„Jede vierte Frau wäre gern Buchhändlerin“
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Hatten nicht viele namhafte deutsche Schriftsteller zeitweilig im Buchhandel gearbeitet?
Als ich jetzt von dem Ergebnis einer Umfrage las, die im Auftrag der Marketingkampagne „Vorsicht Buch!“ durchgeführt worden war und die insbesondere Frauen unterstellt, gern als Buchhändlerin arbeiten zu wollen (falls eine Neuentscheidung noch einmal anstünde), fühlte ich mich an die frühen Jahre in meinem ursprünglichen Beruf erinnert. Tätigkeiten im Buchhandel und in Verlagen erschienen in den 50er, 60er und 70er Jahren vielen als Eintrittsbillett zur Kulturszene. Der Umgang mit Literatur und belesenen Mitmenschen ist für Außenstehende vermutlich sogar nach wie vor reizvoll. Und neben den Frauen fühlen sich auch Männer von dem Berufsfeld angesprochen. Letztere haben lange Zeit ohnehin bei der Besetzung von Führungspositionen das Rennen gemacht, obwohl sie allenfalls ein Viertel der Belegschaften stellen.
Doch noch eine ganz andere Frage bewegt mich in diesem Zusammenhang: Was verspricht sich eine Marketingaktion wie „Vorsicht Buch!“ davon? Eigentlich soll sie doch den Lesern und potentiellen Buchkäufern den Weg in den örtlichen Sortimentsbuchhandel ans Herz legen. Und dazu beitragen, dass der Internethändler Amazon nicht den Markt beherrscht. Ebenso wenig wie die Filialisten Thalia, Hugendubel oder Meyer.
Der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, wurde auf der Leipziger Buchmesse im März 2013 anlässlich des Neustarts der Kampagne, die sich unter die Fittiche des Verbands begeben hatte, zu deren Zielen interviewt. Er bekräftigte die Absicht, dem Sterben der kleinen und mittleren Buchhandlungen durch eine an die breite Leserschaft gerichtete Öffentlichkeitsarbeit entgegen zu wirken. Dass man sich dabei auch des Instruments FACEBOOK bediente, sah der Verbandsvertreter durchaus selbstkritisch. Schließlich bedarf es innerhalb des Mediums Internet nur weniger Klicks, um vom kommerziellen und keineswegs sozialen Netzwerk zum kommerziellen Buchvertreiber zu gelangen. Letzterer nimmt es allerdings gern hin, wenn ihm die Kunden selbst vom kritischen „Vorsicht Buch!“ zugetrieben werden.
Das gelb-schwarze Etikett scheint ohnehin nicht auf die von Strukturkrisen geschüttelten Sortimente beschränkt zu sein. Ein Sponsor der Aktion ist die Osiander-Gruppe, die beispielsweise im noch neuen Einkaufszentrum „Skyline Plaza“ in Frankfurt eine Niederlassung betreibt und durch den exponierten Platz Kaufkraft von anderer Stelle abzieht. Parallel dazu haben während der letzten zwei Jahre in Frankfurt mehrere kleinere Buchhandlungen, die sich ebenfalls mit „Vorsicht Buch!“ schmückten, schließen müssen. Auch die 25 Prozent unter den Frauen, die laut Umfrage so gern Buchhändlerin sein würden, falls sie heute noch einmal eine Berufswahl treffen könnten, vermochten dieses langsame Sterben einer Branche nicht zu verhindern.
Der gemeinnützige Verein PRO LESEN e.V. in Frankfurt-Sachsenhausen, der einerseits Literatur im Stadtteil fördert und andererseits das städtische Bibliothekszentrum vor Ort unterstützt, kennt die Situation der kleinen Buchhandlungen in Frankfurt ziemlich genau. Die Ergebnisse der von „Vorsicht Buch!“ initiierten Umfrage unterscheiden sich sehr stark von dem, was er von den Besuchern seiner monatlichen Themenwochen (Ausstellungen, Autoren-/Lesungen, Publikumsgespräche) hört.
An Rande der Veranstaltungen wird ungefragt immer wieder mal Bibliothekar/in als schöner, wenn auch nicht als Traumberuf bezeichnet. Vereinzelt würde man die ursprünglichen persönlichen Berufsentscheidungen dafür zur Disposition zu stellen. Auch Lektoren und Grafikern/Gestaltern in Verlagen wird ein hohes Maß an Kreativität und eine entsprechende Berufszufriedenheit unterstellt. Buchhändler (weiblich und männlich) hingegen werden überwiegend vor dem Hintergrund der örtlichen Realität bewertet.
Vor allem in kleineren und mittleren Sortimentsbuchhandlungen werden vom Betrachter strukturelle Probleme wahrgenommen. Schrumpfende Lagerbestände, Personalmangel, eine mutmaßlich geringe Bezahlung. Indiz dafür sind Mängel bei der Beratung, die vielfach nur noch anhand von Katalogen erfolgt. In dem mittlerweile fast überall anzutreffenden Standardmix aus Unterhaltungsromanen, Ratgebern, Kochbüchern, populären Kinderbüchern und so genannten Geschenkbüchern sehen die anspruchsvolleren Leser eher die Kapitulation des Sortimentsbuchhandels vor dem Mittelmaß und keineswegs eine Zukunftsstrategie. Die Internetkataloge der Versandbuchhändler erscheinen vielen Buchkunden im Vergleich dazu als aussagefähiger; zumindest kann man sich bei der Recherche von zu Hause aus mehr Zeit nehmen. Das gelb-schwarze Signet „Vorsicht Buch!“ wurde dem Verein gegenüber übrigens noch nie als Qualitätsanspruch buchhändlerischer Fachgeschäfte erwähnt.
Erfahrungsgemäß sind die Ergebnisse von Umfragen immer im Kontext der gestellten Fragen zu beurteilen. Falls letztere bereits direkt oder indirekt die Antworten enthalten, ist Vorsicht geboten.
Zweifel scheinen auch darüber angebracht, inwieweit Prof. Bernd Raffelhüschens „Glücksatlas“ (eine Marketingbroschüre der Deutschen Post AG) weiterhilft, den Stellenwert des Buchhandels und seiner Mitarbeiter zu ergründen, gar zu verbessern. In Kreisen, die sich regelmäßig in Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk informieren, ist Raffelhüschen vor allem bekannt geworden für das Schlechtreden der gesetzlichen Rentenversicherung und die Empfehlung, privat vorzusorgen (z.B. Riester-Verträge bei privaten Versicherungen abzuschließen).
Foto: Logo der Kampagne (c) Vorischt Buch!