Ein neues Werk der großartigen Heidelberger Choreografin Nanine Linning
Hannah Wölfel
Heidelberg (Weltexpresso) - In einem Kammerspiel mit nur sieben Tanzenden inszeniert die Choreografin Nanine Linning ihre berührende Auseinandersetzung mit Francis Bacon (1909 - 1992), der in seinen Malereien meist kraftvolle aber zugleich deformierte Menschen zeigte.
In dem kleinen Saal des Heidelberger Zwingers schwebt eine an den Füßen aufgehängter Tänzerin direkt vor den Köpfen der Zuschauer. Eine weitere baumelt im hinteren Teil der winzigen Bühne. Tänzer liegen zusammengekrümmt am Boden. Zu schrillen elektronischen Klängen bilden sich Paare, die einander mit wilden Bewegungen anziehen und wegstoßen, sich verklammern und winden, quälen und doch immer wieder zu lieben versuchen. Bis zur Erschöpfung tobt und rast ein junger Tänzer, rollt keuchend vor die Füße der Zuschauer. Eine nass geschwitzte Tänzerin greift zwei Akteure an und wird von ihnen ins Publikum geschleppt.
Alle Performer geben physisch und psychisch in diesen Kampftänzen alles, machen sich verwundbar und nackt. Das Stück ist kein Tanztheater, an dem man sich distanziert erfreut, sondern ein intensives Abenteuer. Linnings Compagnie führt kein Drama auf, sondern zieht das Publikum in ihren engen Raum hinein und lässt es die dort entstehenden Triptychons oder Einzelbilder Bacons erleben.
Bisher hat erstaunlicherweise kaum ein Choreograf oder Regisseur die Bilder des Malers auf die Bühne gebracht. Der schuf, ungeachtet aller künstlerischen Strömungen in der Mitte und zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, figurative Bilder mit meist mächtigen düsteren Gestalten. Aber es sind keine Geschlagenen und Opfer, die er darstellte und in einer „Gradwanderung“ (wie er das selbst nannte) teilweise abstrahierte oder auflöste. Es sind kraftvolle Menschen, die kämpften, an ihre Grenzen gingen und nun erschöpft innehalten - jedoch nicht besiegt wurden.
Immer wieder rahmte der Künstler seine, oft grotesk verzerrten Gestalten mit geometrischen Linien, fing sie darin ein, die Blicke der Betrachter werden auf sie konzentriert. Selbst wenn er dadurch die Narration verweigern wollte, wie manche Kunsthistoriker meinen, schuf er doch Räume für den Auftritt seiner Figuren. Auch die Heidelberger Choreografin betont durch Lichtstreifen die Bühne auf der Bühne. Sie fühlt sich verwandt mit dem Maler: „Mich interessiert das Tierische, das Instinkthafte. Ich nehme meinen Tänzern jegliche Stilisierungsmöglichkeiten, fordere sie auf, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten. Sie müssen brüllen wie wilde, ausgehungerte Raubtiere, aber geräuschlos, nur mit ihren Körpern.“
In den fünf Jahren ihrer Arbeit hat die junge niederländische Choreografin die Tanzsparte an der Heidelberger Bühne mit ihren aufwendigen Choreografien und Gesamtkunstwerken erfolgreich wiederbelebt. Während Linning bisher immer den gesamten Apparat des Theaters nutzte und mit Bildenden oder Medien-Künstlern zusammenarbeitete, ist ihr „Bacon“ armer Tanz, fast völlig reduziert auf die Bewegungsaktionen des kleinen Ensembles. Und dennoch gelingt es ihr, mit diesen wenigen Mitteln, ein bewegendes Pandämonium der gegenwärtigen Welt zu erschaffen.
Foto: Nur ganz wenige Effekte mit Licht oder Video unterstützen die Tanzenden © Kalle Kuikkaniemi
Info: Weitere Aufführungen 13., 15., 22., 23. April, 16., 17., 29. Mai