Hanswerner Kruse
Hanau (Weltexpresso) - Mit der werkgetreuen Shakespeare’schen Tragödie „Romeo und Julia“ setzten die 40. Brüder-Grimm-Festspiele ihr Programm fort.
In der Festivalreihe „Grimm Zeitgenossen“ überrascht der englische Dichter, bekanntlich lebte er 200 Jahre vor den Grimm-Brüdern. Doch die märchenhafte Handlung des Liebesdramas wurde ja seitdem in zahlreichen Opern, Balletten und Filmen neu interpretiert.
Schauen wir auf die Handlung im Amphitheater in Hanau. Statt des Chores singt das goldglänzende göttliche Wesen, Madame Destina (Johanna Haas), den Prolog des Stückes und verkündet die Inhalte des folgenden Dramas: Den Hass der verfeindeten Familien Montague und Capulet sowie das tragische Ende. „Wie diese Liebe nun dem Tod verfiel.“
Diese „Stimme des Schicksals“ (Programmheft) zeigt sich bei allen Wendungen und kommentiert sie oft singend. Etwa als sich der liebeskranke und anämisch wirkende Romeo (Nils Thalmann), überraschend schnell einer neuen Liebe hingibt. „Altes Verlangen stirbt; es zu beerben / Ward junge Leidenschaft geschwind ersehn“, singt Destina. Denn die von Romeo verehrte Rosalinde hat sich zu ewiger Keuschheit entschlossen. In Julia (Magdalena Lehmann) findet der Verzweifelte eine Gleichgesinnte, die auch an die stürmische Liebe glaubt. Sie soll bald verheiratet werden, begehrt jedoch den vom Vater erwählten Bräutigam nicht.
Dann ändert sich das bis dahin derbe und komödienhafte Stück. In den Straßen Veronas provozieren sich hasserfüllt die jungen Leute der zwei Familien. Romeos Freund Mercutio (Adrian Djokic) ist ein Spaßmacher und Hitzkopf, schnell mit dem Degen zur Hand.
Tybalt (Dominik Penschek), einer der Capulets, beleidigt Romeo. Mercutio verteidigt ihn, wird aber von Tybalt getötet, woraufhin Romeo - plötzlich voller Kraft und Wut - den Getöteten rächt. Deshalb wird er in Abwesenheit vom Fürsten Veronas zu ewiger Verbannung verurteilt.
Doch den Verliebten bleibt eine erotische Nacht, die als Choreografie getanzt wird. Morgens streitet das Paar: „War es die Nachtigall oder die Lerche?“ Sie wollen sich wiedersehen, aber der Plan misslingt. Romeo weiß nicht, dass Julias Tod nur durch eine Medizin vorgetäuscht wird, und vergiftet sich selbst.
Die erwachende Geliebte will das Gift von seinen Lippen trinken, vergeblich, und sie tötet sich mit seinem Dolch. Angesichts des Dramas in der dunklen Gruft ruft der Fürst Veronas die Familien zur Versöhnung auf: „Denn niemals gab es ein so herbes Los / Als Juliens und ihre Romeos.“
Es war eine vom Publikum lange mit Ovationen im Stehen gefeierte Premiere. Schauspielerisch war das Stück hervorragend besetzt, mit der sinnlichen, wandlungsfähigen Julia, dem humorvollen, frechen Mercutio oder der ambrosischen Destina. Erwähnt werden soll hier noch die robuste, loyale Amme Julias (Barbara Seeliger). Die Regie (Frank-Lorenz Engel) hatte gute Einfälle, vor allem durch die Choreografie der Liebesnacht und die Schicksalsgöttin anstelle des Chores. Erstaunlich ist die historisierende Inszenierung trotz moderner Musik. Man könnte sich auch die leidenschaftliche Liebe eines palästinensisch-jüdischen Paares vorstellen. Dadurch hätte das Stück mehr Gegenwartsbezug und Allgemeingültigkeit bekommen.
Bis Ende Juli wird es weitere Aufführungen geben:
Fotos
© Hanswerner Kruse
Oben: Die Schicksalsgöttin über den Dächern von Verona
Mitte: Rome und Julia begegnen sich auf dem Fest
Unten: Das scheinbare Totenlager Julias (mit ihren Eltern und der Schicksalsgöttin)