Nach dem Binding-Kulturpreis und dem Straelener Übersetzerpreis zwei Preise der Leipziger Buchmesse: Frankfurter Verlag Schöffling im Preisglück, Leipziger Buchmesse Teil 6
Felicitas Schubert
Leipzig (Weltexpresso) – Aller guten Dinge sind drei! Soviel Preisglück muß einfach glücklich machen, wobei das Wörtchen GLÜCK ja suggeriert, man habe Glück gehabt, dabei gilt für den Frankfurter Verlag Schöffling auch: Ohne Fleiß kein Preis.
Aber man freut sich einfach für diesen doch eher kleinen Verlag, nicht nur über die Preise selbst, sondern auch darüber, daß kleine ambitionierte Verlag solche Bücher verlegen, die den großen Verlagen zeigen, daß Geld nicht alles ist. Denn die kleineren Verlage sind oft die, die Autoren bekanntmachen, die dann von den großen Branchenriesen mit viel Geld als Autoren geködert werden. Also: »Frohburg« von Guntram Vesper und »Die Tutoren« in der Übersetzung von Brigitte Döbert erhalten den Preis der Leipziger Buchmesse.
Guntram Vesper erhält den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik, Brigitte Döbert wird in der Kategorie Übersetzung ausgezeichnet
Guntram Vesper: die Jury begründet:
»Guntram Vespers Roman FROHBURG gehört zu den Büchern, bei denen man leicht, ganz schnell, auf die großen Begriffe kommt. Opus magnum. Mammutwerk.« Solche Wendungen. Schließlich breitet Guntram Vesper eine umfangreiche Geschichtslandschaft vor uns aus, die von der Gegenwart aus die alte Bundesrepublik, die DDR natürlich, die Nazizeit umfasst und weit in die Geschichte Deutschlands zurückbindet, bis dahin, wohin nur noch die Geschichtsbücher reichen.
Es lohnt sich aber, bei diesem Roman nicht nur den großen Bau zu sehen, sondern auf die Ebene der Details zu gehen, die Ebene der einzelnen Sätze. Die Sätze in diesem Buch sind lang, oft bringen sie gleich mehrere Perspektiven zusammen, und sie sind stets konkret, geatmet, nah dran an der Mündlichkeit. Insgesamt folgen sie dabei einer Ästhetik des Verknüpfens. Man spürt beim Lesen manchmal gar nicht, wie gleitend diese Sätze einen durch die Zeiten und Geschichten, Namen und Schauplätze tragen.
Und genauso folgt der Roman auch auf der größeren Ebene dieser Ästhetik des Verknüpfens. Die große Geschichte – Weltkrieg, Einmarsch der Roten Armee, DDR-Alltag, auch Alltag des bundesrepublikanischen Literaturbetriebs – wird mit dem Kleinen, der Geschichte Frohburgs und der eigenen Familiengeschichte verknüpft.
Wovon dieser Roman handelt, das ist letztendlich immer auch die Übermacht von Geschichte, Kriege, Systeme, historischer Wandel, der über die konkreten einzelnen Menschen hinwegrollt. Diese Erfahrung des 20. Jahrhunderts ist in dem Buch aufbewahrt, und zwar – und das ist wichtig – ohne aus den sogenannten kleinen Leuten Helden zu machen. Der Roman handelt aber auch von dem Erzähler, dem Verknüpfer, den Guntram Vesper der Übermacht an Geschichte entgegenhält. Auch der Erzähler hat, bei all seinem Können, nichts Heldisches, er ist ein, wie man bei diesem lebenssatten Buch mit Erstaunen immer wieder feststellen kann, erstaunlich junger, immer wieder von sich selbst überraschter Erzähler. Man glaubt ihm gern, dass seine Erzählungen wahr sind.
Der Verlag fügt hinzu:
Über sechs Jahre hat Guntram Vesper an diesem Buch gearbeitet, Material über Jahrzehnte gesammelt. Das Ergebnis beschrieb Niels Beintker im Bayrischen Rundfunk so: »Dieser Roman funktioniert wie unser Gedächtnis, wir erzählen eine Geschichte, schweifen ab, entdecken andere Zusammenhänge, spannen einen neuen Bogen, verheddern uns vielleicht, nehmen gedankliche Umwege und kommen irgendwann zurück zum Ausgangspunkt.« Und Helmut Böttiger befindet: »Autobiographische Familienstränge gehen immer unmittelbar über in gesellschaftliche Stränge, also ich und Gesellschaft in ganz konkreter Form werden zusammengebunden. (...) Spektakulär, wie er das schafft.«
1941 in der sächsischen Kleinstadt Frohburg geboren, kam Guntram Vesper 1957 über Berlin in die Bundesrepublik. 1967 las er auf der letzten Tagung der Gruppe 47.
Sein umfangreiches Werk umfasst Prosa, Gedichte, Essays und Hörspiele. Er lebt als Schriftsteller in Göttingen.
»Frohburg« ist ohne Zweifel das opus magnum von Guntram Vesper, zugleich für den Autor der Ausgangspunkt von allem: Der Ort seiner Geburt 1941, Jugend, Aufwachsen und Erwachen, die Flucht der Familie 1957, das umliegende Land die Folie der Geschichtsbetrachtung einer deutschen Epoche. Hier werden ein Land und eine Zeit gültig festgehalten, Kultur und Politik, Krieg und Nachkrieg, ein umfassendes, großartiges Portrait deutschen Lebens im zwanzigsten Jahrhundert; ein gewaltiges Prosawerk, das neben die großen Bücher von Peter Kurzeck, Walter Kempowski und Uwe Johnson zu stellen ist. FROHBURG ist ein Füllhorn an Geschichten, zumeist aus eigenem Erleben grundiert, eine große autobiographische Erzählung, ein Welt-Buch im Überschaubaren, ein Geschichts- und Geschichtenpanorama, wie wir schon lange keines hatten.
Fortsetzung folgt
Info:
Guntram Vesper, Frohburg, Verlag Schöffling & Co 2016
Bora Ćosić, Die Tutoren, übersetzt von Brigitte Döbert, Verlag Schöffling & Co 2015
Jürgen Goldstein, Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt, Verlag Matthes & Seitz 2015