Heinrich Deterings Studie zum Spätwerk Bob Dylans, von ihm selbst vorgestellt

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Bob Dylan erschien schon in den frühen Stadien seines Wirkens als rätselhaft und widersprüchlich. Er beliebte, sich gängigen Erwartungen zu entziehen. Er trat als Protestsänger auf, sah sich aber vor allem als Poet mit durchaus prophetischen Zügen, die er auch wirklich zu haben scheint, wenn sein Intonieren mal wieder eiskalte Schauer über den Rücken sausen läßt.

 

Für Dylan wurde die Musik zum Werkzeug der Übermittlung aneinandergereihter Beschlüsse zum Welträtsel.

 

 

Dylan in Kürze

 

Dylan ist nicht so sehr Poet der Verstandesreflexion, sondern Entwickler einer nicht leicht zu durchdringenden, komplexen Sprache der Bilder, Motive und Idiome. Er fusioniert das Kontingente zu einer Komposition, die stark wirkt, vor allem, wenn auch wieder einmal rezeptorisch zurückgeschaut wird. Die Wiederentdeckung von Dylan muss periodisch erfolgen, sonst erschlägt er.

 

Manchmal scheint er in einem der späten Songs zu keinem Ende kommen zu wollen. Liedzeilen aneinanderreihend geht er in den Austausch, in die Wechselwirkung mit Ovid, Shakespeare und Lennon, mit Gestalten und Landschaften biblischer Texte, verhandelt mit Woody Guthrie, Brecht und einem herbeigezogenen Rabbiner.

 

Er behandelt im tiefsten Grunde vor allem das, was mit dem amerikanischen Gründungsmythos positiv wie negativ zusammenhängt, ergeht sich im amerikanischen Traum wie in dessen Scheitern, so in ‘Working Mans Blues #2’, einer Wiederaufnahme von Merle Haggards gleichnamigem Song [= #1]. Auch wandelt er geistesverwandt mit entschieden Modernen á la Ginsberg, Jack Kerouac und William S. Borroughs.- Texte, Verse, Items haben Vorrang, auch wenn musikalisch bei Legenden wie Elvis, Stichwort- und Stilgebern wie Merle Haggard (stockkonservativ: gerade am 6. April verstorben)) oder begnadeten Instrumentalisten wie Robert Johnson, Jimmy Rogers und Peter Green Inspiration und Reibung gesucht wird.

 

 

Das gigantomanische Spätwerk Dylans

 

`Die Stimmen aus der Unterwelt’, so titelt Heinrich Deterings Studie zu Bob Dylan, an dessen Werk sich über Jahre schon manche Kongresse und Zirkel abgearbeitet haben. Detering sah sich offenbar dazu gedrängt, Erkenntnisse zu Dylans Spätwerk publik zu machen, dessen Beginn er mit dem 11. September 2001datiert, dem Tag der kollabierenden Twin-Towers. Die Alben, die das belegen - sichern könnten - sind: ‘Love & Theft’, ‘Modern Times’ und ‘Tempest’ [‘Sturm’].

 

Klar, dass in seinen späten Werken ein erheblich gewittriges Grollen anklingt.

Das Album ‘Timeout of Mind’ reflektierte noch die 90er-Krise. Wer sich auf den späten Dylan der Nachjahrtausendwende einläßt, mag versuchen nachzuvollziehen, wie der ältere Dylan in seinen späten Sprachkunstwerken der steilen und schnellen Fusion zu einer Reife der Form gelangt. Dylan konstruiert unter Verwendung der Dekonstruktion. Es ist die andere Art des Schreibens, die er in Zeiten, die er neben Joan Baez verbrachte, bereits entwickelte. Als Autor ist er von einem Wechsel, einer Wende betroffen, er konstatiert: ‘Das Ich ist ein anderer’, Ich bin ‘im Spiel’, ‘don’t trust the Author, trust the Tale’ - ‘wo befinden wir uns eigentlich?’. Stets ist mitvollzuvollziehen, wie er auch musikalisch integriert.

 

Der spätere Dylan wurde biographischer denn je - implizit -, aber: er wurde auch archaischer. Er meldet: ‘The Songs are all me’; zusammengesetzt aus ‘1001 Stimmen’. Die Frage ist, ‘wie funktioniert so ein Gehirn?’ - ‘Sag, wie das zustande kommt’, während gekündet wird: ‘Kein Stein bleibt auf dem anderen’; ‘der Held stirbt’, er rückt ‘in den Widerpart’, ‘bis zu seiner Selbstaufhebung’. So reift die Erkenntnis von einem wieder mal erneuerten, mehr noch gewandelten Dylan.

 

Dylan erscheint als moderner „Minstrel-Boy“, er hat es mit dem, was man früher juvenalische Satiren nannte, also den eher strafenden und durchaus pathetischen im Gegensatz zu den burlesken und komischen zu tun, taucht in der Kritik folgerichtig im Zusammenhang mit Lady Gagas unbotmäßiger Bühnensprache auf. Er formt ‘Mystery Plays’, Sagen zu ‘Jedermann’, ‘the Reaper’ senst durchs Land. Dylans Tempest ist eine Art Widerkehrung von Shakespears ‘Sturm’.- Western-Verse, Metamorphosen des Ovid, Matthäus-Evangelium -‘Sporrow will come’ -, all das dient durchstreifend einer Fusion des Reihens; aus dem Augenblick gesprochen noch, wenn er im Bühnenmoment weiterinterpretiert.

 

Wer sich auf den späten Dylan einlassen will, dem sei empfohlen, besonders auf den Song ‘Ain´t Talkin’’ (auf ‘Modern Times’) zu achten. Dieser bewegt sich in der Landschaft, die so ganz die seine wurde, in der er sich zuhause fühlt; er grast sie gleichsam somnambul ab in poetischen Metaphern und Rimbaudschen Zonenschilderungen .

 

Dylan arbeitet sich durch die Mythologie, besonders die amerikanische. ‘Worlds End’: möglich! Die biblisch konnotierte Negative Theologie durchzieht seinen Ton, ‘blitzhaft’ kann etwas gewandelt werden, Welt gestaltet sich als ‘nichtlineare Geschichte’, ‘stehende Zeit’ ist möglich, blendet zuweilen auf. Dylan begreift sich als Poet des Mysteriums, das mit all dem Integrieren den Plagiatsvorwurf einbringt. Mit Goethe läßt sich auf Dylan bezogen feststellen: ‘Mein Werk ist das Werk eines Kollektivwesens’. Zurückblickend, so scheint es, war sein Auftreten auf dem Newport Folk Festival und seine Beteiligung am Civil Rights March neben Martin Luther King für den weltgebildeten Stand so etwas wie die säkulare Epiphanie, von der sich die durchfinanzialisierte Menschheit abgewandt hat.

 

Info:

Heinrich Detering, ‘Die Stimmen aus der Unterwelt’,

Bob Dylans Mysterienspiele,

Verlag C.H.Beck, 2016 ·ISBN-13: 9783406688768·

 

Präsentiert und vorgestellt vom Autor im Literaturhaus Frankfurt am Main am 11. April 2016.

 

Ès moderierte Peter Kemper