Zum 50. Todestag von Heinz Liepman

Wilfried Weinke

Brüssel (Weltexpresso) - Heinz Liepman (1905-1966) ist eine Persönlichkeit, die von der Literaturgeschichtsschreibung wie von der Exilforschung marginalisiert wurde. Will man ihn literarturwissenschaftlich einordnen, kann man sage, daß sich Heinz Liepman ?für sein eigenes Schreiben stark am amerikanischen Erzählduktus orientierte.

Unzählige Beileidsschreiben erreichten die Literaturagentin Ruth Liepman 1966  nach dem Tod ihres Mannes, des Schriftstellers und Journalisten Heinz Liepman. Freunde wie Günter Amendt, 
Alfred Andersch, Max Brod, Hilde Claassen, 
Heinrich Hannover, Hein Kohn, Georg Ramseger, Erich Maria Remarque, Ernst Sander, Joy und Günther Weisenborn versuchten, Trost zu 
spenden.

Journalisten angesehener Tages- und Wochenzeitungen, aus deutschen wie Schweizer Rundfunkanstalten, namhafte Lektoren und Verleger wie Walter Boehlich, Kurt Desch, Wilhelm Goldmann, Klaus Harpprecht, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, Emmie Oprecht, Klaus Piper und viele andere bekundeten in langen Briefen ihre Trauer über den plötzlichen Tod Heinz Liepmans. Aus Hamburg kondolierte nicht nur der Senatsdirektor Erich Lüth, der den Verstorbenen trotz aller gegensätzlichen Temperamente als «Bruder» bezeichnete. Auch Herbert Weichmann, der damalige Erste Bürgermeister der Stadt, Jude, Emigrant und nach 1945 – wie Liepman – Remigrant nach Deutschland, hob hervor, «ein Stück Familie» verloren zu haben, weil ihn mit dem verstorbenen Freund nicht nur Zuneigung, sondern uralte «gemeinsame Wurzeln des Erlebens und des Denkens» verbunden hatten.



Vergessener Zeuge der Zeit


In ihren Nachrufen charakterisierten Kollegen Heinz Liepman als «Zeugen der Zeit» oder als «großen Publizisten». In der Hamburger Tageszeitung «Die Welt», für die Liepman seit Ende der fünfziger Jahre und seit 1961 als deren Schweizer Korrespondent geschrieben hatte, stellte Jost Nolte erschüttert fest: «Es ist schwer sich vorzustellen, dass er nicht mehr dabei sein wird: bei dem, was man literarische Ereignisse nennt, und bei dem, was politischer Streit heißt. Denn für Heinz Liepman hieß Leben dabei zu sein, beteiligt zu sein, ein Wort zu den Ereignissen der Literatur und der Politik zu sagen. In seinen Büchern und in seinem Journalismus steckte immer Bekenntnis.» Im «Aufbau» in New York schrieb Paul Marcus, dass Liepman als «Schulbeispiel» dafür gelten könnte, «welche Zerstörungen die Vertreibung des Geistigen in der deutschen Literatur angerichtet hat.»

Hans Lamm, in dessen Ner-Tamid-Verlag Liepman 1961 seine Artikelsammlung «Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach» ver­öffentlichte hatte, war sich in der «Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland» 
völlig sicher: «Die Literaturhistoriker werden den Schriftsteller und Romancier Heinz Liepman würdigen.» Auch weil sie erkennen würden, dass er Werke geschaffen habe, «die von seiner Sorge um den Menschen, die schwache, von vielfältigen wie äusseren Kräften bedrohte Kreatur zeugen.» Auch der Nachruf auf Heinz Liepman in dem Mittteilungsblatt der englischen Association of Jewish Refugees kam zu einem ähnlichen Schluss: «Literaturgeschichtler der Zukunft werden ihn als einen der letzten Vertreter der deutsch-jüdischen Symbiose durchaus positiv bewerten.»

Weit gefehlt! All diese wohlmeinenden Freunde und Kollegen sollten sich gewaltig irren. Selten ist ein Mensch, um Konrad Merz zu bemühen, so nachhaltig aus Deutschland gefallen wie der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepman. Als Jude und Sozialist, der schon vor 1933 den Nationalsozialismus als «Beginn der Barbarei in Deutschland» gebrandmarkt hatte, wurde er verfolgt, seine Bücher standen auf der «Schwarzen Liste» der sogenannten volksfremden und auszumerzenden Literatur. Mit seinem Roman «Das Vaterland», den er im September 1993 den «in 
Hitler-Deutschland ermordeten Juden» widmete, sowie dem 1935 im Zürcher Europa-Verlag erschienenen Roman «… wird mit dem Tode bestraft» beschrieb er den antifaschistischen Widerstand im gleichgeschalteten Deutschland.

