corinneWhat a Family. Ruthe Zuntz im Jüdischen Museum Frankfurt

Corinne Elsesser

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das Jüdische Museum in Frankfurt bietet immer wieder jungen Künstlerinnen Raum. Nach der Videoinstallation "re per toire" von Elianna Renner im Rahmen der Ausstellung "Zurück ins Licht" 2022 oder "Architekturen des Überlebens", einer Einzelausstellung der polnischen Architektin Dr. Natalia Romik 2024 legt nun die Fotografin und Medienkünstlerin Ruthe Zuntz ihre künstlerische, sehr persönliche Recherche zu ihrer Familiengeschichte vor, die sie von Berlin bis in die Frankfurter Judengasse führte.


Ausgangspunkt war ihr Grossvater Karl Zuntz, dessen Koffer für die Geschichte der Familie eine besondere Rolle spielte. Ihn hatte er bei seiner Deportation 1942 nach Auschwitz mitgenommen, wo er 1944 ermordet wurde. Hinter einem Vorhang aus weissen Fäden kann der Besucher im ersten Raum der Ausstellung eine 3D-Replik des Koffers ausmachen. Der reale Koffer befindet sich heute in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und wird aufgrund seines Asservatenstatus nicht ausgeliehen. Doch seine eher zufällige Entdeckung in einem Haufen Hinterlassenschaften der in Auschwitz Ermordeten brachte 1964 nicht nur Gewissheit, was mit dem aus Frankfurt abgeführten Grossvater geschehen war. Sie war auch Auslöser für die Erarbeitung einer Familienchronik durch Jehuda Zuntz, die bis ins Jahr 1488 datiert. Und sie hat auch den Anstoss gegeben, dass Simon Zuntz, Sohn von Karl Zuntz und Vater der Künstlerin, anlässlich eines Besuches bei seiner Tochter in Berlin endlich über das Erlebte sprechen konnte. Er war 1939 zusammen mit seinem Bruder Leo im Alter von zehn Jahren mit einem Kindertransport der Jugend-Aliyah ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina verschickt worden.

Seine Tochter Ruthe hörte ihm zu, las seine über 500 Briefe, die er ihr aus Haifa nach Berlin schrieb, wohin sie 1991 ausgewandert war. Ihre Spurensuche führte sie schliesslich nach Frankfurt.Im Jahr 1488 war Pesach aus Zons in der Judengasse verstorben. Er stammte aus Zons, heute ein Stadtteil von Dormagen, und gilt als Begründer der Familie. Im Rothschild’schen Haus "Grünes Schild" war später Karl Zuntz, der Grossvater der Künstlerin, ansässig, der als Rabbiner wirkte und die Rothschild’sche Stiftung für mittellose jüdische Mädchen verwaltete. Heute leben die Mitglieder der Familie weit verstreut in London, New York, Haifa und Schanghai. Viele von ihnen wussten gar nichts voneinander oder lebten in dem Glauben, sie seien die einzigen Überlebenden gewesen, wie zum Beispiel Käthe Lewald-Zuntz, die Theresienstadt überstanden hatte, nach Frankfurt zurückgekehrt war und hier 1995 im Alter von 100 Jahren starb.

In der von Annika Friedman zusammen mit der Künstlerin kuratierten Ausstellung werden Lebensläufe von 18 Familienmitgliedern näher beleuchtet, darunter die Hamburger Keramikerin Hanna Charag-Zuntz, Rahel-Zunz-Hess, 1837 Gründerin des renommierten Kaffee- und Handelsunternehmens "A. Zuntz sel. Wwe.", Leopold Zunz, Wegbereiter der jüdischen Emanzipation, Übersetzer der hebräischen Bibel und Begründer einer Wissenschaft des Judentums 1872 in Berlin.

In einer multimedialen Installation im Zentrum gibt Ruthe Zuntz Einblicke in ihre fotografische Spurensuche in Frankfurt, wo sie jene Orte aufsuchte, die ihr 2021 verstorbener Vater in seinen Briefen erwähnt hatte. Visuelle Eindrücke der heutigen Stadt und des Gedenkens an die hier einst lebenden Familienangehörigen, Grabsteine auf dem Alten Jüdischen Friedhof, oder auch das Mainufer, an dem man gern spazieren ging.

Ein Epilog vermittelt Einblicke in die Recherchen. Auf einem historischen Stadtplan hat Ruthe Zuntz die Häuser ihrer Familie in der Judengasse markiert. Ein Entwurf für eine spätere Publikation zeigt heutige Ansichten dieser Wohnorte, ergänzt durch ein Interview mit der Künstlern sowie Aufzeichnungen ihrer Gespräche mit dem Vater.

"What A Family" ist eine eindrucksvolle künstlerische Recherche zur eigenen Familiengeschichte, die sich, wie Ruthe Zuntz sagt, wie in alle Himmelsrichtungen zerstreute Scherben eines zerbrochenen Glases neu zusammenfügt. Sie zeigt, wie vielseitig und weit verzweigt ihre Familie gewesen ist. Bis heute. Am Eröffnungstag kamen 60 Familienangehörige in Frankfurt zusammen, einige von ihnen lernten sich zum ersten Mal kennen.

Die Ausstellung versteht sich als Zwischenstatus eines grösser angelegten Projektes. Deshalb gibt es keinen (abschliessenden) Katalog. Weiterführende Informationen finden sich dennoch in der vom Jüdischen Museum herausgegebenen Publikation: Fritz Backhaus/Raphael Gross, Die Frankfurter Judengasse, Frankfurt, 2016.


Foto:
Blick in die Ausstellung, im Vordergrund Terra Sigilata Keramiken von Hanna Charag-Zuntz
©Corinne Elsesser

Info:
Bis 15. Februar 2026 im Jüdischen Museum Frankfurt, Berta-Pappenheim-Platz 1.