Yves Kugelmann
Zürich Weltexpresso) - In Zürich steigt weißer Rauch auf. Der runde Tisch zur Causa Bührle hat einen Experten nominiert. Allerdings ging es hinter den Kulissen noch hoch zu und her, bevor Kanton, Stadt und Kunsthaus Zürich den Vorschlag verkündigten und die Provenienzdebatte rund um die Sammlung des Nazikollaborateurs in die nächste Runde geht. Ob der Umweg über den runden Tisch sinnvoll ist, bezweifeln viele. Denn eigentlich müsste das Kunsthaus Zürich längst seine gesamten Sammlungen untersuchen. Die Leitung des Hauses wird im März ein neues Strategiepapier vorlegen. Da kann es durchaus zur skurrilen Situation kommen, dass eine weitere Expertenkommission neben dem Experten zur Sammlung Bührle eingesetzt wird.
Hätte die Schweiz die Washingtoner Abkommen und die nachfolgenden Erklärungen von Terezín umgesetzt, wäre allerdings dieser ganze Eiertanz nicht nötig. Die Schweiz hat die Erklärungen unterzeichnet und müsste eine nationale Expertenkommission einsetzen, im Parlament ist inzwischen eine entsprechende Motion verabschiedet worden, um dem Thema Nachdruck zu verleihen. Doch noch immer ist eine nationale Expertenkommission in weiter Ferne. Auch ein Statement.
Offenbar sind runde Tische ansteckend. Nun kommt auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) mit einem runden Tisch in Sachen Zukunftsstiftung. Diese hat er 2021 gegründet (tachles berichtete). Erst über ein Jahr später hat er eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben bei der Fundraiserin, die danach Geld für den SIG einwerben soll. Die Kritik an der Stiftung innterhalb der jüdischen Gemeinschaft und ihren unzähligen zivilgesellschaftlichen Organisationen ist massiv. Nun liegt die «Machbarkeitsstudie», die keine Machbarkeitsstudie ist, vor und bestätigt die Ablehnung des Projekts bei ausgewählten potentiellen Donatorinnen und Donatoren. Anfragen um Partizipation fielen weitgehend negativ aus; tachles beichtete mehrfach, wie der Dachverband in Konkurrenz zur jüdischen Gemeinschaft der Schweiz tritt. Denn diese finanziert sich in beträchtlichem Masse durch Legate, Stiftungsförderungen und Spenden und finanziert jährlich für die Gemeinden und Gemeinschaft systemerhaltende Institutionen mit Dutzenden von Millionen Franken. Jüdische Schulen, Altersheime, Krankenhilfe, Sozialfürsorgen und so fort würde es in der Schweiz nicht geben. Die erdrückenden Kosten der jüdischen Infrastruktur kommen hinzu in einer Gemeindelandschaft, die unter massiven finanziellen Schwierigkeiten leidet. Alles Bereiche, um die der SIG sich noch nie gekümmert hat.
Auch im Strategiepapier 2021 kommen solche Themen nicht vor. Auch nach Kritik aus der jüdischen Gemeinschaft in der Deutschschweiz und der Romandie will der SIG das verkorkste Projekt nicht stoppen, sondern nun mit einem runden Tisch das Thema aufgreifen. Es geht darum, das Gesicht zu wahren nach einem teuren Totalflopp, für den der SIG bisher fast 100 000 Franken ausgegeben und für das neue Jahr nochmals 220 000 Franken Saläre budgetiert hat. Statt zu sparen, den Dachverband zu optimieren und Doppelspurigkeiten mit Gemeinden zu reduzieren, will der Dachverband seine Verwaltung mit Spendengeldern finanzieren und nun an einem runden Tisch mit sehr selektiver Einladungspolitik dafür werben. Inzwischen formiert sich dagegen allerdings nicht nur verbaler, sondern realer Widerstand im Hintergrund.
Nach zwei Jahren Pandemie und mitten in einem Krieg hätte man erwartet, dass der SIG an einem runden Tisch sein Strategiepapier überdenkt und diskutiert. Ein Papier, das keinen Businsessplan, aber unzählige nicht finanzierte Projekte beinhaltet. Man hätte gehofft, dass der SIG einen runden Tisch zur Frage jüdischer Bildung, jüdischer Altersvorsorge und der Finanzierung jüdischer Infrastruktur oder einen runden Tisch mit dem Verband der Schweizerischen Jüdischen Fürsorgen organisiert, mit dem er seit Jahren im Konflikt steht. Man hätte sogar gehofft, dass nicht informelle runde Tische sondern die formelle Delegiertenversammlung solche Themen aufgreift. Am 14. Mai wäre die Gelegenheit, wenn nicht das Nachmittagsprogramm am «Journée FSCI» zum Thema «Fokus Erinnerung, Vermittlung, Zukunft» die Gegenwart verdrängt. Denn am Schluss wird es der jüdischen Gemeinschaft der Schweiz nicht besser gehen, wenn der SIG Tatsachen nicht ständig wegredet oder Gelder für sich selbst wegsammelt, sondern wenn er endlich mal strukturelle, ideologische und drohende Probleme ganzheitlich und uneigennützig angeht. Es gäbe genügend wichtige Themen für runde Tische. Aber wie sagte Kurt Tucholsky schon so schön: «Es geht nirgends merkwürdiger zu als auf der Welt.»
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 10. Februar 2023
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG