„Stephansdom und Pummerin. Aufstieg zweier Nationalikonen“, feiert eine Web-Ausstellung in Wien
Anna von Stillmark
Wien (Weltexpresso) - Der Stephansdom hat für die Stadt Wien natürlich eine besondere Bedeutung. Eindrucksvoll ist, wie der Dom selbst ein Ausdruck des Geschehens in Wien war und ist. Und wenn man an das Mittelalter denkt, wo der Steffel entstand, so hatten Glocken eben auch die Bedeutung, neben den besonderen religiösen Bedeutungen wie der Wandlung in der Messe, ganz schlicht; die Zeit anzuzeigen. Im April 1952 wurde eine ganz spezielle Glocke installiert: die „neue Pummerin“ war in einem inszenierten Triumphzug von Oberösterreich nach Wien gebracht worden. Zum 70. Jahrestag der berühmten Glocke im wiedereröffneten Dom erzählt eine Web-Ausstellung des Hauses der Geschichte Österreich (hdgö) nun davon.
In der Ausstellung werden unbekannte oder vergessene Geschichte rund um den Wiederaufbau gezeigt. Mit zahlreichen historischen Fotos beleuchtet sie, wie der Dom und seine Pummerin zu zentralen Symbolen Österreichs als Nation wurden. Die digitale Ausstellung ist ab auf www.hdgoe.at zu sehen.
Die Geschichte dazu:
Am 12. April 1945 bricht im Stephansdom ein Feuer aus. Funkenflug von den benachbarten Gebäuden hatte den Dachstuhl in Brand gesetzt. Das Fehlen von Löschwasser und der vom NS-Regime befohlene Abzug der Wiener Feuerwehr verhindert eine Eindämmung des Brandes. Die Zerstörung des Daches bringt große Teile des Gewölbes zum Einsturz und verursacht massive Schäden im Innenraum. Die große Glocke, genannt Pummerin, stürzt in die Tiefen und zerbricht am Boden des Gotteshauses. Der „Mythos Stephansdom“ beginnt schon in diesen Tagen – mit ikonischen Fotografien vom Moment des Brandes.
Bei einem genauen Blick auf den Wiederaufbau des Stephansdoms werden bislang unbekannte oder in Vergessenheit geratene Geschichten sichtbar. Etwa von der jungen Architektin, die in den ersten Monaten den Wiederaufbau leitete, von KünstlerInnen, die wegen ihrer Mitgliedschaft zur NSDAP zum Schutträumen verpflichtet waren oder von Denkmalschutzexperten, die gegen die Verwendung des „unwürdigen“ Materials Stahl für den Dachstuhl kämpften – vergebens. Im April 1952 wird die neu gegossene Pummerin in einem „Triumphzug“ durch Österreich transportiert, der Tag der Weihe ist gleichzeitig die Wiedereröffnung des gesamten Doms. In 17 Kapiteln erzählt die Web-Ausstellung, wie aus dem Wiener Wahrzeichen ein gesamtstaatliches Symbol wird.
„70 Jahre nach dem Glocken-Festzug von Oberösterreich nach Wien ist der „C-Ton“ der Pummerin längst fixer Bestandteil im Baukasten österreichischer Identitätssymbole. Während etwa das politische Konzept der Neutralität wie zuletzt schon mehrfach in Diskussion geraten ist, blieb die Pummerin der unumstrittene Klang Österreichs“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer. Dompfarrer Toni Faber begrüßt die digitale Ausstellung und sagt: „Pummerin und Stephansdom sind in der Zweiten Republik zu wahrhaftigen Säulen des Österreichischen geworden. Sie begleiten uns durch den Alltag, in schweren Stunden sind sie aber auch Fluchtpunkt und Hoffnungssymbol.“
Stark, spezialisiert, weiblich: Frauenpower für Dom und Glocke
Frauen spielen eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau des Stephansdoms, in vermeintlichen „Männerberufen” ebenso wie in leitenden Funktionen. Die Web-Ausstellung geht ihren in Vergessenheit geratenen Geschichten nach. Die Fotografin Lucca Chmel dokumentiert in spektakulären, aus extremen Perspektiven aufgenommenen Bildern den ausgebrannten Stephansdom und schafft damit ikonische Eindrücke. Sie erbringt ihre Fotoarbeit als verordnete „Sühneleistung“ wegen ihrer NSDAP-Mitgliedschaft. Die Architektin und geprüfte Baumeisterin Helene Buchwieser übernimmt in den ersten Monaten nach dem Brand in Vertretung des Dombaumeisters Karl Holey die Leitung der Aufräumarbeiten auf der Großbaustelle. Sie ist die Tochter des auf Sakralbauten spezialisierten Bauunternehmers Ernst Buchwieser und kennt die Verantwortlichen für Bauagenden des Doms gut.
