wpo Relief neuHannah Wölfels Kunstwerke in der  St. Michael-Kirche, Teil 2/4

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) -  Am Beginn der künstlerischen Arbeit stand die Auseinandersetzung Hannah Wölfels mit dem durch die Ausschreibung der  Gemeinde geforderten Thema, den Namensgeber der Kirche St. Michael darzustellen. Das war die Modell- und Entwurfsphase. Notwendig waren Recherchen durch Gespräche, Bildbetrachtungen und Museumsbesuche.

Dadurch entstanden neue Fragen, was bedeutete der Götterbote kirchengeschichtlich, wie wurde er zu anderen Zeiten abgebildet? Dem folgten erste Ideen, Skizzen, Entwürfe, schließlich die Auswahl einiger archetypischer Situationen Michaels. Die Künstlerin schlug ein Halbrelief aus gebrannten glasierten Tonteilen vor, wie sie es auch bereits in einem Wandbild in einer Frankfurter Gemeinde und in zahlreichen säkularen Projekten realisiert hatte. Keramische Wandgestaltungen werden auf Kacheln befestigt, selten als dreidimensionale keramische Objekte direkt an den Wänden montiert, wie von ihr geplant. Der Stil verbindet also - recht eigensinnig - bildhauerische und keramische Qualitäten.

Die Umsetzung in Ton
Kunstschaffende nutzen unterschiedliche Arbeitsweisen, die einen entwickeln die Idee zum Werk im Kopf und planen präzise Entwürfe, welche sie dann - wie Architekten ihre Baupläne - umsetzen. Die anderen fangen einfach an und folgen dem Material und ihren Eingebungen. Meist arbeiten sie jedoch in einer Mischform - erste Vorstellungen verändern sich im Prozess der Ausführung. So gehört auch Hannah Wölfel zu den Künstlerinnen, die - trotz intensiver Planung - ihr Werk während der Gestaltung immer wieder verändern, auf Unvorhergesehenes reagieren und Neues einflechten.

So traf sie etwa im Gegensatz zum Entwurf die frühe Entscheidung, zwei gegenüberliegende Wände zu gestalten, um angemessener auf den Ort zu reagieren und mehr Spannung zu schaffen (auch wenn bei gleichem Honorar der Aufwand für sie wesentlich höher wurde). Während der Umsetzung der kleinen Modelle waren dann weitere technisch-handwerkliche und gestalterische Fragen zu lösen, die in enger Wechselwirkung zueinander standen.

Die Großfiguren, also die zwei Engel und der Drache, wurden aus Ton in mächtigen Stücken geformt und größenmäßig einander angepasst, später dann auseinander geschnitten, um sie überhaupt Brennen zu können. Körper- und Gesichtsausdruck waren zu gestalten, so musste etwa der kämpfende Michael voll Spannung geschaffen werden, gleichzeitig sollte ihm aber eine unziemliche Lust am Kämpfen genommen werden. Das Ungeheuer durfte als Repräsentant des Bösen nicht allzu niedlich, aber auch nicht übermächtig geraten.

Alle einzelnen Stücke wurden niedrig vorgebrannt und bei etwa 1250° C mit Glasur fertiggebrannt. Denn die intensive Farbwirkung kommt bei diesen hohen Temperaturen durch das Ineinanderschmelzen der verglasenden Tonoberfläche mit der Glasur zustande.

Schließlich die Montage
Nach dem Brennen der Einzelteile und der Vorbereitung der Wände wurde das Werk nicht einfach befestigt. Zwar gab es viele rein handwerkliche Tätigkeiten: alle Stücke wurden verdübelt, mit Zement befestigt und miteinander verbunden.

Jedoch waren erneut Entscheidungen und Ergänzungen nötig, etwa sollte Michael den Drachen nur mit einem kleinen Schwert töten, das wirkte etwas kindisch, oder besser mit einer großen, kräftigen Lanze? Schützte er sich mit einem kleinen, eher symbolischen Schild? Wie sollten seine Flügel beschaffen sein? Die Montagephase war eine eigenständige Gestaltungsphase zur Lösung dieser Detailfragen. Danach mussten die verschiedenen Teile gestalterisch durch Mosaik und Malerei untereinander sowie mit dem Hintergrund verbunden werden.

Buchstäblich und im übertragenen Sinn trat das Werk während dieser Arbeit der Künstlerin entgegen. „Von sich aus will jedes Kunstwerk die Identität mit sich selbst“ nennt Theodor W. Adorno diesen Prozess: Michael wurde lebendig und begann ein Eigenleben, seine Augen verfolgen die Gestalterin, unterschiedliches Licht und verschiedenartige Perspektiven ließen die Szenen jeweils anders wirken.

Künstlerisches Schaffen ist verbunden mit Ungewissheit und Zweifeln, Irrtümern und deren Eingeständnis, Scheitern und Neubeginn. In jedem echten Kunstobjekt sind diese Gefühle und Aspekte während des Arbeitsprozesses sowie das Ringen um die rechte Form enthalten. Das sieht man den Objekten nicht unmittelbar an, aber es macht ihre Aura, ihre nicht messbare Ausstrahlung aus. Jedes Kunstwerk ist nicht nur das was man sieht: Es enthält ebenfalls von Kunstschaffenden gesetzte Bedeutungen, Bezüge, Zitate und muss im Rezipienten durch eigene Assoziationen und Fantasien nachgeschaffen werden. Darum sollen die beiden Halbreliefs im nächsten Teil intensiver betrachtet werden, um sie besser zu verstehen.

Wird fortgesetzt

wpo Relief 6787

Foto:
(c) Hanswerner Kruse

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