SWR.de bubiszum 25. Todestag am 13. August 2024

Elvira Grözinger

Berlin (Weltexpresso) - Es gibt wahrscheinlich auch heute noch kaum einen deutschen Bürger, dem Ignatz Bubis kein Begriff wäre. Er hat wie kein zweiter das öffentliche Leben in Deutschland nach 1945 geprägt. Der shoahüberlebende gebürtige Breslauer schlug sich nach Kriegsende von Polen nach Deutschland durch. Er betätigte sich fortan als Kaufmann und Unternehmer. Seit 1956 in Frankfurt am Main wohnend, wurde er ab 1965 aktiv im Rat und Vorstand der Jüdischen Gemeinde, deren Zentrum jetzt seinen Namen trägt, die er über lange Jahre als deren Vorsitzender geführt hat.

Bubis war ein politischer Mensch und trat 1969 in die FDP ein. Als Kommunalpolitiker und Mitglied des Bundesvorstandes war er ein unbeugsamer Demokrat, ein Liberaler vom Schlage eines Theodor Heuss‘ und bekämpfte die auch dort bestehenden Rechtstendenzen und den Antisemitismus.

Bundesweite Resonanz bekam ab Ende der 1960er Jahre der sogenannte „Frankfurter Häuserkampf“, in dem Bubis als Investor in der Uni-Nähe im Frankfurter Westend zur Zielscheibe von Sponti-Kräften wurde. Zu den Anführern der gewaltvollen Proteste gegen die „Spekulanten“ gehörten damals Daniel Cohn-Bendit und der spätere Grüne Außenminister Joschka Fischer, der 1973 dabei einen Polizisten verletzt hatte. Den Kampf thematisierte Rainer Werner Fassbinder in seinem Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von 1975, das in Teilen antisemitisch ist. Viele glaubten, in der abstoßenden Figur des jüdischen Immobilienspekulanten Bubis zu erkennen. 1985 sollte das Stück in Frankfurt am Main dennoch aufgeführt werden. 500 Demonstranten protestierten dagegen vor dem Theater, ich war dabei. Die Aufführung kam nicht zustande wegen der Bühnenbesetzung durch den Vorstand der Jüdischen Gemeinde, darunter deren Vorsitzender Ignatz Bubis und der damalige Kulturreferent Michel Friedman. Es ging schon damals um die „Freiheit der Kunst“ auf der einen und die im Grundgesetz verankerte Unantastbarkeit der Würde des Menschen auf der anderen Seite. Bubis versuchte, stets mutig und mit unermüdlichem Einsatz für Menschlichkeit und Empathie, dem Antisemitismus in der Kunstszene, in der Mitte der Gesellschaft, und ja in deren Eliten, durch Humanismus entgegenzutreten.
Besonders getroffen haben Bubis die pogromartigen rassistischen Ausschreitungen 1991 in Hoyerswerda und im August 1992 in Rostock -Lichtenhagen gegen ehemalige vietnamesische DDR-Vertragsarbeiter. Im Umbruch der Wiedervereinigung kam der fremdenfeindliche Bodensatz an die Oberfläche und Bubis, dem man als Juden das „Deutschsein“ absprechen wollte, wurde unversehens zum visionären Mahner. Als er, ein deutscher Jude, in November 1992 bei einem Solidaritätsbesuch bei den Opfern in Rostock von einem CDU-Politiker gefragt wurde, ob seine Heimat Israel sei und wie er zum Nahostkonflikt stehe, war dies für ihn ein Alarmzeichen. Er nahm kein Blatt vor den Mund: „Ich sehe die Gefahr, dass die Vergangenheit in Vergessenheit zu geraten droht, auch bei älteren Menschen, die diese Nazi-Vergangenheit noch aus eigener Anschauung kennen“.

