behandelt sie gleichgültig bis abweisend. ----- Immer mehr schimmern Tragik und Alter durch ihre gewohnt verführerischen Darstellungen hindurch. Fotos aus dieser Zeit haben daher einen besonderen, einen bereicherten Reiz. - Ein letzter Blick auf Kritiken dieser ihrer späteren Auftritte soll das, ebenfalls noch einmal im Zeitraffer komprimiert, deutlich machen:
#"Die junge, ahnungslos verschwenderische, berauschte und berauschende Königin ist Elisabeth Bergner. Sie hat die Kindlichkeit, Unschuld, Sorglosigkeit, und sie hat Zähne, Klauen und Fänge, Schärfe, Härte und Schneidigkeit. Sie hat das Alles nicht neben einander, sondern mit einer wunderbaren, einer berückenden Fülle schwebender, flimmernder Töne in und durch einander. Megäre und Mädelchen. Sie wird plötzlich heiser, dass man selbst einen rauhen Hals bekommt. Sie hat Kraft und Temperament. Sie hat Mut und Humor. Sie hat, wie Strindberg, die Flamme; und ihre erlischt nicht zu früh. Sie ist so künstlerisch stark und rein und so frei von falscher Dämonie, dass beinah zu einem Rätsel wird, wie sie in der Stadt der Orska bestehen kann."#
(Siegfried Jacobsohn (1881 - 1926), "Die Weltbühne", 14.12.1922; - Elisabeth Bergner (1897 – 1986) kam 7 Jahre später als Maria Orska nach Berlin: 1921; über ihre von Jacobsohn beschriebene Rolle in Strindbergs "Christine von Schweden" schrieb Alfred Kerr am 15.12.1922: #"Der Abend hieß demnach: Bergner. Mit Vornamen Elisabeth. Denn das gleichgültige Stück verblasst hierneben."#; der Durchbruch in Berlin gelang ihr 1923 als 'Rosalinde' in Shakespeares (1564 - 1616) "Wie es euch gefällt" (um 1599).)
#"Die Technik der Orska ist unorganisch. Sie ist nicht das Mittel, das Menschentum zu durchdringen, umzuschmelzen, in neue Form zu gießen. Sie ist das Mittel, das Menschentum in Anführungsstriche zu setzen, zu kommentieren, zu verzieren. Die Lossen kommt aus Mangel an technisch durchgebildetem Ausdruck zu keiner Form. Die Orska durch Routine."#
(Herbert Ihrering (1888 – 1977) in seiner knapp 50 Seiten umfassenden Betrachtung "Der Kampf ums Theater" von 1922; - Lina Lossen (1878 – 1959) war eine gut beschäftigte Schauspielerin; der Vergleich mit der 15 Jahre älterin Kollegin überrascht.)
#"Die Atmosphäre dieser Schauspielerin ist international. Sie spricht das Französische mit dem leichten Akzent der Pariserin, das Deutsche mit polnischem Nebenklang, sie hat ein Ohr für die Musik der Sprachen, und wenn sie mit einem Liebhaber flirtet, spielt sie auch sehr hübsch Klavier. Alles in allem: die interessante Frau der Gegenwart. Vielfach schillernd. Am besten in der Rolle der großen Courtisane, die in Nizza ebenso zu Hause ist wie in Baden-Baden und für die das 'siebenmal verheiratet' und 'neunmal geschieden' dasselbe ist wie ein interessanter Bademantel. So plaudert sich die Orska über alles weg, was Leben heißt. Und doch liebt das Leben sie. Sie wäre sonst nicht prominent geworden."#
("Rhein-Ruhr-Zeitung Duisburg" vom 14.7.1926 über ihre Darstellung in Henri Verneuils Stück "Die Cousine von Warschau".)
#"Zu Anfang mehr artistische Virtuosin, am Ende aber im Zusammenbruch der maßlos Gefolterten erlebender Mensch. Unerhört ihr Schrei an der Wiege des toten Kindes."#
("Neues 8-Uhr-Blatt" vom 8.5.1924 über ihre Darstellung in Wedekinds "Musik".)
#"Die Orska schien mit Recht nicht weicher, als man bei Wedekind zu sein hat. (...) Doch wenn sie, als junge Mutter, ein einziges Mal jammert, wie sehr sie gelitten; mit schmuckloser Alltagsstimme, mit einer sozusagen unaufheblichen Trauer im Straßenkleid, das rechnet zu den ganz überzeugenden Seelenwirkungen auf der Bühne. Hier steht, bei bewusstestem Können, doch eine von den großen Aufrichtigen."#
(Alfred Kerr, 1918/19, über ihre Darstellung in Wedekinds Stück "Musik".)
#"Sie ist der Sentimentalität aus dem Weg gegangen. Im letzten Akt wird kein einziges Wort gesprochen. Ein mimisches Melodram des Leides. Es war eine große, ganz große Leistung!"#
("Die Freiheit", 20.10.1928, über ihre Darstellung in "The Old Lady Shows Her Medals" / "Medaillen der alten Frau" von J. M. Barrie (1860 – 1937); Barrie ist vor allem bekannt als der Schöpfer der Figur 'Peter Pan' (1902 – 1911); die Pralinen- und Toffee-Serie "Quality Street" von Mackintosh (heute Nestlé) wurde 1936 nach dem gleichnamigen Stück von Barrie (UA 1902) so benannt; die Figuren auf dem Deckel der Dose, die Lady und der Major, sind ebenfalls Barries Stück entnommen.)
#"Maria Orska ist eine große Meisterin geworden. Sie hat alles Schauspielerische abgelegt und bietet das Höchste, was eine Frau geben kann: ihre ganze Menschlichkeit. Trauer eines maßlosen Glücks wird hier mit einem Minimum an Wort und Gebärde ausgedrückt. Man sieht in die Einsamkeit einer Frau, die alle Dinge der Welt und ihr ganzes Leben nur durch Liebe zu fassen vermag."#
(Hans Liebstöckl (1872 – 1934), "Neues 8-Uhr-Blatt" vom 9.3.1927, über ihre Darstellung in dem Stück "Amoureuse" / "Verliebt" von Georges de Porto-Riche (1849 – 1930).)
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Info:
Ursula Overhage, "Sie spielte wie im Rausch" / Die Schauspielerin Maria Orska, Henschel-Verlag, 2021
Fritz Kortner, Aller Tage Abend, Kindler Verlag GmbH, München, 1959 (ist seitdem in mehreren Taschenbuchausgaben erschienen)