hofmannsthal im atelier des malers rudolf konopa im halbprofil stehend c FDHHOFMANNSTHAL. SZENEN

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Theaterszenen, biographische Szenen, Konfliktszenen – die Jubiläumsausstellung zum 150. Geburtstag von Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) erzählt Geschichten aus Leben und Werk des österreichischen Schriftstellers. Sie schöpft aus dem Nachlass, der seit über einem halben Jahrhundert im Freien Deutschen Hochstift verwahrt und erforscht wird. In der Sonderausstellung sind Archivalien zu sehen, an denen immer auch charakteristische Konstellationen der Epoche sichtbar werden – von Hofmannsthals Anfängen als literarisches Wunderkind über die Formexperimente am Beginn des neuen Jahrhunderts (‚Elektra‘), hin zur großen Form der Oper (‚Der Rosenkavalier‘) bis zu den Neuanfängen in der verstörenden Welt nach dem Ersten Weltkrieg.


Die Fragen und Probleme des alten Europa in einer Zeit heftiger Umbrüche kommen uns heute an vielen Stellen vertraut vor. Grundlage der Ausstellung ist Hofmannsthals Nachlass, der zu großen Teilen im Freien Deutschen Hochstift verwahrt wird. Hier entstand ab den 1960er Jahren intensiver Arbeit dreier Generationen von Forschen den die kritische Werkausgabe, die 2022 abgeschlossen wurde und im Studienraum der Ausstellung zur Lektüre bereitsteht. Die Ausstellung wird kuratiert von Konrad Heumann und Katja Kaluga.

In 14 Szenen stellt die Ausstellung Hugo von Hofmannsthals poetische Verfahren vor. Im Zentrum steht seine Arbeitsweise, sein Verweben von Texten, Motiven und Gattungen der Tradition zu neuen Formen, die ihrerseits die Möglichkeit weiterer Texte eröffnen. Hofmannsthal entwirft nicht geschlossene Werke, sondern Szenen, die auf ganz unterschiedliche Weise Gestalt annehmen können: als durchgeplanter Theater- oder Opernabend, als Essay in einer bestimmten Zeitschrift, als Pantomime, als Film, als Festival. Die Ausstellung setzt weniger auf die Rekonstruktion großer Entwicklungsbögen von Hofmannsthals riesenhaftem Werk. Sie untersucht stattdessen komplexe Konstellationen, die sich anhand von ausgewählten Exponaten darstellen, erklären und verstehen lassen. Gezeigt werden Handschriften, Briefe und Objekte, bei denen gewissermaßen unter dem Mikroskop Hofmannsthals künstlerische Strategien und seine Haltung zur Welt in Zeiten epochaler Umbrüche sichtbar werden. Der Verzicht auf große Bögen ermöglicht aus der Fülle des Überlieferten möglichst viel unbekanntes Material in unerwarteten Konstellationen zu präsentierten; so zum Beispiel den Briefwechsel mit den Eltern, ein überaus faszinierendes Konvolut aus über 2.200 Briefen, Karten und Telegrammen, das in der Literaturgeschichte einzig dasteht. Die Eltern gehörten auf eigentümlich ungebrochene Weise zu Hofmannsthals engsten Gesprächspartnern, mit denen er in schneller Folge seinen Alltag, aber auch grundsätzliche Lebensfragen erörterte. Ebenso bemerkenswerte Zeugnisse verletzlicher Intimität sind die über 1.000 Korrespondenzstücke, die Hofmannsthal mit seiner späteren Ehefrau Gerty Schlesinger wechselte, entstanden in einer Zeit, in der das traditionelle Geschlechterverhältnis mit seinem Kanon unhinterfragter Zuständigkeiten und Machtsphären seine Gültigkeit verlor. Auch dieses Korpus ist bisher in seiner Gesamtheit unbekannt und wird im Herbst 2024 erstmals in einer umfassenden Edition bei S. Fischer erscheinen. Weiteres schließt sich an, etwa Hofmannsthals die Briefe an Karl Kraus, die vor wenigen Monaten in Privatbesitz aufgetaucht sind.

