Zum 175. Geburtstag gedenkt das Jüdische Museum Frankfurt des Großindustriellen & Philanthropen in einer Kabinettsausstellung, Teil 3/4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Heute jährt sich der Geburtstag des als William Moses geborenen Wilhelm Merton, der am 14. Mai 1848 in Frankfurt am Main zur Welt kam. Er wurde einer der erfolgreichsten Unternehmer der Stadt, ja des Landes und reiht sich ein in eine Phalanx von Männern - ja damals waren es notgedrungen nur Männer -, die gleich zwei, eigentlich gegensätzliche Gewerke bewältigten: viel Geld zu verdienen und viel Geld für soziale Zwecke einzusetzen.
Es war im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts für die in den Industrien arbeitende Bevölkerung, die sich in den Städten, wo die Fabriken standen, auch Wohnung suchten, eine absolute Verarmung der meisten Arbeiterfamilien eingetreten, die zu Kinderarbeit, Frauenarbeit und schwierigen sozialen Verhältnissen führten. Bestimmte Firmen wie die Farbwerke Hoechst bauten Arbeiterwohnsiedlungen, die noch heute beispielsweise als vorbildlich gelten.
Daß sich Mertons 175ter Geburtstag mit dem 175jährigen Paulskirchenjubiläum trifft, beide Mitte Mai, mag man für eine Ironie der Geschichte halten; aber im Kern haben beide Ereignisse viel miteinander zu tun. Denn einmal ging es um politische Partizipation aller im Gegensatz zum vorherrschenden Klassenwahlrecht, wenn überhaupt gewählt wurde und nicht der Landesherr weiterhin alles allein bestimmte. Und das andere Mal ging es um vernünftige, ja humane Lebensverhältnisse für die Menschen, die qua Geburt nicht zu den Privilegierten gehörten, denen über Bildung eine gesellschaftliche Partizipation möglich werden sollte, wobei aber Bildung nicht nur als Mittel zum Zweck, also des Aufstiegs, galt, sondern auch als Bereicherung des Menschseins, also die Ausformung seiner Begabungen und Interessen, die kultureller Teilhabe möglich machen sollten. Seine diesbezüglichen Aktivitäten hat Wilhelm Merton nie im Alleingang, schon gar nicht in Verbindung mit seinem Namen getätigt, sondern abgesprochen mit der Stadt oder sozialen Gruppierungen.
Die Kabinettsausstellung im Untergeschoß des Jüdischen Museums hat auf gerade mal 100 Quadratmetern also allerhand zu tun, um dieses vielfältige Wirken darzustellen und dann auch noch den Menschen Merton aufscheinen zu lassen. Aber sie schafft das. Zwei Porträts können seine beiden Seiten, die er selber so bezeichnet, zeigen. Da ist einmal der repräsentative Unternehmer, der im übrigen vielleicht als wichtigste Tat maßgeblicher Treiber der Gründung der Frankfurter Universität als Stiftung ist, die 1914 ihre Tore öffnete und heute wieder Stiftungsuniversität ist. Und da ist zum anderen ein privates Porträt, das wohl anläßlich der Ausstellung vom Besitzer, Urenkel Andrew Merton aus New Hampshire dem Museum geschenkt wird. Es stammt von Rudolf Gudden und zeigt in impressionistischer Manier einen in sich ruhenden nachdenklichen Mann. Durch die in der Ausstellung an seiner Seite angebrachte Großfotografie seiner Familie wird das Private weiterhin betont. Das ist seine eine Seite.
Die andere Seite zeigt eine frontale Ganzkörperdarstellung, wie gesagt die typische Repräsentation, die als Kopie erhalten ist. Es gab davon mehrere und eins hing in der Frankfurter Universität. In der Nachkriegszeit schmückte es das Büro von Adorno, damals Direktor des Instituts für Sozialforschung, der in der Folge der Studentenunruhen unter starken Druck geriet. So hatten die aufmüpfigen Studenten sein Zimmer besetzt. Man sieht sie auf der Fotografie von Barbara Klemm auf den Sesseln lümmeln, während Merton aufrecht in seinem Bild eingekastelt geschichtlicher Zeuge wird. Das ist komisch.