In der Folge wurde Heinz Liepman am 8. Juni 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, sein Name stand auf der gleichen Liste wie die Namen von Bertolt Brecht, Nahum Goldmann, Kurt Hiller, Erika Mann, Walter Mehring oder Erich Ollenhauer. Als Staatenloser emigrierte er über England in die USA, wo er sich anfänglich durchaus erfolgreich, später eher schlecht als recht behauptete. 1947 musste er die USA verlassen und kehrte nach Deutschland zurück. In Hamburg gelang es ihm erneut, eine journalistische wie schriftstellerische Karriere aufzubauen. Seine vom amerikanischen Erzählduktus geprägten Kurzgeschichten wurden vielfach in der deutschen Tagespresse gedruckt, fanden später auch Aufnahme in deutsche Schulbücher. Schon 1947–1948 publizierte er die dreiteilige Artikelfolge «Ein Jude macht sich Gedanken über Deutschland»; im New Yorker «Menorah Journal» erschien zeitgleich seine Reportage «The Survivors».



Wichtige Kulturinstanz


Den größten, auch seinen Tod überdauernden Erfolg stellte aber die von ihm seit 1947 angestrebte Gründung einer Literaturagentur dar. Auf Grund seiner Erfahrungen mit Literaturagenten erkannte er die Bedeutung einer solchen Vermittlungsinstanz, die zuerst den amerikanischen mit dem deutschen Buchmarkt (und vice versa) verbinden sollte. Dank seines literarischen Gespürs und Engagements konnten schon bald Bücher wie Norman Mailers «The Naked and the Dead» oder J. D. Salingers «The Catcher in the Rye» in deutscher Übersetzung erscheinen. Gemeinsam mit seiner ebenfalls aus Hamburg stammenden Frau Ruth, die die Nazi-Okkupation Hollands in der Illegalität überlebt hatte, gründete er 1949 die Literaturagentur Liepman, die sehr schnell nicht nur zu einem florierenden Geschäft, sondern auch zu einer wichtigen Kulturinstanz wurde. Nicht ohne Stolz erinnerte sich Ruth Liepman: «was in Hamburg kulturell passierte, das ging uns irgendwie durchs Haus».

Doch im restaurativen Adenauer-Staat fühlte sich Heinz Liepman zunehmend unwohler. Angesichts des erstarkenden Antisemitismus und des vordergründigen Philosemitismus, veröffentlichte Liepman in der Tageszeitung «Die Welt» seine kritischen Artikel «Müssen wir wieder emigrieren?» oder «Aber er hat doch die Autobahnen gebaut». Trotz zahlreicher positiver Leserbriefe entschied sich Heinz Liepman, seinen Wohnsitz Ende 1961 nach Zürich zu verlegen. Hier fand er eine neue Heimat, arbeitete weiterhin für die deutsche Presse und den Rundfunk, aber auch für den «Tages-Anzeiger» und die «Weltwoche». Zürich war für ihn eine bunte Stadt: «Da ist die Welt der Banken, der Kirchen und der Kaufhäuser, man findet viel Bohème und viele Spießer, es gibt Kultur, Amtsschimmel, Gartenzwerge. Es ist eine Stadt der Gegensätze und Opportunisten. Es ist im Grunde ganz genau die Stadt, in der jemand wie ich leben kann.»

Heinz Liepman starb am 6. Juni 1966 im Tessin, wo er auch begraben liegt. Zwar erfuhren seine beiden antifaschistischen Romane eine kurze Renaissance, doch sowohl die Hamburger Literaturgeschichtsschreibung, verstanden als kritische Heimatkunde, sowie die Exilforschung haben ihn über viele Jahre marginalisiert. Eine literarische Öffentlichkeit hätte an diesem engagierten Autor einiges gutzumachen.

Foto: Heinz Liepman (c) tachles

 

Info: Abdruck aus tachles, dem jüdischen Wochenmagazin vom 17. Juni mit freundlicher Genehmigung