Sichtbar werden soll vor allem das Werk, das über Jahrzehnte im Freien Deutschen Hochstift erschlossen wurde. So lässt sich etwa Hofmannsthals Technik, die unterschiedlichsten Quellen und Motivtraditionen so miteinander zu mischen, so dass sie als Remix zu neuem Leben erwachen, auf kleinstem Raum verfolgen. Ein Beispiel sind die ersten Notizen zum ‚Jedermann‘, denen sich bereits die Grundarchitektur des Dramas als kulturübergreifende Verschränkung von Alt und Neu entnehmen lässt. Unbekannte ‚Szenen‘ werden ebenfalls aus Hofmannsthals Leben erzählt, so etwa seine eindrucksvolle Begegnung mit dem jiddischen Theater während einer Militärübung 1898 weit im Osten der Monarchie. Das Problem kultureller Fremdheit, das sich zu jener Zeit zu einem Krieg der Kulturen auswuchs, der direkt in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts mündete, wird bei Hofmannsthal anschaubar – in Neugier, Furcht und dem Wunsch kultureller Anverwandlung.



HUGO VON HOFMANNSTHAL, DAMALS UND HEUTE. ZUR EINORDNUNG DES 150. GEBURTSTAGS

Es ist interessant, den Konjunkturen nachzugehen, die das Werk Hugo von Hofmannsthals (1874–1929) durchlaufen hat. Ein stärkerer Anfang ist kaum denkbar: Hofmannsthal war noch in der Schule, als er von einer jungen Autorengeneration als neue lyrische Hoffnung gefeiert wurde. Der suggestive, ebenso verlockende wie rätselhafte Ton seiner Gedichte wirkte formbildend auf ein Literaturbewusstsein, das sich energisch von Historismus und Naturalismus absetzte. Seine Verse wurden zum Kultobjekt und Erkennungszeichen der Jung-Wiener und bald auch der Anhänger des George-Kreises, der Berliner Frühexpressionisten und weit darüber hinaus. Gedichte wie ‚Manche freilich ...‘ und ‚Weltgeheimnis‘, die dem Ungewissen und Fasterlebten der Gefühle eine traumartig-funkelnde Sprache gaben, blieben bis in die jüngste Vergangenheit in Anspielungen und Parodien lebendig und sind in ihrer Mischung aus sprachlicher Autorität und Deutungsverweigerung noch heute aus dem Kanon der lyrischen Redeweisen nicht wegzudenken.

Nach 1900, als Hofmannsthal einer der ersten freien Schriftsteller der österreichischen Monarchie wurde, ohne an etablierte Vorbilder anknüpfen zu können, trug er in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Max Reinhardt zur Revolutionierung des deutschsprachigen Theaters bei, namentlich mit seiner Tragödie ‚Elektra‘ (1903), in der eine Frau ihre Wut über ihr mörderisches und verlogenes Umfeld herausschrie. Dieser sehr laute, das Publikum verstörende Hofmannsthal, der die antike Tradition und ihre klassische Rezeption gewaltsam so umschmiedete, dass etwas Neues entstand und zugleich die Vorstellung des klassischen Altertums in Bewegung geriet, wurde später durch andere Tonlagen überlagert. Da sind zum Beispiel die Dramen ‚Jedermann‘ und ‚Der Schwierige‘, die vielen kulturhistorischen Essays, der Einsatz für die Salzburger Festspiele als Vereinigungsort einer internationalen höheren Gesellschaft und vor allem die Zusammenarbeit mit Richard Strauss und wichtigen Bühnenkünstlern der Zeit wie Alfred Roller, die zu den bekannten sechs Opern von der ‚Elektra‘ bis zur ‚Arabella‘ führte. Mit ihnen ist Hofmannsthal bis heute im internationalen Kulturleben präsent. Auch hier sind es die vielfältigen Bezüge, die raffinierten Anspielungen auf vergessene Traditionen und die Erfindung von Vergangenheiten, die so nie existierten, verbunden mit Grenzüberschreitungen in ästhetischer und moralischer Hinsicht, die, zuweilen nur in kleinen Nuancen, den Reiz und die Langlebigkeit der Werke ausmachen.

