Martin Wimmer liest vor der Steuben-Schurz-Gesellschaft in Frankfurt aus seinem Buch

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Selten hat die Steuben-Schurz-Gesellschaft, die älteste deutsch-amerikanische Freundschaftsgesellschaft, eine so passende Lesung erlebt, wie die von Martin Wimmer zur Kulturgeschichte der deutsch-texanischen Beziehungen und seiner persönlichen Geschichte, seiner tiefen bayerisch-texanischen Liebe zu Blues, Folk, Country und Songwritern.



Das ging uns durch den Kopf, als wir diese gut dreißig  Amerikabegeisterten mit großer Neugierde im Café Hauptwache auf die Worte des Leiters des Büros des Oberbürgermeisters Peter Feldmann (SPD) warten sahen. Das nämlich ist der Autor mehrerer Bücher, ein berufener  DJ, ein Kabarettist, ein Dichter von Songtexten und Liebhaber von Texas auch noch. Jedoch spielte das an diesem Abend keine Rolle, war aber vielleicht der Grund für die Anwesenheit des Stadtverordnetenvorstehers Stephan Siegler (CDU) und anderer Prominenter. Aber vielleicht sind auch diese alle nur Texaner im Geiste.

ICH BIN DER NEUE HILMAR UND TRAURIGER ALS TOWNES ist auf jeden Fall  eine Hommage an Texas, seine Lebensart und Geschichte und die wunderbar Verrückten, die aus allem Musik machen, die das Herz rührt. Texas ein Synonym „für ein wildes, freies Leben voller Liebe.“

Den Abend hatte die Vorsitzende der Freundschaftsgesellschaft Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels mit der Frage eröffnet, „was uns erwartet“. Sie habe sich unter dem Titel nichts vorstellen können, kenne keinen Townes, „vermute in Hilmar den berühmten Kulturmanager Hilmar Hoffmann“, weshalb sie das Buch gekauft habe, denn dieser habe als Frankfurter Kulturdezernent den Kulturbegriff des 19. Jahrhunderts, der nur für die Gebildeten galt, als KULTUR FÜR ALLE ins 20. Jahrhundert transformiert. Und dann zitierte sie Wimmers eigene Worte in seiner Einleitung: „Mein kulturpolitisches Programm ist, daß jeder Mensch imstande ist, ein Buch wie dieses hier zu verfassen. Daß jeder Mensch die Bildung dazu erhält...“ Der Absatz endet übrigens mit: „Jeder Mensch, Kultur von allen, darunter mache ich es nicht. Bummeln, träumen, lernen, leben, lieben.“

Daß Kultur nicht nur passiv genossen werden kann, sondern Kultur aktiv zu gestalten ist, gefiel Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels an den Aussagen Martin Wimmers besonders, der überhaupt das alte, das ursprüngliche Amerika im Blick habe. Das nahm Martin Wimmer gerne auf, der bekannte, noch nie in einem Raum so viele Menschen, die Amerika lieben, versammelt gesehen zu haben. Sicher war der Beginn der Lesung mit dem Kapitel über „Die alte schwarze Magie. Zum  100. Geburtstag von Johnny Mercer“ (246ff) auf diese zugeschnitten, verschärft durch die vorgeschaltete akustische Wiedergabe von Frank Sinatras ONE FOR MY BABY, wo man sich gleich wie in einer Bar der 40er Jahre fühlte, wo die Töne durch den Raum perlen…

Ach, dachte man, eigentlich wäre man jetzt mit der Musik allein auch schon zufrieden, so passend war das, an diesem Abend, in diesem Raum. Und insofern bekam das Weitere auch einen anheimelnden kulturhistorischen Aspekt, denn was Wimmer über den Soul- und Folksänger las, war ein Eintauchen in das Südstaaten-Amerika von Huckleberry Finn bis zu den Vaudeville-Shows mit Al Jolson: „John Herndon Mercer wäre am 18. November 2009 100 Jahre alt geworden. Er ist einer der erfolgreichsten Songwriter des 20. Jahrhunderts. Ein paar Rekorde? Seine über tausend Lieder brachten ihm 18 Oscar-Nominierungen ein, die erste noch unter Roosevelt, die letzte fünf Präsidenten später unter Nixon.“(247)

Und in diesem Kapitel taucht auch der Missing Link zum Titel auf, wenn Wimmer Johnny Mercer rühmt: „Ein Songwriter‘s Songwriter und ein Singer-Songwriter, wie später Townes Van Zandt...“. Aha, mit der schon früh verstorbenen Kultfigur Van Zandt vergleicht sich also Martin Wimmer auf dem Titel, den er am Schluß süffisant als Marketinggag bezeichnet.  Die Musik von Townes hören wir mit BE HERE TO LOVE ME erst später. Die nächsten drei Aufnahmen sind alles Songs von Johnny Mercer, beginnend mit STRIP POLKA.

Und dann ging‘s zu den Wurzeln, zu den jugoslawischen-ungarischen-böhmischen-serbischen-tschechischen, die die bayerischen vom Wimmer Martin bedingen. Witzig, lehrreich, bescheiden, vielseitig. Drei tolle Kapitel SCRIBE ET LABORA, von denen er den ersten und zweiten Teil liest, wo es dann um die Großeltern geht: „In den Geschichten meiner Großeltern war die Kunst immer: zu überleben. Nicht vom Russen erschossen zu werden im Feld, an der Front, nicht von den Nazis im Hof gehängt wegen des Versuchs, den Juden Brot zuzustecken, nicht auf der Flucht erwürgt.“(166)

Dann ging‘s wieder nach Louisiana und vom Nachbarstaat zurück nach Texas, wo Interessantes über die Deutschen all dort und die Zusammenhänge von Songtexten und deutschen Weisen wie denen von Hoffmann von Fallersleben zu hören waren; überhaupt stecken in diesem einen Buch so viele überraschende Hinweise, so viele Sprachspiele, so viele Namen, legendäre und unbekannte, und ebensogleiche Songs, die man alle sofort hören will. Die von Martin Wimmer ausgewählten Leseproben und die zehn Musikstücke hatten auf jeden Fall den  Anwesenden Lust auf mehr gemacht.

Das nahm Ingrid Gräfin zu Solms-Wildenfels zum Anlaß: „Ein ganz wundervoller Abend. Ein großartiger Abend. Ein großartiger Roman!“ Jeder, der 1945 die Zeit hier mit den Amerikanern erlebt habe, finde etwas in dem Buch.

Und dann zeigte sie, daß sie Inhalt, Gehalt, sprachlichen Ausdruck und die Intention des Buches - mühelos und sinnlich faßbar - anrührend fortsetzte: „Im Grund ein Buch über die Sehnsucht, Ihre Sehnsucht und unser aller Sehnsucht, wobei wir nicht genau wissen, wonach wir uns sehnen.“

Es gab anschließend eine lebhafte und sehr zustimmende Diskussion.


 
Foto: Martin Wimmer © Micha Bilo

Info:
Martin Wimmer
Ich bin der neue Hilmar und trauriger als Townes
ca. 285 Seiten. Paperback. Ladenpreis 22 Euro
Frankfurt am Main 2016
Weissbooks
ISBN 978-3-86337-130-2

Lesung: "Ich bin der neue Hilmar und trauriger als Townes"
Martin Wimmer liest aus seinem Buch: „Ich bin der neue Hilmar und trauriger als Townes“.  Veranstaltung im Café Hauptwache (Raum Balthazar), An der Hauptwache 15, 60313 Frankfurt am Main