"CALL ME GOD" – AUFTRAGSWERK der ELBPHILHARMINIE, Hamburg, 8. - 10.3.2017, Teil 3/3
Helmut Marrat
Weltexpresso. (Hamburg) - Sophie v.Kessel spielt die bedrohte Journalistin intensiv wie eine Flamme, stößt dabei bis in Bezirke vor, die vordem nur von Susanne Lothar (1960 – 2012) verwaltet und beherrscht wurden. Großes Lob! Sie bedeutet für den Abend einen erheblichen Gewinn, auch wenn John Malkovich schließlich am stärksten im Gedächtnis bleibt.
Für die Dauer der Vorstellung und für den Eindruck, den man mit sich nimmt, ist sie eine bestimmende Größe, die das Geschehen wesentlich vorantreibt und zusammenhält, gleich ob sie von John Malkovich als Diktator mit der vorgehaltenen Waffe bedroht wird, gleich ob er ihr zynisch die Bedeutung seines Namens erklärt, der - natürlich - auf Unendlichkeit abzielt, - schon hier ist wieder die Anmaßung gegen die Götter festzustellen, indem er den letzten Tag der Woche, den Sonnabend, auf Englisch "Saturday", mit dem ersten Tag jeder Woche, dem Sonntag, diesmal auf Französisch "Dimanche" verbunden hat zu: "Satur Diman", einer unendlichen Abfolge von Tagen, von Wochen und Jahren, wobei im "Satur" möglicherweise auch noch auf den Planeten Saturn angespielt wird.
Die ganze Situation zwischen dem Diktator und der Journalistin erinnert an die Situation des "Interviews", das mit Birgit Minichmayr (*1977) und Sebastian Blomberg (*1972) , inszeniert von Martin Kusej (*1961), auf dem Hamburger Theater Festival 2012 zu sehen war; sie erinnert aber vor allem und viel wesentlicher natürlich an die Beziehung Judiths zu Holofernes. Judith begibt sich zu dem Diktator Holofernes, um ihr leidendes isrealisches Volk zu befreien. Sie verführt Holofernes – und schlägt dem liebestrunkenen und vermutlich entsprechend selbstgefälligen Diktator nach dem Akt den Kopf ab, den sie als Trophäe dann aus dem Feldherrnzelt schmuggelt.
Die junge Journalistin kam nicht mit der Absicht, den Diktator zu töten, das ergibt sich erst aus der nachfolgenden Situation. Und auch diese Situation wird, wie bei Judith und Holofernes, durch die Erotik herbeigeführt. Es gibt zwischen Malkovich und Sophie v. Kessel sehr dichte, intensive Szenen, die sich mit lockeren, weniger spannungsreichen abwechseln. Ihr Umgang miteinander gleicht einem Kampf. Natürlich will sich die Journalistin befreien und wieder selbstbestimmt exisieren; und natürlich hat der Diktator letztlich nicht die Absicht, diese junge Frau zu erschießen. Aber es bleibt immer eine Gratwanderung, ist nie klar, auch ihm selbst nicht klar, dessen Diktatur eben auch zu einer selbstkritiklosen Geisteshaltung geführt hat. Ihm ist alles erlaubt. Warum soll er nicht einfach auf sie abdrücken, wenn es ihm Spaß bereitet?
Eine noch größere Vorstellung für ihn ist aber die Lustbefriedigung mit ihr. Er erliegt letztlich ihrer erotischen Ausstrahlungskraft, die einfach da ist. 'Der dumme Mann' also letztlich; eine dem Verlust des Paradieses wiederum vergleichbare Situation. "Warum sehen Männer eher dumm aus, wenn sie verliebt sind", fragt Max Frisch. Sonderbar, dass der auf seine geschlechtliche Funktion reduzierte männliche Mensch seine Klugheit verliert ... Anders wäre der Weg der Zeugung vielleicht auch gar nicht gangbar! Und vielleicht ist letztlich der Mann immer 'der Dumme' bei der Begegnung und Vereinigung mit dem weiblichen Geschlecht.
Der Diktator Satur Diman jedenfalls vergißt seine Gefährdung, als er sich der Journalistin nähert und sie fragt, wann sie das letzte Mal Sex gehabt habe – natürlich in der Hoffnung, hier einen Mangel zu hören und dann selbst ihr Erwecker sein zu können. Die Antwort geht aber in eine andere Richtung. Und die Mordwaffe, die er, halb verführend, halb verführt zwischen ihre Schenkel nah an ihre Scham herangeführt hat, - sie wird ihm plötzlich von ihr aus der Hand gerissen – und das Verhaltensschicksal dreht sich also mit einem Mal um.
Das ist sehr schön und konzentriert gespielt, und wirkt, so wenig originell es sicherlich dramaturisch auch sein mag. - Sie aber erschießt ihn schließlich nicht, obgleich er ihren Geliebten, ihren Kollegen und Kameramann (Felix Dennhardt) abgeknallt hatte; denn er bequatscht sie; und es gelingt ihm, sie zu überzeugen, ihm die Waffe zurückzugeben. Die Dramaturgie des Stückes (von Michael Sturminger, der auch die Regie geführt hat) ist hier etwas holperig. So verschwindet die Journalistin für einige Zeit – unmotiviert - in einem Seitenausgang der Ränge. Erst später kehrt sie mit neuen fremd in den Regierungspalast eindringenden Soldaten zurück.
Nun wird kurzerhand der Diktator selbst erschossen, die Welt von ihm befreit. Oder anders gesagt: Es kehrt eine Ruhepause ein, bis der nächste Diktator die Welt nach seinem Bilde zu gestalten versuchen wird ...
Foto: John Malkovich, Sophie v. Kessel (c) Jann Wilken