Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen, Teil 5/5 - Die Rezeption der Bibel in der Literatur
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Bibel hat nicht nur Religionsgeschichte geschrieben und beschrieben.
Auch ihre Auswirkung auf das Schaffen von nachbiblischen Dichtern und Schriftstellern sind immens. Selbst für Autoren, die sich weder zum jüdischen noch zum christlichen Glauben bekannten/bekennen, waren/sind biblische Motive ein Anlass, sich mit diesen künstlerisch auseinander zu setzen.
Ein bewusst christlicher Lyriker war Johannes Scheffler (1624 - 1677), ein Arzt aus Krakau, der sich Angelus Silesius (Schlesischer Bote/Engel) nannte. Seine Epigramme und Verse betitelte er „Der Cherubinische Wandersmann“. Der ursprüngliche Protestant konvertierte zum katholischen Glauben, beteiligte sich aktiv an der Gegenreformation und wurde zum glühenden Verfechter der römisch-katholischen Kirche.
Bibelfest war auch Heinrich Heine (1797-1856), der einem assimilierten jüdischen Elternhaus entstammte, ein katholisches Gymnasium in Düsseldorf besuchte und sich am Lebensende christlich taufen ließ. In seiner Ballade „Belsazar“ griff er ein Thema des Alten Testaments auf, nämlich eine Erzählung aus dem Buch des Propheten Daniel. Sie berichtet, dass Belsazar, dem König der Chaldäer (einem babylonischen Stamm), die Eroberung seines Reiches durch die Perser (539 v.Chr.) mittels einer geheimnisvollen, orakelhaften Schrift an der Wand angekündigt worden war: „Mene mene tekel u-parsin. Und sie bedeutet dies: Mene, das ist, Gott hat dein Königtum gezählt und beendet. Tekel, das ist, man hat dich auf der Waage gewogen und zu leicht befunden. Peres, das ist, dein Reich ist zerteilt und den Medern und Persern gegeben“ (Daniel 5, Verse 1 - 30, in der Luther-Revision von 1964). Dieses biblische Menetekel ist sprichwörtlich geworden.
Die deutsche Literaturgeschichte weist viele Autoren jüdischer Herkunft auf. Joseph Roths Roman „Hiob“ wurde weltberühmt. Auch Stefan Heym, der dem überlieferten Glauben eher distanziert gegenüberstand, beschäftigte sich mit explizit jüdischen Themen („Ahasver“, „König David Bericht“). Franz Werfel setzte mit seinem Roman „Das Lied der Bernadette“ der katholischen Heiligen Bernadette Soubirous von Lourdes ein Denkmal. Der Sozialpsychologe Erich Fromm (1900 - 1980), ein säkularer Jude, verfasste eine Sicht auf das Alte Testament, die in der Quintessenz mündet „Ihr werdet sein wie Gott“ - und so lautet auch der Titel des Buchs.
Der norddeutsche Protestant Thomas Mann war von den Josephs-Geschichten des Alten Testaments überaus fasziniert. Seine Roman-Tetralogie „Joseph und seine Brüder“ zählt zur Weltliteratur. Günter Grass gab einem Kapitel seines Romans „Die Blechtrommel“ den Titel „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Es enthält eine sarkastische Persiflage auf einen der beliebtesten und bekanntesten Bibeltexte, nämlich auf den 1. Brief an die Korinther, Kapitel 13: „Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber unter ihnen ist die Liebe.“
Die Romane und Erzählungen Heinrich Böll sind durchweg eine kritische Beschäftigung mit dem institutionalisierten deutschen Katholizismus, speziell in seiner rheinländischen Prägung. In seinem „Brief an einen jungen Katholiken“, 1958 erschienen, geißelte Böll die Haltung seiner Kirche sowohl gegenüber dem Nationalsozialismus als auch gegenüber der von Konrad Adenauer eingeleiteten Restauration. Am Beispiel der Wiederbewaffnung verurteilte er die antiintellektuelle katholische Volksfrömmigkeit, die jeder autoritären und faschistischen Bewegung tendenziell unkritisch, sogar willfährig, gegenüber stünde. Die Kurzgeschichte endet mit einer Anspielung auf eine Bitte des Unser Vater-Gebets: „Unser Brot müssen wir uns selbst backen und das Wort uns selbst bereiten“. Denn die Kirche ließe ihre Gläubigen, wenn es um existentielle Dinge ginge, im Stich.
Internationale Beachtung fand der Jesus-Roman von Nikos Kazantzakis (1883 - 1957), „Die letzte Versuchung“. Er löste nicht nur im Erscheinungsjahr 1951 heftige Reaktionen aus. Die Verfilmung durch Martin Scorsese im Jahr 1988 wurde vielfach als bewusste Provokation des traditionellen Christentums empfunden.
Als der religiöse Skeptiker Bertolt Brecht in den 1920er Jahren nach seinem Lieblingsbuch gefragt wurde, antwortete er: „Sie werden lachen, die Bibel“.
Warum auch nicht. Denn diese Bibel, die nachweislich nicht vom Himmel fiel, nahm die Fragen unzähliger Menschen nach dem Sinn ihres Lebens, nach dem Ursprung der Welt und der Zukunft der Menschheit auf. Die biblischen Schriften, in mehr als einem Jahrtausend entstanden, beantworten diese Fragen mit dem Fürwahrhalten eines Gottes, der jedoch selbst immer wieder neu gedacht wurde und sich in ähnlicher Weise entwickelte wie die Gesellschaften jener Länder, aus denen Altes und Neues Testament hervorgegangen sind. Und wie nahezu jedes Buch lässt sich auch diese Sammlung nur unter Beachtung des historischen Kontextes verstehen. Folglich nimmt die historisch-kritische Lesart der Bibel jeder Form von Biblizismus den Wind aus den Segeln.
Foto: Cover Rowohlt
Info:
Der Beitrag „Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen“ ist die gekürzte Fassung eines Vortrags vom 23. Mai 2015 zur gleichnamigen Themenwoche des Frankfurter Vereins PRO LESEN e.V.