„Das kunstseidene Mädchen“ in Hanau
Hanswerner Kruse
Hanau (Weltexpresso) - Als „Das kunstseidene Mädchen“ bezaubert die Schauspielerin Katharina Schmidt ihr Publikum in der fantastischen Kulisse der Wallonischen Ruine. Bereits im letzten Jahr feierte sie hier große Erfolge in der Inszenierung von Irmgard Keuns gleichnamiger Ich-Erzählung.
„Ich werde ein Glanz werden“, verkündet sie als Doris zum Beginn der Aufführung und erzählt vom Vorabend: „...zu Bett, ohne Füße waschen. Hals auch nicht. Und dann lag ich so und schlief schon am ganzen Körper, nur meine Augen waren noch auf – der Mond schien mir ganz weiß auf den Kopf...“.
Die Akteurin rezitiert, haucht oder ruft großartige eineinhalb Stunden lang Keuns Sprachbilder ins Publikum. Gelegentlich singt und tanzt sie, mischt sich unter die Leute, verkleidet sich auf der Bühne oder hüpft auf einem nahen Dach herum (Foto links). Sinnlich und kurzweilig entführt sie ihre Gäste in die frühen 1930er-Jahre einer provinziellen Stadt. Dort fügt sie sich nicht in ihr Schicksal, arm und ungebildet zu sein, sondern rebelliert und versucht, ein „Glanz“ zu werden. Sie arbeitet als Statistin beim Theater und sucht die Nähe wohlhabender Männer. Manchmal wird es dabei ernst: "War auch verliebt in ihn so mit Kopf und Mund und weiter abwärts."
Egal, was passiert, ständig sagt sie, „die Männer sind so“ oder „bei dem Glauben lässt man auch den Mann.“ Nachdem sie einen „Feh“ (Pelz) klaute, muss sie ins ferne Berlin fliehen: „Ich habe Maßloses erlebt. Berlin senkte sich auf mich wie eine Steppdecke mit feurigen Blumen.“ Für einen blinden Mann, den sie liebevoll betreut, merkt sie sich ihr Sehen und erzählt ihm (und uns Lesenden) von der aufregenden Metropole.
Nach der Pause geht es ihr auf der Sommerbühne richtig gut, sie hat einen reichen Gönner gefunden und ist eine feine Dame geworden (Bild rechts). Doch als dessen Frau nach langer Abwesenheit überraschend zurückkehrt, muss Doris verschwinden. Sie begegnet Mädchenhändlern, Huren und einem sanften Mann, der sie aushält aber nie berührt, weil er ständig von seiner entlaufenen Frau redet. Traurig und deprimiert steht sie eines Tages alleine mit ihrem Koffer wieder am Bahnhof Friedrichstraße. Mit einem netten Handwerker philosophiert sie, ob man sich nur unter „Seinesgleichen“ bewegen sollte? Doch am Schluss des Stückes weiß man, dass Doris ihren Weg finden wird...
Wortwörtlich folgt die Neubearbeitung des Stücks dem Buch, aber mit einigen Kürzungen und großen Sprüngen. Katharina Schmidt schafft es, mit ihrer Spielkunst alle Ereignisse geschehen zu lassen, jede Situation zu visualisieren und sämtliche Figuren zum Leben erwecken. Dabei entwickelt sie sich selbst vom jungen Mädchen zur erwachsenen Frau. Eine solistische Glanzleistung!
Autorin Keun wandte sich in Interviews heftig gegen biografische Interpretationen ihrer Texte: „Da habe ich zu viele Hemmungen, um meine eigenen Erlebnisse preiszugeben.“ Sie fügte hinzu, „und außerdem spiele ich sehr gerne, es sind auch Rollen, die ich gerne spiele. Ich hantiere mit den Figuren.“ Mit sprachlichem Sarkasmus zersetzt die Autorin Doris' kitschige Illusionen, kleinbürgerliche Wertvorstellungen und enttäuschte Hoffnungen, anstatt sie zu bestätigen.
Deshalb wurden Keuns Bücher auch sofort von den Nazis als „antideutsche Asphaltliteratur“ verboten. Ihre Romane stehen heute gleichwertig neben Alfred Döblins „Alexanderplatz“ oder „Menschen im Hotel" von Vicki Baum.
Fotos:
© Hanswerner Kruse
Service:
Die täglichen Vorstellungen bis Samstag, 22. Juli sind fast ausverkauft, es gibt noch Restkarten unter 06913 40 400.