Hanno Lustig
Köln (Weltexpresso) - Deutsche Polizisten überwachen lange Zeit Anstand und Moral. Die Sittenpolizei überlebt viele Regimewechsel und Umbrüche. Beginnend mit den 1920 er Jahren bis in die 1980er Jahre erzählt die zweiteilige Dokumentation über die Jagd nach Sittenverbrechern und das Verhältnis von Gesellschaft, Macht und Sex.
Locker, sexy und freizügig sind die 1920er-Jahre. Das Sündenbabel Berlin feiert rund um die Uhr. Doch die Weimarer Zeit ist eine Zeit der Gegensätze.
Die Sittenwächter sind nicht weit - mit Zensur und Strafe. In den 1920ern bekommt die Sittenpolizei mehr Aufgaben: Serienmörder, Transvestiten, Pornografie. Die Verfolgung von sogenannten Asozialen ist nur eines der grausamen Kapitel in der NS-Zeit.
Bei Sex und Moral greift die Sittenpolizei bis in die 1960er-Jahre hart durch.
Im Sündenbabel Berlin feiert die Weimarer Republik in den 1920er-Jahren, als gäbe es kein morgen. Jede sexuelle Freizügigkeit scheint möglich. Erste private Erotikfilme kursieren, auch wenn sie teuer und aufwendig herzustellen sind. Auf der anderen Seite laufen Kirche, Konservative und Sittenwächter Sturm gegen Pornografie, Prostitution und Homosexualität. Die Sittenpolizei soll durchgreifen. Die Abteilungen verfolgen zunächst ein praktisches Ziel: die Vermeidung von Geschlechtskrankheiten, ausgelöst durch Prostitution.
Doch große Kriminalfälle sorgen bei den Sittenpolizisten für neue Aufgaben. Ein Serienmörder treibt Mitte der 1920er-Jahre sein Unwesen, tötet 24 Männer beim Geschlechtsakt mit einem Biss in den Kehlkopf. Der Fall Fritz Haarmann führt zu Massenverhaftungen von Homosexuellen. Der Paragraf 175 aus der Kaiserzeit sieht Geld- oder Haftstrafen vor.
In Berlin dagegen pflegt man andere Sitten: Im bekannten Club "Eldorado" leben Transvestiten Anfang der 1930er-Jahre ihre Neigungen offen aus. Mancher Mann darf öffentlich Frauenkleider tragen - Transvestitenscheine machen es möglich. Doch mit dem NS-Regime regiert zunehmende Willkür, das "Eldorado" wird 1933 geschlossen, der Homosexuellen-Paragraf verschärft.
10.000 bis 15.000 homosexuelle Männer landen in Konzentrationslagern. "Bei homosexuellen Frauen gab es in der NS-Zeit, anders als bei Männern, keine eindeutige Rechtsprechung. Sie fielen durch das Raster, sodass sie genauso wie Transvestitinnen mal so und mal so behandelt wurden", sagt Jens Dobler, Leiter der Polizeihistorischen Sammlung Berlin. Polizisten können ohne Strafverfahren Prostituierte, "Asoziale", Bettler, Sinti und Roma in KZs einweisen. Der NS-Staat schafft ein Netz an Bordellen. Sogar KZ-Bordelle lässt Reichsführer Himmler einrichten. Doppelmoral und willkürliche Verfolgung werden zum System.
Nach dem Krieg nehmen die Polizeidienststellen und mit ihnen die Sittenwächter schnell die Arbeit wieder auf. Polizisten aus der NS-Zeit sorgen für Kontinuität. Kirchliche Organisationen wie der Volkswartbund machen zusätzlich Front gegen die Sittenlosigkeit. 1951 wird die Premiere des Films "Die Sünderin" zum Skandal. Acht Sekunden ist Hildegard Knef barbusig zu sehen. Trotz oder wegen zeitweiser Aufführungsverbote bekommt der Film vier Millionen Zuschauer in den ersten drei Monaten.
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Die Sittenpolizei kämpft gegen den "moralischen Verfall" der Gesellschaft
© ZDF/ECO Media TV-Produktion GmbH/Studio Fritz Gnad
Info:
ZDFinfo: Samstag, 27. Mai 2023, 20.15 Uhr und 21.00 Uhr
ZDFmediathek: ab Mittwoch, 17. Mai 2023, 5.00 Uhr
Die Sitte – Wie Staat und Polizei über die Moral wachten:
Von Weimar bis zur Nachkriegszeit (1/2)
ZDFinfo: Samstag, 27. Mai 2023, 20.15 Uhr
Die Sitte – Wie Staat und Polizei über die Moral wachten:
Von der sexuellen Revolution bis zu den bunten 1980ern (2/2)
ZDFinfo: Samstag, 27. Mai 2023, 21.00 Uhr