RETROSPEKTIVE vom 20. Juli bis 24. September, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Überraschend umfangreich ist die Sammlung auf jeden Fall, denn über 50 Objekte aus dem alten Königreich BENIN werden gezeigt – und dies zum ersten Mal! Da ist man überrascht, aber sicher haben die jüngsten Vorgänge der Restituierung der Bronzen, die von den Ministerinnen Roth und Baebock von Berlin nach Nigeria gebracht wurden, das Interesse an diesen Objekten befeuert. Und diese Ausstellung lohnt sich auf jeden Fall anzuschauen!
Im ersten Saal des auf verschiedene wunderschöne alte Villen aufgeteilten Museums der Weltkulturen, hier die Hausnummer 37, wird in Schautafeln die Geschichte des Königreichs BENIN wiedergegeben. Wichtig dabei ist, daß die heutige Bevölkerung die Objekte immer noch als ihnen zugehörig empfindet, stolz auf ihre alte Kultur ist, also noch heute einen aktuellen Bezug dazu hat. Das ist wichtig, denn vergleicht man das beispielsweise mit den Indiokulturen der neuen Welt, haben diese mit der heutigen Bevölkerung nichts mehr zu tun. Das allerdings kann auch der Christianisierung und Gewaltherrschaft der spanischen Eroberer geschuldet sein, was zeigt, daß der Kolonialismus keine Erfindung des 18., 19. und 20. Jahrhunderts war und ist, sondern daß Europas Aufstieg auf Kosten anderer Erdteile ging.
Was hier im ersten Saal hängen bleibt, ist die Kunde, wie stolz die Heutigen auf ihre Vorfahren sind und daß ihnen die Anerkennung ihrer alten Kultobjekte als Kunst, was spätestens seit 1900 nach und nach in Europa eintrat, viel bedeutet. Hier im ersten Saal wird auch die Vorgehensweise, wie man sich am besten mit den Objekten beschäftigt, erklärt. Sicher sollte der unbefangene Blick als erstes die Gegenstände sichten. Deshalb gehe ich fast immer erst einmal durch Ausstellung einfach hindurch, schaue, mache mir Gedanken, erkenne Korrespondenzen – dazu gleich mehr -, bis ich mich den Ausstellungsstücken sozusagen systematisch nähere. Und dazu gibt es in dieser Ausstellung richtig gute Hilfe. Gelbe dünne Papp-DIN A-4- Inventarkarten geben Auskunft. Eine Abbildung zur Rechten zeigt, um welches Objekt es geht, links oben steht die Inventarnummer, daneben rechts die alte Beschriftung. Das dritte Kästchen ist dann die Objektinformation, in diesem Fall – rechts ist ein stolzer Hahn abgebildet – heißt es:
„Hahnenfigur, koporhu,
königreich Benin, Nigaria
B. 44 cm H ca. 46,5 cm
Gelbguss“
Es folgt die Beschreibung, hier:“Lebensgroße und naturalistisch dargestellte Hähne gehören zu den eindrücklichsten Tierdarstellungen. Im alltäglichen Leben waren Hühner wichtige Opfergaben. Wahrscheinlich standen diese Hähne ausschließlich auf Altären der Königinmutter (ly ‚Oba).
N.S. 11043: Der Hahn steht auf einem Sockel mit Flechtmuster. Teile der Schwanzfedern sind abgebrochen. Das gefieder ist sehr ein und regelmäß9g engemeißelt. Wie wievle andere Hähne ist dieser innen hohl und hat unter dem Schwanz ein etwas handgroßes Loch.“
Darunter
„Provenienz
- (…): H.E. Rogers
- 28.5. 1909: William Ockelford Oldman (Nr. 20831); Ankauf von Rogers für 7 Pfund
- 16.07.1909 Städtisches Völkermuseum, Frankfurt; Ankauf von Oldman für 17 Pfund, 10 Schilling.“
Unter dem Bild mit dem prächtigen Hahn werden dann die
„Ausstellungen und Publikationen des Museums“ genannt. Beim Namen Agthe, Johanna, fiel mir deren große Bedeutung für das hiesige Museum ein. Denn sie war es, die Afrikaforschung betrieb, als dies noch ganz unüblich war. Und sie hat zeitgenössische Künstler aus Afirka nach Europa gebracht und deren Werke in Ausstellungen des damals noch Völkerkundemuseum benannten Hauses vorgestellt: die Werke und die Künstler.
