Serie: Gabriele D'Annunzio - Ein bewegtes Leben zwischen Kultur & Politik, Teil 5/15
Davide Zecca
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Gabriele D'Annunzio ließ keine Chance aus, so wollte er ebenfalls politisch Erfahrung sammeln: 1897 stellte er sich im Alter von 34 Jahren mit dem bizarren Wahlslogan „Kandidat der Schönheit“ für das Regionalparlament in der Ortschaft Ortona zu Wahl. Als gewählter Parlamentarier der historischen Rechten wechselte er mit dem Jahrhundertwechsel 1900 mit dem berühmten Satz als Begründung „vado verso la vita“ („Ich gehe dem Leben entgegen“) die Seiten und schloss sich somit aus Protest gegen die sog. „leggi liberticide“ unter dem Präsidenten des italienischen Ministerrats Luigi Pelloux der historisch extremen Linken an.
Als Abgeordneter der historischen Linken setzte er sich für die Schulbildung im säkularen Sinne ein und stimmte für den Misstrauensantrag gegen den Präsidenten der Abgeordnetenkammer Giuseppe Colombo, der dann im Jahre 1900 zurücktrat. Als das Regionalparlament wegen unüberbrückbarer Positionen der Abgeordneten aufgelöst wurde, schlug die extreme Linke den Dichter vergeblich für die Ortschaft San Giovanni in Florenz als Kandidaten vor. Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Parlaments sowie vor als auch nach den Wahlen schlug er subversive Pläne und direkte Aktionen außerhalb der Institutionen vor, mit einem politischen Aktivismus, der ihn dazu veranlasste, über viele Plätze und Straßen Italiens zu reisen – ohne dabei jemals Parteimitglied des Partito Socialista Italiano (Sozialistische Partei Italiens) zu sein.
Dabei protestierte er lebhaft gegen die brutale Niederschlagung der Mailänder Unruhen („moti di Milano“) vom 6. bis 9. Mai 1898 durch den General Fiorenzo Bava Beccaris, die wegen der blutigen Repression mit über 80 gezählten Toten, unter denen oft Passanten, symbolisch in die Geschichte als „cannoni di Bava Beccaris“ („Kanonen von Bava Beccaris“) einging. Ferner trat der populäre Kandidat D'Annunzio während des Wahlkampfs, wie von ihm nicht anders zu erwarten, sehr energisch und engagiert auf, sodass, je hitziger die Konkurrenz wurde, desto fieberhafter er wurde. Er ließ in der Zeitung „La Difesa“ sowohl einen Artikel gegen seinen Widersacher namens Digny, als auch einen kritischen Brief gegen den Florentiner Oberbürgermeister Torrigiani veröffentlichen.
Aber der bekannte Kandidat war nicht nur ein Mann von Worten, sondern gleichermaßen von Taten: Er forderte den Direktor der Zeitung „La Nazione“ zum Duell auf, nachdem dieser einen beleidigenden Artikel über den Dichter publiziert hatte. Seine Kundgebungen brachten jubelnde Menschenmengen zusammen, so wie die Rede am 3. Juni 1900 im Saal in Porta Nuova, wo der Journalist der sozialistischen Zeitung „Avanti!“ („Vorwärts!“) von D'Annunzios Redekunst fasziniert, schreibt, dass diese „mit unendlichen gut platzierten, köstlichen Zwischenspielen“ das Publikum in Ekstase versetze. D'Annunzios Reden lehnten sich in der frühen Zeit des 20. Jahrhunderts inhaltlich einem „garibaldianischen Epos“ an, sodass er auf die herrschende Klasse abzielt und sich für die italienischen Landwirte mit folgenden Worten einsetzt: „Ihr Leute von San Giovanni, meine sicheren Freunde [...] Ihr Leute von Santa Maria Novella, die erste Kraft im Krieg [...] Ihr Leute von Santa Croce, unsere höchste Hoffnung, die auserwählte Truppe [...] wie eine rote Fahne, entfaltet unter der florentinischen Sonne“.
Nach dem intensiven Elan für eine linksgerichtete Politik, unternimmt der Dichter mit dem berühmten Slogan als Begründung „vado verso la vita“ eine 180-Grad-Wende und kehrt 1910 wieder zur rechten Politik zurück. Er wurde Mitglied der nationalistischen Partei L'Associazione Nazionalista Italiana (Nationalistische Vereinigung Italiens) von Enrico Corradini und verherrlichte in seinen Beiträgen die Machpolitik Italiens bzw. stellte seine Vorstellung von der Nation der „armseligen und pazifistischen Italietta“ entgegen. Aber auch aus seinem freiwilligen „Exil“ in Paris nahm er an politischen Debatten der unmittelbaren Vorkriegszeit teil, so veröffentliche er zum Italienischen-Türkischen Krieg feierliche Verse.
Forsetzung folgt ab 28. März
Foto:
©Deutschlandfunk Kultur
Info:
Zweitveröffentlichung vom 15. März 2024
Die bisherige Serie
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Gabriele D'Annunzio: Der „Kandidat der Schönheit“ und seine Anfänge in der Politik
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- Kategorie: Kulturbetrieb