Erinnerungen an Max Frisch. Teil 1: Der Schriftsteller und Dramatiker
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Max Frischs Geburtstag, der 15. Mai, gibt alljährlich Anlass, sich mit dem Autor so bedeutender Romane wie „Stiller“ oder „Mein Name sei Gantenbein“ und Dramen wie „Graf Öderland“, „Andorra“ oder „Biedermann und die Brandstifter“ näher zu beschäftigen.
Denn auch noch 25 Jahre nach seinem Tod am 4. April 1991 streiten sich die Menschen über das, was Max Frisch geschrieben hat und sind sich keineswegs einig über seine Bedeutung. Die Reihe der nicht immer wohlmeinenden Kritiker wurde lange angeführt von Friedrich Dürrenmatt, dem Schweizer Landsmann und zeitweiligem Freund.
Doch was kann einem Dichter Besseres passieren, als dass die Leute seines Zeitalters und auch jene, die danach kommen, sich über ihn streiten. Ist der Streit doch ein Zeichen dafür, dass die Dichtung Spuren hinterlassen, dass sie Themen aufgegriffen hat, die der realen Welt entlehnt waren und in denen sich deswegen so viele wiederfinden konnten und können und eben auch wiederfinden sollten. Und von denen sich viele gescheut haben, in jenen Spiegel zu schauen, den ihnen Max Frisch vorgehalten hat. Weil sie in seinen Erzählungen, Romanen und Theaterstücken sich selbst, zumindest in wesentlichen Zügen, wiedererkannten und wiedererkennen und immer wieder erneut erschrocken darüber sind.
Man schaut in einen Spiegel, um sich der eigenen Einmaligkeit zu versichern und blickt in die eigene Verlorenheit, nämlich den jeweiligen persönlichen Irrweg zwischen Identität, Selbstentfremdung und Anpassung an vermeintliche gesellschaftliche oder wirtschaftliche Zwänge. Kaum ein Autor der Moderne hat das so klar ausgedrückt.
Max Frisch selbst war kein Angepasster, er fand sich mit den Verhältnissen eher selten ab, obwohl er durchaus ein Bonvivant war, der das Leben und dessen Annehmlichkeiten sehr genossen hat. Nein, er zählte nicht zu jenen Schreibern, die, um stets im Literaturbetrieb präsent sein zu können, immer wieder bei sich selbst abschreiben und die so im Laufe eines Künstlerlebens das eigene Schaffen und die eigene Bedeutung vernichten.
Nein, er entwickelte sich, nicht immer nach oben, sondern auch gelegentlich dorthin, wo er bereits schon einmal gestanden hatte. Da er die Größe besaß, sich korrigieren zu können, empfindet man sein Werk in der Gesamtschau dennoch als Protokoll einer ständigen Entwicklung nach vorn. Er war ein Mann mit klar konturierten Eigenschaften, die seiner Umwelt und seinen Bewunderern und Kritikern mitunter auf die Nerven gehen konnten. Er blieb nicht unverbindlich in der Darstellung der Menschen, der Dinge und der Verhältnisse. Und zwischen den Zeilen seiner Werke spürt man etwas von jenem Aufruhr, der in seinem Innersten immer wieder tobte, der ihn zu literarischen Provokationen antrieb. Das Feuer, das in seiner Seele zu brennen schien, begegnet uns in seinen Werken hingegen eher als Irrlicht oder Wetterleuchten, selten als kräftiges Gewitter. Aber bei den Lesern seiner Romane und den Zuschauern seiner Dramen vermag es dennoch wahre Feuersbrünste zu entfachen. Vorausgesetzt, man ist bereit, sich auf eine Auseinandersetzung mit dem einzulassen, was der Dichter zur Sprache gebracht hat.