Den Umgang mit den Invernatrkarten wollten wir gerne transportieren, wie sorgfältig und vorausschauend die Kuratorinnen Julia Friedel und Audrey Peraldi, die Kustodinnen der Afrikasammlung sind, hier vorgegangen sind. Es darf sich jeder ein Bild dieser Gegenstände machen. Man darf auch einfach hindurchlaufen und sich an Details freuen. Aber man darf eben auch und kann es durch die gute Vorbereitung, sich einen Überblick über die Sammlung BENIN verschaffen und in vertiefendem Schauen wirklich die Hintergründe dieser Kultobjekte, die uns Kunst sind, erkennen. Und deshalb haben wir diese Inventarkarten so herausgestellt, weil Sie die wichtigsten Objekte so mustergültig aufgelistet finden.
Aber, wie schon gesagt, man kann auch mit wachem Blick sich seinen eigenen Reim machen. Da gibt es Korrespondenzen, die - so man sie entdeckt - einen glücklich machen und schlauer auch.
Im zweiten Saal hängt an der Stirnwand eine auffällige Bronze, die einen Krieger darstellt (links im Bild). In den Händen, besser in der Rechten hält er einen Stab und man sieht einen Gegenstand, der wie ein Fisch aussieht daneben. Übrigens, in der Kunstgeschichte nennt man die Größenunterschiede in der Abbildung, also der große Krieger und das kleine Fußvolk Bedeutungsperspektive. Seit Ägypten wird so die Wichtigkeit vom Bildpersonal durch die Größe bestimmt. In der mittelalterlichen europäischen Kunst war das gang und gäbe. Aber so imposant der Krieger ist, interessiert doch jetzt das, was er in den Händen hält. Was für uns wie ein Speer aussieht, ist aber ein Rasselstab und was wie ein Fisch aussieht, ist ein Zeremonialschwert. Die Wörtchen 'Zeremonial" oder 'zeremoniell' sind dabei wichtig. Denn es handelt sich nicht um Gebrauchsgegenstände, sondern um Gegenstände, die für religiöse Zeremonien bestimmt waren.
Deshalb ist man - siehe oben - echt glücklich, wenn man auf der gegenüberliegenden Stirnwand die beiden Gegenstände als große Einzelobjekte wiedersieht. Und dort kann man sich - da Inventarkarten vorhanden sind - dann ausführlich mit diesen beiden Gegenständen beschäftigen und weiß nun, daß solche Rasselstäbe wichtige Bestandteile der Ahnenverehrung waren. Hatte jeder Vorfahre einen eigenen? Auf jeden Fall wurden diese hölzernen Rasselstäbe auf Altären an die Wand gelehnt. Man nimmt an, daß sie dann bei den Zeremonien in die Hand genommen und durch ihr Rasseln die Kommunikation mit der Geisterwelt eintrat.
Wir kennen Rasseln u.a. für Babys, die so Geräusche erzeugen können, an deren Hervorbrignen sie sich freuen. Und wir kennen sie natürlich von den mittelalterlichen Gauklern! Allerdings wird beide Male das rasselnde Geräusch durch außen an der Rassel befindliche kleinere Gegenstände hervorgebracht. Das ist bei der Rassel aus Benin anders. Dort gibt es einen Hohlraum im Stab, in dem ein kleines Stäbchen steckt, das das Rasseln beim Bewegen hervorbringt. Und nun kommt etwas Interessantes zur Provenienz. An diesem Stab ist an der Spitze ein Kopf, "um dessen Hals eine Kette mit Kaurigegehäuse gewickelt ist." Und deshalb ist tatsächlich gelungen, in einem Verkaufskatalog diesen Gegenstand dingfest zu machen! Demnach ist dieser Rasselstab bei einer "Strafexpedition" geplündert worden, heißt es auf der Inventarkarte.
