chrismon.deTiefschlag gegen die deutsche Erinnerungskultur

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) „Wir erleben gegenwärtig einen Paradigmenwechsel in Kultur und Wissenschaft, der an den Grundüberzeugungen der Bundesrepublik Deutschland rüttelt: der Erinnerung an die Shoa als identitätsstiftendes Moment der Bundesrepublik Deutschland.“

Als der Präsident des Zenralrates der Juden in Deutschland,  Josef Schuster, diesen Satz für die Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 9. November formulierte, waren gerade mal  drei Wochen vergangen, seit der Bundestag mit der besten Absicht der deutschen Erinnerungskultur einen Tiefschlag versetzte, von dem sie sich schwerlich wieder erholen wird: Er stellte neben dem Leugnen des Massenmordes an den Juden Europas auch das Leugnen anderer Verbrechen, wie etwa die Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner oder die Verbrechen aus der Kolonialzeit, ebenfalls unter Strafe.

Die Höchststrafe beträgt in den zuletzt genannten Fällen drei Jahre Gefängnis, bei der Leugnung des Holocaust fünf Jahre. Untergebracht wurde die Strafandrohung in einem neuen Absatz des Volksverhetzungs-Paragraphen 130. Er stellt das öffentliche Billigen, das Leugnen und die gröbliche Verharmlosung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.

Anstoß war eine EU-Verordnung vom 17. April 2019, mit der das europäische Strafregisterinformationssystem ergänzt werden soll. Die deutschen Staatsanwaltschaften müssen künftig bei internationalen Konflikten darauf achten, ob verbrecherische Handlungen zu recht beim Namen genannt oder geleugnet werden. Ein Bezug zu Deutschland ist nach Medienberichten nicht notwendig. Der Strafrechtler  Martin Heger von  der Berliner Humboldt-Universität sagte der Süddeutschen Zeitung, er halte die neue  Strafandrohung  für „sehr weitgehend“.

Meinungsverschiedenheiten über etwaige Verbrechen im Krieg Russlands gegen die Ukraine könnten nach Hegers Meinung durchaus zu Strafanzeigen führen. Bemerkenswert sei, wie still und leise diese Änderung gekommen sei, heißt es dazu in der Süddeutschen Zeitung. Die Ampelfraktionen hätten der Gesetzesvorlage am 20. Oktober  kurz vor 23 Uhr gemeinsam mit der CDU/CSU zugestimmt. Nach Ansicht des  Bundesjustizministeriums sei nichts Dramatisches geschehen.  Deutsche Staatsanwaltschaften könnten in Bezug auf den Holocaust jede „Verharmlosung“ verfolgen, bei den übrigen weltweiten Kriegsverbrechen aber nur eine „gröbliche“ Verharmlosung.

In seinem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung schreibt der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, immer mehr Deutsche empfänden die Erinnerung an die Shoa als lästige Pflicht. Der Geschichtsrevisionismus  von AfD-Politikern finde auch im bürgerlichen Lager Gehör. „Sie wollen die Last . . .des Menschehheitsverbrechens Shoa abschütteln.“ Bei der Abstimmung im Plenum des Bundestages stimmten 514 Abgeordnete für die Vorlage, 92 stimmten dagegen, und zwei enthielten sich der Stimme.

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