Als er 1992 nach dem Tod von Heinz Galinski zum Vorsitzenden des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, wie sein Amt damals hieß, gewählt wurde, bat er mich, seine Persönliche Referentin zu werden. Man konnte Bubis sehr schwer etwas abschlagen. Ich übernahm also diese Aufgabe, die sich allerdings oft als äußerst belastend erwies. Über meinen Schreibtisch gingen Tausende Zuschriften an ihn – die einen voller Verehrung, zahlreiche andere aber voller Hass auf ihn und die Juden allgemein wie auch an mich und meine Familie, keineswegs nur anonym, sondern oft mit Titel, akademischen oder militärischen Graden und Adressen, und zwar ausschließlich von rechtsextremen Deutschen aus dem In- und Ausland. Immer wieder waren auch Todes-Drohungen dabei.
Bubis war sehr bald nach seiner Wahl zu einer moralischen Instanz geworden, ein Überlebender, der sich mit aller Kraft in den Dienst des neuen demokratischen deutschen Staates und des Wiederaufbaus einer selbstbewussten, starken jüdischen Gemeinschaft stellte. Und er war ein sehr kluger, scharfsinniger Beobachter. In unzähligen Fernsehauftritten, Vorträgen in Polizeiakademien und als Jude zum Anfassen in Schulklassen im ganzen Land, erlangte er blitzartig eine große Popularität. Als 1993 ein CDU-Abgeordneter vorschlug, Bubis zum Bundespräsidenten zu wählen, was als Aufruf in der damals noch existierenden Wochenzeitung „Die Woche“ Verbreitung fand, hat Bubis sehr hellsichtig ablehnend reagiert: Deutschland sei noch nicht reif für einen jüdischen Bundespräsidenten.

Privat war Ignatz Bubis ein Gourmet und Genießer und in einem Interview erzählte seine ebenfalls humorvolle Frau Ida, dass ihr Mann alles mag, was mit „A“ anfängt: „A bissl das, a bissl jenes“. Er hatte einen unerschöpflichen Fundus an guten jüdischen Witzen – und wenn er mal einen erzählte, der nicht ganz stubenrein war, entschuldigte er sich bei der oder den anwesenden Damen. Einerseits war er ein geselliger Mensch, ein Kommunikator, auf der anderen Seite jedoch lastete auf ihm die Trauer um seinen Vater und die ermordeten Verwandten. Wie so viele Überlebende, konnte er sehr lange, bis zur Holocaust-Serie im deutschen Fernsehen 1978 darüber nicht reden. Über das Schweigen in ihrem Elternhaus hatte 1996 auch seine Tochter Naomi, die seit Langem in Israel lebt, zusammen mit ihrer jüdischen Freundin Sharon Mehler das Buch „Shtika“ (hebräisch für Schweigen) geschrieben, als Versuch der 2. Generation, die Lücken Flecken in den Biographien zu füllen.

Als am 1. Oktober 1998 Martin Walsers in seiner Dankesrede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche sagte, dass man den Deutschen ihre nationalsozialistische Vergangenheit immerzu zur „Instrumentalisierung unserer Schande zu heutigen Zwecken“ vorhalte und dadurch Auschwitz zur „Moralkeule“ verkomme, hatte Bubis, der wie immer sehr genau zuhörte, als einziger nicht nur keinen Beifall geklatscht, sondern Walser einen „geistigen Brandstifter“ genannt. Walser war zunächst uneinsichtig und frech, nach einer Aussprache erklärten allerdings beide, ihren Streit beigelegt zu haben. Dennoch schrieb Walser 2002 ein antisemitisches Buch „Der Tod eines Kritikers“, gegen Marcel Reich-Ranicki gerichtet aber mit deutlichem Bezug auf Bubis. Erst 2018 bedauerte er seine Rede und bezeichnete sie als „menschliches Versagen“. Walser war aber offenbar schon 2014 schockiert, als er im Zuge der Arbeit an dem Büchlein über den jiddischen Klassiker Mendele Moicher Sforim, mit dem Kauderwelschtitel Shmekendike Blumen. Ein Denkmal. A dermonung für Sholem Yankev Abramovitsh, entdeckt hatte, dass Juden seit fast tausend Jahren Deutsch (Judendeutsch) Jiddisch sprachen und die Deutschen somit ihre eigenen Leute umgebracht hätten.

Bubis erlebte jedoch die späte Einsicht des greisen Walsers nicht mehr. In seinem letzten Interview im „Stern“ kurz vor seinem Tod lautete sein bitteres Fazit „Ich habe nichts erreicht“. Ignatz Bubis wurde seinem Wunsch gemäß in Israel beerdigt. Die heutige judenfeindliche Entwicklung in Deutschland gibt ihm Recht. Er fehlt uns heute mehr denn je.

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