Noch interessanter wird es gleich bei dem Zeremonialschwert, das aus Eisen besteht, aber sehr filigran wirkt. Dieses hier hat eine Länge von fast einem Meter, wobei die Klinge 22 Zentimeter beträgt. Es heißt zwar Schwert, ist aber keines, weil es durch die Machart gar nicht wie ein Schwert benutzt werden kann. Es hat rein zeremoniellen Charakter und wurde - das erzählen uns wieder die Inventarkarten - von den Stammesfürsten, hier 'Chiefs' genannt, in den Händen gehalten oder auch bei Tänzen in die Luft geworfen, immer aus Huldigungsgründen. An diesem Gegenstand interessiert aber noch etwas anderes. Wir wollen ja immer wissen, woher etwas kommt und Provenienzforschung ist ja nicht nur wegen der rechtlichen Bedeutung wichtig, sondern grundsätzlich, um Gegenständen ihren Kulturraum und auch ihre Kulturzeit zu geben. Bei diesem Zeremonialschwert fällt eine Beschädigung an der Klinge auf. Unser Foto rechts zeigt dies in der Vergrößerung.
Diese Beschädigung nun machte es möglich, genau diesen Gegenstand in einem Verkaufskatalog zu identifizieren, demnach das Schwert ebenfalls bei einer "Strafexpedition" geplündert wurden. In beiden Fällen - Rasselstab und Zeremonialschwert - handelt es sich um eine Britische 'Strafexpedition" aus dem Jahr 1897. Das steht nicht auf den Inventarkarten, aber nachdem das Interesse geweckt ist, will man schon wissen, um was es genau ging. Was nun diese Strafexpedition überhaupt war, muß man also selbst eruieren. Zwar glaubt man, allein aus dem Wort ein kriegerisches Handeln, hier der Briten, zu entnehmen. Es war aber ein regelrechter Vergeltungsschlag der Briten, der das Königreich BENIN auslöschte. Die Benin-Expedition vom Februar 1897 war die Reaktion auf ein Vorgehen des Königreichs, das Sir Harry Rawson mit 1 200 Mann unternahm, wobei er die Benin-Stadt erst eroberte, dann plünderte und damit das Königreich BENIN als selbständige Herrschaft beendete. BENIN wurde in das koloniale Nigeria eingegliedert, so wie es heute Teil der nigerianischen Republik, einem Bundesstaat ist.
Bei beiden Gegenständen konnte also die Provenienz nachgewiesen werden und damit auch die Kaufkosten für das Städtische Völkerkundemuseum Frankfurt. Beide Objekte sind im selben Katalog abgedruckt, im Illustrated Catalogue 24 von 1900 , wo ein William Ockelford Odman beide Gegenstände erwarb, die er dann an das Städtische Völkerkundemuseum Frankfurt weiterverkaufte. Für das Schwert kann dies im Detail nachvollzogen werden. Im besagten Katalog wurde das Schwert für 2 Pfund und 10 Schilling angeboten und Odlman hat es wohl für ein Pfund erworben. Erst am 22. April 1910 kaufte das Städtische Völkerkundemuseum Frankfurt diesen Gegenstand von Oldmann für 2 Pfund, 17 Schilling und 6 Pence ab. Da hat dieser Oldman seinen Reibbach gemacht! Aber ist es nicht toll, daß unsere Museen in der Lage sind, die Besitzverhältnisse zu verfolgen! Wobei auch hier nicht vergessen werden soll, daß Briten und Deutsche sich das teilten und mit Geld bezahlten, was eigentlich Eigentum der Menschen des Königreiches von BENIN waren. Und sind? Das ist die Frage und wir werden es nicht bei dem Ausstellungsbericht belassen, sondern die ausgezeichneten Unterlagen des Museums publizieren und die Frage der Provenienz und Rückgabe weiterverfolgen.
Fortsetzung folgt.
Fotos:
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Info:
BENIN. Die Sammlung im Weltkulturen Museum Frankfurt RETROSPEKTIVE/PERSPEKTIVEN
Teil 1: Retrospektive vom 20. Juli bis 24. September 2023
Teil 2: Perspektiven vom 11. Oktober bis 31. Dezember 2023