"CALL ME GOD" – AUFTRAGSWERK der ELBPHILHARMINIE, Hamburg, 8. - 10.3.2017, Teil 1/3
Helmut Marrat
Weltexpresso. (Hamburg) - "Eritis sicut deus scientes bonum et malum" -- übersetzt: "Du wirst sein wie Gott, sobald du das Gute und das Böse unterscheiden kannst". - Dieser Satz aus der Bibel aus 1. Mose 3,5 steht im Zusammenhang mit der Vertreibung aus dem Paradies. Die Schlange erregt mit diesem Satz die Neugier Evas.
Sie, die Frau, ist es, die das Paradies zerstört und die Menschheit fortan "auf die Reise um die Welt" schickt, das verlorene Paradies wiederzufinden. Goethe (1749 - 1832) verwendet im "Faust I" dieses Wort, als er den Teufel (Mephistopheles) diesen Satz dem wissenslustigen Schüler ins Stammbuch schreiben lässt. - Das aber bleibt: "Unterscheidend das Gute und das Böse wirst du sein wie Gott". - "Wie Gott"; weiter geht es nicht. Mehr ist dem Menschen nicht möglich. Denn ihm fehlt die Unsterblichkeit. Hätte er Gelegenheit gehabt, im Paradies auch noch vom Baum der Unsterblichkeit zu essen, Gott wäre entthront, überflüssig geworden. Daher die Vertreibung aus dem Paradies in die häßliche und rauhe Wirklichkeit hinein; ins Jammertal und Glück des Lebens.
Möglich, aber hier nicht entscheidbar, dass erst der diese Wanderung beendende Tod den Weg zurück ins Paradies verschafft. - Die Behauptung also des Diktators Satur Diman, sehr überzeugend dargestellt von John Malkovich (*1953): "Call me god" - bedeutet damit eine Anmaßung, die keinen Bestand haben kann, da auch er, bei aller möglichen Macht, der Vergänglichkeit nicht entweichen kann. Seine Anmaßung bedeutet höchstens eine Stauung, ein Aufhalten, eine Lebensverhinderung zu seinen Gunsten, einen Zeitgewinn - nie jedoch einen dauerhaften Sieg.
Die gestaute Zeit stürzt am Ende nur umso schneller dem Abrund zu, die willkürlich hergestellte Spannung erst einmal wieder ausgleichend zu einem neuen ruhigen, gleichmäßigen Fluss. Ob diese Stauung indes der Weltordnung zuwider läuft, muss offen bleiben; auch in der physischen Natur gibt es Stauungen häufig; man denke nur an die zahlreichen Wasserfälle. Also kann sogar der sich Gott-Gleichheit anmaßende Diktator ein Stück Weltordnung darstellen. Horkheimer (1895 – 1973) und Adorno (1903 – 1969) heben in ihrer "Dialektik der Aufklärung" auch hervor, dass die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch hinfällig ist, wenn man sich auf die Wahrnehmung von Befehl und Gehorsam, auf Kommando und Ausführung beschränkt.
Unsere Gegenwart spielt diesem Stück und dieser Aufführung dazu noch deutlichst in die Hände. Die Premiere fand statt am 8.3.2017; einen Tag zuvor hatte der türkische Außenminister im Interesse Erdogans (*1954) vom Balkon des türkischen Generalkonsulats an der Außenalster seine Demokratie--feindlichen Parolen in die Abendluft gerufen, wofür er von der türkischen Zuschauermenge gefeiert wurde. Es geht dabei um Stimmenfang: Die außerhalb der Türkei lebenden Türken sollen dafür gewonnen werden, dem Referendum, das Erdogans Macht erheblich vergrößern kann, in kürze zuzustimmen. Über den Umstand, dass hier, in unser Land hinein, ein fremdländischer Wahlkampf hineingetragen wird, herrscht allgemein Ratlosigkeit bis Unmut. Ein Journalist des SPIEGEL, der sich die Kundgebung aus der Nähe ansah, dachte an seinen in der Türkei eingesperrten Kollegen Deniz Yücel (*1943), und hielt ein Schild in die Höhe, das dessen Freilassung forderte. Es wurde ihm blitzschnell aus den Händen geschlagen mit der Bemerkung: "Du verdankst es Erdogans Menschlichkeit, dass du noch lebst!" Fortsetzung folgt
Foto: John Malkovich (c) Jann Wilken