Europa 4533KulturWerk-Woche in Schlüchtern, Teil 3

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) - „Europa brennt!“ Das neue Stück der Tanzcompagnie Artodance ist keine durchgehende Erzählung, sondern eine Collage aus assoziativen Bewegungsbildern und Tanzszenen. Kulturpreisträgern Monica Opsahl präsentierte ihre Choreografie zur derzeitigen Situation in Europa, im Rahmen der KulturWerk-Woche 2024.

 

Dramatisch beginnt das Tanztheater mit Flackerlicht, Schüssen und Explosionen im Hintergrund. Ein verzerrtes Cello intoniert die Europahymne, die „Ode an die Freude“, mit strengen soldatischen oder getriebenen Bewegungen ziehen drei Tänzerinnen über die Bühne. Plötzlich werden sie von zwei maskierten Kriegerinnen mit Maschinenpistolen bedroht, sie haben Angst, unterwerfen sich - doch sie versuchen auch sich zu wehren, gemeinsam gegen die Eindringlinge zu erheben.

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Kreischige, tiefdröhnende Klänge fahren in den Bauch und machen die Tanzenden mutiger. Momente der Empörung und Abwehr, bis alle Beteiligten zu Boden sinken, während die Deutschlandhymne angespielt wird. Später drücken Einzelne mit eindringlichen stummen Schreien ihren Schmerz, ihre Trauer, ihre Leiden aus. Eine fällt um, wird von den anderen getragen, eine Stürzende wird aufgefangen und weitergereicht. In der Verzweiflung gibt es zu sanften Tönen immer wieder berührende Szenen mit Kontakt, Beistand, Verbundenheit.


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Vertieft wird die intensive Anmutung der Tänzerinnen für das Publikum, durch die hervorragende Licht- und Klanggestaltung (Arnold Pfeifer). Im zweiten Teil des Abends, die Frauen sind jetzt verschrobener alltäglich gekleidet, geht es abstrakter zu: Sie tanzen das Leben - begegnen sich, schaffen Distanz und Nähe, holen Ausreißerinnen zurück, werden auseinandergerissen. Zwischendurch frieren sie zu eigenartigen Menschenskulpturen ein, sind sie Überlebende? Um Rettung Kämpfende? Denn die Bedrohung ist nicht vorbei, das Draußen erreicht auch die KulturWerk-Halle. Das Schlussbild im Nebel, zu „alle Menschen werden Brüder“, ist sanft und versöhnlich. Jedoch der Tanzabend ist kein Traum. „Mit letztem Atem erklingt mein Schrei: Du darfst nicht schlafen - es ist nicht vorbei!“ So hieß es in dem norwegischen Gedicht von 1937, „Europa brennt“, das Opsahl vor der Aufführung programmatisch rezitierte.

Ihre Choreografie ist kein Kampftanz, kein Kriegsspiel, kein Abbild der Wirklichkeit, sondern die Gradwanderung zwischen Kunst und Realität.

„Ballett kann kämpfen“, forderte vor vielen Jahren Johann Kresnik, der Pionier des europäischen Tanztheaters. Das bedeutete nicht, dass seine Arbeiten theoretisch durch Aufklärung und Kampfansagen überfrachtet wurden. Man muss die Informationen und Nachrichten nicht tanzen, wenn man sie aussprechen kann. Doch das Entsetzen in eine Form zu bringen, schafft bereits Abstand und Zuversicht. Das Besondere ist, dass die Kunst, hier das Ensemble Artodance, Leid und Verzweiflung, zugleich aber Hoffnung und Optimismus ausdrücken kann. 

Gezeigt wurden die bewegenden Szenen von Mara Diegmüller, Nele Euler, Meline Gottwald, Marla Ickes, Julie und Maren Opsahl, Anna Wachenfeld. Die Tänzerinnen simulierten kein Entsetzen oder spielten Schmerz, sondern schöpften ihren Ausdruck aus eigenen Erfahrungen und viel Empathie. „Europa brennt“ ist kein Stück, dass das Publikum herunterzieht, sondern zuversichtlich machen kann. Auch wenn es schwer und anstrengend ist, kann man es dennoch als Kunstwerk genießen.

Fotos:
Hanswerner Kruse

Service:
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