Viele seiner späteren Nichtleser und Verächter haben Max Frisch in der Schule kennengelernt, im Deutschunterricht. Wurden mit Themen konfrontiert, die sie nicht oder allenfalls sehr schwer begreifen konnten, weil ihnen in diesem Lebensabschnitt zwischen 14 und 18 Jahren zumeist die notwendigen Erfahrungen fehlten, um die Sujets in Frischs Romanen und Stücken in ihren vollen Bedeutungen erfassen zu können. Denn wenn Literatur einen Sinn machen soll, dann muss sie das Leben in seinen verschiedenen Nuancierungen wiedergeben. Einschließlich der Träume, der Hoffnungen und auch des vermeintlich Undenkbaren bis hin zum Unsagbaren.
Max Frisch fühlte sich einer Grundtugend der Literatur verpflichtet: Nämlich der Suche nach der Wahrheit des Lebens und damit eng verbunden dem Problem der menschlichen Identität. Seine besondere Aufmerksamkeit galt dem Phänomen der Sprache. In seinen Tagebüchern findet man immer wieder entsprechende Einträge. So z.B. diesen: „Was wichtig ist, ist das Unsagbare, das Weiße zwischen den Worten, und immer reden diese Worte von Nebensachen, die wir eigentlich nicht meinen.“
Frisch ist immer wieder vorgeworfen worden, seinen Werken mangele es an konkreten politischen Bezügen. Wenn er die Vorgänge in einem autoritären, undemokratischen Staat beschreibe, dann zögere er, dessen Namen zu nennen. Tatsächlich steht in Max Frischs Romanen und Dramen der Einzelne, das Individuum mit seinem Identitätsproblem, seiner Selbstentfremdung und seiner zwiespältigen gesellschaftlichen Bindung im Mittelpunkt. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen werden zwar als Krise des Systems deutlich benannt, verbleiben aber im Anonymen. Hingegen hat er in seinen zahlreichen Artikeln, Essays und Reden immer wieder Stellung zum jeweils aktuellen Zeitgeschehen genommen. So ist beispielsweise sein „Dienstbüchlein“ über seine Zeit bei der Armee ein Beleg für seine Position als politischer Schriftsteller. Bereits im „Tagebuch“ von 1948 notiert er: „Wer sich nicht mit Politik befasst, hat die politische Parteinahme, die er sich ersparen möchte, bereits vollzogen; er dient der herrschenden Partei.“
Dennoch: Die Suche nach Identität, das Entrinnenwollen aus unterschiedlichen Zwängen, aber auch das Verhältnis der Geschlechter ziehen sich als Spuren durch sein literarisches Schaffen. In seinem Spätwerk „Montauk“ realisiert der spürbar älter und auch bereits krank gewordene Max Frisch, dass die Vergänglichkeit, von der er immer wieder geschrieben hatte, auch ihn selbst betrifft. Dass die Zukunft, an der er noch würde teilhaben können, eine begrenzte sein würde. Die Zeit verging, ging auch an ihm nicht vorbei, sonder er verging mit ihr. Und so richtet er in ungewohnter Offenheit seinen Blick in die eigene Vergangenheit und beschwört gleichzeitig die intensive Erfahrung von Gegenwart. Fortsetzung folgt
Info:
Max Frisch wurde am 15.05.1911 in Zürich geboren und starb am 4.04.1991 ebenda.
Zu seinen wichtigsten Werken zählen: „Tagebuch eines Kanoniers“ (1940), „Die chinesische Mauer“ (1947), „Tagebücher 1946-1949“ (1950), „Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie“ (1953), „Stiller“ (1954), „Homo Faber“ (1957), „Biedermann und die Brandstifter“ (Hörspiel 1953, Bühnenversion 1958), „Andorra“ (1961), „Mein Name sein Gantenbein“ (1964), „Tagebücher 1966 - 1971“ (1972), „Dienstbüchlein“ (1974), „Montauk“ (1975).
Im Teil 2 wird auf das Drama „Graf Öderland“ eingegangen.