Wiens damals einzige Bau- und Galanteriespenglerin, Angela Stadtherr, wird mit der Herstellung des kupfernen Wetterhahns beauftragt. Im August 1950 wird der „Riesenvogel“, der mehrere hundert Kilogramm wiegt, in 70 Metern Höhe montiert. Die von ihr überwachte Montage am Domdach wird mit hohem Medieninteresse begleitet – vor allem wegen ihrer Rolle als einziger Frau in einem sonst rein männerdominierten Beruf. Auch ein weiblicher Dachdeckerlehrling in schwindelnden Höhen des steilen Dachstuhls macht Schlagzeilen. Gertrude Stolz schließlich führt die Ziselierungsarbeiten am Bildschmuck der Pummerin aus. Sie ist die einzige weibliche Mitarbeiterin der bekannten oberösterreichischen Glockengießerei St. Florian.
Der Wiederaufbau - und Proporz am Dach
Nach den Aufräum- und Sicherungsarbeiten wird der Stephansdom in drei großen Bauetappen wieder aufgebaut. Bei der Wiederherstellung des Dachs 1949–50 sorgt die Wappenfrage für heftige Diskussionen: Entgegen der Ankündigung bei den Spendenaufrufen, den Zustand von 1945 herzustellen, tauchen neue Vorstellungen auf. Die Republik soll mit ihrem Staatswappen vertreten sein, und die Stadt Wien wünscht sich aufgrund ihrer großzügigen Spende von einer Million Schilling ebenfalls eine Berücksichtigung. Kardinal Innitzers Verzicht auf das Wappen der Erzdiözese macht den Weg zur Lösung frei: Auf die Südseite kommt wieder der Doppeladler in alter Größe, ergänzt um die Jahreszahl 1831, und auf der Nordseite sind nun das Wappen der Stadt Wien und der Bundesadler mit 1950, dem Jahr der Fertigstellung des Dachs, zu sehen.
Dies ist eine geschichtliche Ausstellung, keine kunsthistorische. Dann sonst hätte die Entdeckung eine Rolle gespielt, die mein Onkel, eigentlich ein Steinforscher,, der seine Fachkenntnisse allerdings kunsthistorisch einsetzte, Professor an der Wiener Universität, in der Nachkriegszeiit machte. Das Dach des Steffl war durch den Brand teils eingestützt und es waren keine Baupläne mehr vorhanden. Jetzt war also die Frage wichtig, woher die Dachziegel stammten, wenn man sie erneuern will. Er hat es herausgefunden, wie er später auch in DIE STEINE DER RINGSTRASSE anhand der verwendeten Steine die Steinbrüche und über diese Kenntnis die jeweiligen Architekten herausgefunden hatte. Das war wichtig, weil alle Unterlagen im Stadtbauamt im Krieg verbrannt waren.
Mythos und Triumphzug: Die Pummerin
Dass die Pummerin zur „Stimme Österreichs“ wird, liegt nicht allein an ihrer Inszenierung als Symbol der wiedererstandenen Republik. Der Rundfunk verankert ihren Klang im kollektiven Bewusstsein: Auf Initiative von Dompfarrer Karl Raphael Dorr ist die Pummerin, damals noch im Hof des Linzer Landesmuseums aufgestellt, zum Jahreswechsel 1951/1952 im Radio zu hören und läutet seither jedes neue Jahr ein. Im April 1952 wird die vom Land Oberösterreich gespendete und in St. Florian gegossene Pummerin in einem Festzug von Linz nach Wien überführt. Der monatelang vorbereitete und medial perfekt in Szene gesetzte „Triumphzug“ führt von Linz über Enns, Amstetten, Melk, St. Pölten und den Riederberg nach Wien. Festredner, Musikkapellen, Trachtengruppen und Fahnenträger empfangen die Pummerin bei ihren Stationen, riesige Menschengruppen bilden Spalier und verleihen dem Glockenzug Volksfestcharakter.
Die Pummerin wird von der österreichischen Bevölkerung noch während der Zeit der Alliierten Verwaltung als Bestätigung der Eigenständigkeit des Landes und als Zeichen des Friedens gesehen. Gezielt instrumentalisieren Kirche und Staat die Wiedereröffnung des Doms und den Transport der Pummerin, um ein Gefühl von Gemeinschaft zu schaffen. Die Weihe am 26. April 1952 wird als Spektakel organisiert, die Glocke von 200 Personen durch das Riesentor des Stephansdoms gezogen – ein Höhepunkt der Inszenierung des Stephansdoms als Symbol einer gesamtstaatlichen Österreich-Identität.
Stephansdom und Pummerin. Aufstieg zweier Nationalikonen
ist ab 10. April 2021 auf der Webseite des Hauses der Geschichte Österreich unter www.hdgoe.at zu sehen. KuratorInnen sind Anna Stuhlpfarrer und Heidemarie Uhl (Österreichische Akademie der Wissenschaften).
Foto:
Dompfarrer Toni Faber, die Kuratorinnen der Ausstellung Anna Stuhlpfarrer und Heidemarie Uhl und hdgö-Direktorin Monika Sommer vor der Pummerin
©: eSeL.at / Lorenz Seidler