Wie also die beiden Seiten des Unternehmers Bild geworden sind, ist schon eindrucksvoll, sie aber dann im Kontext des Öffentlichen und des Privaten in der Ausstellung zu sehen, ist einfach gut gemacht. Es gibt so vieles, was gefällt. Der Schreibtisch zum Beispiel, den man auf den Fotografien vollbeladen sieht und den man für die Ausstellung im Internet suchte und fand. Einen ähnlichen eben. Es ist der typisch gründerzeitliche Schreibtisch, der hier eine merkwürdige Farbgebung und vor allem eine komische Anordnung der Türen hat. Aber er ist ein wichtiger Hinweis auf das Arbeitstier Merton, wie sein Vater den Familiennamen Moses 1856 umnennen ließ.
Zwei Sachverhalte sind mir noch wichtig. Das eine betrifft die Besonderheit Mertons, zwar öffentlich zu wirken, aber bei öffentlichem Dank lieber nicht dabei zu sein. Wenn man hört, daß er den kaiserlichen Wilhelmsorden, den nur wenige Zeitgenossen überhaupt erhielten, zwar bekam, aber zur Überreichung seine Frau nach Berlin schickte, während er in Italien weilte
Das andere betrifft unsere Zeit, spielt aber auch in Italien. Wenn man nämlich in der Ausstellung die Fotografien ansieht, auf denen in der ländlichen italienischen Villa Mertons sich der Oberbürgermeister Adickes gerade auf dem Stuhl im Gespräch räkelt, dann weiß man aus der Geschichte, daß die beiden gute Dinge für die Stadt Frankfurt ausgeheckt hatten. In Italien und auch im Umfeld der Violettstrahlung wo beide wohnten. Heute würde zumindest dem Politiker ein Strick daraus gedreht, nicht nur, wenn er Feldmann heißt.
Aber mit dem Wissen darum, was die beiden Gutes für die Stadt Frankfurt und damit für ihre Bewohner erreichten, erkennt man, was bei solcher strikten Trennung der Sphären, wie sie heute schon aus Angst vollzogen werden, auch an guten Projekten verloren geht.
Das ist auch eine kulturgeschichtlich interessante Ausstellung, die wir mit dem Buch, das als Gedenkband zum 175. Geburtstag von Christoph Sachße herausgegeben wurde, komplettieren.
Daß sich die Nachkommen der Großfamilie Merton und die seines Freundes und Unimitbegründers Henry Oswalt anläßlich des 175. Geburtstags in der Ausstellung, in Frankfurt treffen, zeigt auch, daß das Private politisch ist. Und nicht zuletzt muß man für Nicht-Frankfurter hinzufügen, weshalb die Ausstellung hier wichtig ist. Sie gibt einem Namen, nämlich Merton ein Gesicht und eine Biographie, denn die wenigsten Frankfurter wissen, wer sich hinter dem Merton-Viertel, dem Merton-Preis, der Wilhelm-Merton-Schule, dem Wilhelm-Merton-Zentrum der Goethe-Universität und der Mertonstraße verbirgt.
Foto:
©Norbert Miguletz
Info:
Zum Jubiläumsjahr erscheint bei Hentrich &Hentrich der Sammelband „Wilhelm Merton in seiner Stadt“, den Prof. Dr. Christoph Sachße herausgegeben hat.
Wilhelm Merton in seiner Stadt. Gedenkband zum 175. Geburtstag,, hrsg. von Christoph Sachße unter Mitwirkung von Reinhard Oswalt, Verlag Hentrich&Hentrich,, Berlin/Leipzig 2023
ISBN 978 3 95565 592 1