Hofmannsthal starb 1929, zehn Jahre später musste die Familie aus Österreich und Deutschland emigrieren. Die Opern wurden in der Folgezeit zwar weiterhin gespielt, doch fand die Pflege des Werks außerhalb des nationalsozialistischen Machtgefüges statt. Nach 1945 kam es in der jungen Bundesrepublik (weniger in Österreich) zu einer bemerkenswerten Hofmannsthal-Renaissance. Offenbar trafen seine Texte den Nerv einer Zeit, die sich auf ein kulturgesättigtes, unverfängliches „altes Europa“ besinnen wollte, das noch nicht lange vergangen war. Bei S. Fischer erschien eine wirkmächtige 10-bändige Werkausgabe, und ab 1959 bemühte sich die Familie um eine große kritische Edition, die die zu Lebzeiten verstreut gedruckten Texte sowie den im Vergleich zu anderen Schriftstellern sehr reichen Nachlass sichtbar machen sollte. Die ebenfalls vom S. Fischer-Verlag getragene Ausgabe der ‚Sämtlichen Werke‘ wurde ab 1967 im Freien Deutschen Hochstift erarbeitet. Keinem anderen deutschen Autor des 20. Jahrhunderts wurde etwas Vergleichbares zu Teil. Dass in der Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte ein derart großer finanzieller und personeller Aufwand betrieben wurde, um das Werk eines Österreichers ans Licht zu bringen, hat mit einem weiteren Generationswechsel zu tun, in dessen Folge der Autor für jüngere Leserinnen und Leser attraktiv wurde, die ihn emphatisch unter dem Signum der Moderne lasen. Auf diese Weise wurde er über lange Zeit zum festen Bestandteil des Kulturjournalismus und der akademischen Forschung – als wichtiges Glied in einer Traditionslinie von Goethe bis Kafka und Thomas Mann.

Zu Hofmannsthals 150. Geburtstag hat sich die Situation abermals verändert. Die klassischen Moderne, die Literatur überhaupt scheint ein großes Stück ihrer Leitfunktion und ihrer identitätsbildenden Kraft im gesellschaftlichen Gespräch eingebüßt zu haben; zu groß ist die Konkurrenz durch andere Medien, zu stark der Wandel der Themen und Interessenslagen. Dieser Entwicklung zum Trotz sucht die Ausstellung nach den Glutkernen von Hofmannsthals poetischer Welt, die uns Heutige inspirieren und unsere aktuellen Fragen und Sorgen zuweilen in überraschende Traditionslinien stellen.

Foto:
Hugo von Hofmannsthal im Winter 1899/1900 im Atelier des Malers Rudolf Konopa
©Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum, Hs-Foto-0219

Info:

LAUFZEIT
4. Oktober 2024 – 12. Januar 2025

ERÖFFNUNG
3. Oktober 2024, 19 Uhr 

ÖFFNUNGSZEITEN
Freitag bis Mittwoch, Feiertage 10 – 18 Uhr, Donnerstag 10 – 21 Uhr
24., 25., 31. Dezember, 1. Januar geschlossen

Besucherinformationen

Deutsches Romantik-Museum & Frankfurter Goethe-Haus Großer Hirschgraben 21, 60311 Frankfurt am Main, www.freies-deutsches-hochstift.de

In Kooperation mit dem Theatermuseum Wien. Mit freundlicher Unterstützung der Ernst Max von Grunelius-Stiftung, S. Fischer Stiftung, Rudolf-August Oetker-Stiftung, Dr. Marschner-Stiftung, Hessischen Kulturstiftung und der Cronstett- und Hynspergische evangelische Stiftung