Hanswerner Kruse
Steinau (Weltexpresso) - In Schlüchtern-Vollmerz wurde am Mittwoch ein Stolperstein für das von den Nazis ermordete und vergessene jüdische Mädchen Margot Grünfeld verlegt. Die Fünfzehnjährige, von der es kein Foto gibt, starb in dem Alter, wie die im Konzentrationslager umgekommene Anne Frank. Durch ihr Tagebuch ist die allerdings immer noch international bekannt. Ebenfalls am Mittwoch wurde dieses Diarium, eines der meistgelesenen Bücher der Welt, im Rahmen der Steinauer „Puppenspieltage“ durch die Gruppe „Artisanen“ inszeniert.
Die Bühne ist voller Kruscht: Ein Lampenschirm, ein großes rot-weißes Tuch, Besen und Eimer, liegen herum. An einem wackligen Schrank ist ein kleines Foto von Anne Frank befestigt. Vielleicht symbolisiert diese Kulisse ihre einst aus den Fugen geratene Welt. Die Figurenspieler Stefan Spitzer und Inga Schmidt stehen am Rand, fügen Fotos der Personen hinzu, mit dem sich das heranwachsende Mädchen 761 Tage lang vor den Nazis in einem Haus in der Amsterdamer Prinzengracht verstecken musste.
Immer wieder lesen sie aus Annes Tagebuch vor, die darin sehr differenziert über das Leben mit sieben anderen Leuten in der Isolation berichtet: Über den Tagesablauf und die kleinen Freuden im schwierigen Alltag. Die Kämpfe mit der strengen Mutter und den anderen Mitbewohnern: „Wenn Du meine Tochter wärst...“ „Zum Glück bin ich das nicht!“ Später erzählt sie auch von ihrer ersten Liebe Peter und formuliert sehr präzise ihre Kritik an der Rolle der Frauen als Hausmütter: „Moderne Frauen wollen völlige Unabhängigkeit!“
Für besondere Situationen wird der Schrank zum Puppentheater geöffnet, Annes Puppe spielt alleine oder mit der Vaterpuppe einige wichtige Erlebnisse nach (Foto links). Annes kämpferische Figur stellt fest, „ich passe nicht zu Euch“ und fordert, „ich will ernst genommen werden.“ Der Vater versucht sie zu verstehen, fordert aber Rücksicht auf die Mutter.
Zwischendurch werden durch farbige Lichtkunst und der Annefigur surreale Traumszenen gezeigt.
Anne Frank wurde 1945 in Bergen-Belsen ermordet. Das letzte Zitat von ihr im Stück lautet: „Ich weiß, dass ich schreiben kann!“ Und tatsächlich, sie ist ja Schriftstellerin geworden.
Das Spiel der Berliner Gruppe „Artisanen“ ist kein illusionistisches Puppentheater, sondern eine Collage, in der die Erzählung immer wieder durch andere Medien unterbrochen wird. Die Bedienung der Figuren durch die Puppenspieler ist sichtbar. Man taucht zwar in Annes Leben ein, wird daraus jedoch ständig zum Nachdenken herausgerissen.
Natürlich ist Anne Franks Schicksal traurig und bewegend, aber die junge Frau hat in ihrer kurzen Zeit intensiv gelebt und ihre Erfahrungen gründlich reflektiert. Trotz aller Probleme ist sie tapfer und kämpferisch. Man verlässt das Theater nicht niedergedrückt, sondern angestiftet mutiger zu sein, etwa um den wachsenden Rechtsradikalismus entgegenzutreten. Damit so etwas nie wieder passiert, denn Nationalsozialismus und Holocaust waren kein „Vogelschiss“, wie uns der AFD-Vorsitzende Alexander Gauland weismachen wollte.
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© Hanswerner Kruse
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