RETROSPEKTIVE vom 20. Juli bis 24. September, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn man als aufgeklärter Staatsbürger und Zeitungsleserin BENIN hört, dann hat man sofort die eindrucksvollen Bronzen aus dem historischen Königreich Benin vor Augen und daß es im Zuge der politischen Korrektheit in Berlin einen Restitutionsprozeß gab, der mit der Übergabe der Bronzen durch die beiden Ministerinnen Roth und Baerbock an den dann scheidenden nigerianischen Staatspräsidenten hätte enden sollen. Tat es aber nicht: enden. Denn da Mohammedu Buhari die Bronzen dem gegenwärtigen König von Benin, Oba Weuare II übergab, sahen sich die getäuscht, die die Bronzen dem nigerianischen Volk zueignen wollten.
In der Tat ist das alles ein wenig komplizierter, was wir jetzt vereinfacht darstellen. Ja, es gibt auch heute ein Land namens BENIN (früher Dahomey), aber das hat mit dem alten Königreich BENIN und seinen Bronzen nichts zu tun. Das historische Königreich BENIN ist heute Teil Nigerias. Und der gegenwärtige König von BENIN, den es also noch in der Republik Nigeria gibt, hat eher eine repräsentative Funktion, denn eine politische Macht. Gleichwohl liegen in einem Land von über 200 Millionen Einwohnern, dem bevölkerungsreichsten Afrikas, in dem ca. 514 verschiedene Sprachen und Idiome gesprochen werden, wo also eine sehr große kulturelle Vielfalt herrscht und viele Volksgruppen sich auf ihre Republik einigen müssen, die Dinge anders denn hier.
Das ist als Vorbemerkung wichtig, aber wichtig ist auch, erst einmal mehr über das historische Königreich Benin zu wissen, bevor es um die über 50 Metall-, Holz- und Elfenbeinobjekte aus Benin geht, die im Weltkulturenmuseum ihr Zuhause haben. Bisher. Auch darüber wird noch zu reden sein.
Das historische Königreich Benin mit seiner Hauptstadt Edo/Benin City und seinem König, Oba genannt, war – es geht um die vorkoloniale Zeit ab 600 nach Chr. - eines der stabilsten staatlichen Gebilde an der Guineaküste Westafrikas. Erst kurz vor 1900 wurde es von den Briten erobert und dem britischen Protektorat Nigeria zugeordnet, aus dem erst am 1. Oktober 1960 die unabhängige Republik NIGERIA entstand Da war in Benin schon lange, nämlich seit 12. Jahrhundert die heutige Dynastie am Ruder, deren Königswürde eine gewaltige Anzahl von Legenden legitimiert, deren Kenntnisse durchaus die Objekte in der Ausstellung dem Betrachter mehr erklären, als es der interessierte Blick kann. Wie bei allen Objekten aus fremden Kulturen ist dem westlichen Blick die Kenntnis seiner ursprünglichen Kulteigenschaft erst einmal verborgen und oft wollen wir sie auch gar nicht wissen, weil wir als Kunst empfinden, was ursprünglich eine spezielle rituelle Funktion hatte.
Zurück zum Königreich, zu dem wir nur noch anmerken, daß es die merkwürdige Konstruktion einer Wahlmonarchie hatte, wobei die Auswahl der Obas aber auf die Verwandtschaft mit dem regierenden Königshaus beschränkt war und zudem nur Männer wählbar waren. Das gilt bis heute, wo in Nigeria mit Beginn 1960 seit 1998 schon die vierte Republik existiert.
Beim Rundgang durch die Ausstellung kann man gar nicht anders als sich mit den Problemen zu beschäftigen, die heute außereuropäische Kunst/Kultobjekte per se erweckt. Denn auch in der vorkolonialen Zeit, erst recht im Kolonialismus sind die Objekte, die heute im Besitz der alten Völkerkundemuseen und neuen Museen der Weltkulturen sind, auf eine Weise an die westlichen Besitzer geraten, die sich heute verbieten. Raub, Diebstahl, Plünderungen. Oder Ramschverkauf. Das alles heute historisch aufzupfriemeln ist äußerst schwierig, weshalb schon lange der Provenienzforschung die oberste Priorität gilt. Was seit langem für Kunstmuseen Standard ist, hat sich für alle Museen durchgesetzt und etabliert, wobei der Kunstraub unter den Nazis in der späteren Nachkriegszeit fast immer der Anfang war, der sich inzwischen bis zu den Anfängen der jeweiligen Sammlungen ausdehnt. Die Museen haben natürlich auch zuvor, mal besser, mal schlechter ihre Objekte katalogisiert und Eingang oder Verkauf mit Datum, Person und Geldsumme dokumentiert.
Nimmt man die Erwerbsmethoden gerade der alten Völkerkundemuseen ernst, könnte, ja müßte man die allermeisten ihrer Objekte direkt den jeweiligen Völkern und Staaten zurückgeben, wobei es ein gegenteiliges Argument gibt, daß die meisten der alten Kulturen, deren Kultgegenstände die heutigen Objekte in unseren Museen bilden, gar nicht mehr bestehen und die heutige Bevölkerung keinen Bezug zu ihnen hat. So oft das stimmt, stimmt es für die Gegenstände aus BENIN eben nicht. Denn noch heute beziehen sich Bevölkerung und auch Künstler auf ihre angestammte Kultur.
Von daher ist es eine gute Idee des Museums, der historischen Ausstellung, also dem Zeigen der Kultobjekte aus dem Königreich Benin, eine Ausstellung folgen zu lassen, die unter dem Titel PERSPEKTIVEN vom 11. Oktober bis 31. Dezember d.J. der Gegenwartskunst des Landes dient, uns also zeigt, welche Künstler heute welche Art von Kunst gestalten und ob es ein Kontinuum gibt. Das wird erst recht interessant, weil man dann die Aussage, daß sich heutige afrikanische Künstler dieser Region noch stark auf die Objekte ihrer alten Kultur beziehen, überprüfen kann.
Fortsetzung folgt
Fotos:
Titel: Krieger
Text: Die beiden Objektfotos sollen zeigen, wie das Erforschen in der Ausstellung funkioniert. Man sieht in der Glasvitrine den Gegenstand, der in großen Karteikarten an der Wand, die entnommen werden können, mit Bild und erklärendem Text, wie im Folgeartikel detailliert gezeigt, den Besucher aufklären.
©Redaktion
Info:
BENIN. Die Sammlung im Weltkulturen Museum Frankfurt RETROSPEKTIVE/PERSPEKTIVEN
Teil 1: Retrospektive vom 20. Juli bis 24. September 2023
Teil 2: Perspektiven vom 11. Oktober bis 31. Dezember 2023