LUTHER! 95 Schätze – 95 Menschen in Wittenberg, eine der drei Nationalen Sonderausstellungen, Teil 2

Claudia Schulmerich

Wittenberg (Weltexpresso) – Die Ausstellung in Wittenberg ist die letzte der drei Nationalen Sonderausstellungen, die im gewissen Sinne einer Systematik folgen, die ihren Zusammenhalt in www.3xhammer.de dokumentiert.

 

Dort ist über DIE VOLLE WUCHT DER REFORMATION als Übertitel der drei Ausstellungen ein Gegenstand abgebildet, der wohl ein Betpult sein könnte, auf jeden Fall wie ein Hammer aussieht. Und dann lesen Sie vom LUTHER -EFFEKT im Berliner Gropiusbau, wo Luthers Nachwirken international dargestellt ist, von LUTHER UND DIE DEUTSCHEN auf der Wartburg bei Eisenach, wo es eben an diesem geschichtsträchtigen Ort, wo Luther viele Jahre Schutz vor dem deutschen Kaiser erfuhr, um den nationalen Luther geht und schließlich die Ausstellungen LUTHER! 95 SCHÄTZE – 95 MENSCHEN in Wittenberg, die wir als nächstes betrachten.

 

Die Mannheimer Ausstellung der 1500 Jahre Kirchengeschichte vor Luther hat einen so richtig wach gemacht für die zwiespältige Wirkung, die der Reformator letzten Endes doch hatte. Es war unsere eigene Überlegung, daß Martin Luther mit der – ja, ja von ihm überhaupt nicht beabsichtigten – Kirchenabspaltung von der Heiligen Römischen Kirche dieser und damit den Päpsten in Rom für immer und ewig den Thron der Katholischen Kirche gesichert hat. Nie wieder hat es, wie seit Beginn mit Petrus, Gegenpäpste und Schismen gegeben. Die Gegenreformation hatte die Reihen geschlossen. Letzten Endes bis heute.

 

Also Luther in den Aussagen der Nachwelt. Da kommt uns FRIEDRICH NIETZSCHE (1844-1900) gerade recht, der unsere Einschätzung ja längst vorwegnahm: „Luther war ein Verhängnis für die Menschheit, denn er kam, als die Renaissance eben sogar das Papsttum erobert hatte und das Leben daran war, mit dem Christentum stillschweigend aufzuräumen. Und Luther stellte die Kirche wieder her. Ach, diese Deutschen! … Sie haben auch die unsauberste Art Christentum, die es gibt...den Protestantismus, auf dem Gewissen. Wenn man nicht fertig wird mit dem Christentum, die Deutschen werden daran schuld sein.“

 

Zu einer völlig anderen Einschätzung gelangte HEINRICH VON TREITSCHKE (1834-1896), bei dem man heute immer dazuschreiben muß, daß er der zu seiner Zeit bekannteste und meistgelesene Historiker war. Der schwärmte in der Manier des deutschtümelnden 19. Jahrhunderts: „ Aus den tiefen Augen dieses urwüchsigen deutschen Bauernsohnes blitzte der Heldenmut der alten Germanen, der die Welt nicht flieht, sondern sie zu beherrschen sucht durch die Macht des sittlichen Willens.“

 

RICARDA HUCH (1864 – 1947) ist heute weithin vergessen. Sie ist eine der klügsten Interpreten deutscher Geschichte und eine wunderbare Erzählerin. Das wußte die Welt, als sie sie dreimal für den Nobelpreis vorschlug (auch 1929, als ihn dann Thomas Mann erhielt, der ein Bewunderer von Huch war) und das wußten die Deutschen, die ihre Werke über dieses Volk und seine Geschichte – herausragend einfach ihre Chronik des Dreißigjährigen Krieges – zu Bestsellern machten, mit den höchsten Auflagen der Zeit! Das war Anfang des 20. Jahrhunderts und ihr wünscht man wirklich eine Renaissance.

 

Sie sagte zu Luther: „Er war eine Persönlichkeit aus lebendiger Kraft, die Spitze einer breiten Pyramide, die Krone eines festwurzelnden Stammes. Daher kommt es, daß man ihn oft bäuerisch, derb, primitiv genannt hat; wir kennen ja kaum andere Persönlichkeiten, die auf Kosten verbrauchter Kraft entstanden sind, schmarotzende Gehirne, die an vampirartig ausgesogenen Bäumen kleben. Geist zu sein und doch Chaos in sich zu haben, das ist eben das Geheimnis des Genies.

 

Eine solche quasi organische Betrachtung der Person Luther ist LUDWIG BÖRNE (1786 – 1837) fremd. Wir kennen die Meinung der gefürchtesten literarischen Feder des 19. Jahrhunderts, des Journalisten Ludwig Börne zum Reformator nicht aus dem Original, sondern aus einer anderen Quelle. Dort heißt es, daß Ludwig Börne in seinen Briefen aus dem Exil in Paris sehr viel Negatives über Luther schrieb. Luther sei der Ahnherr der politischen Unfreiheit und des mangelnden Freiheitswillens der Deutschen. Dagegen hält Börne die katholischen Nationen für viel fortschrittlicher als die protestantischen.

 

Für ihn ist der Zusammenhang klar, denn der Obrigkeitsgeist ist eine Konsequenz dessen, wie Luther die Territorialfürsten zu den Sachwaltern des Gewissens und der religiösen Überzeugungen machte. Deshalb kann Luther keine positive Vorbildfunktion haben. Luther hält dieser Vorstellung nach den Protestantismus in der Unmündigkeit gefangen. Dennoch hatte sich Ludwig Börne 1818 vom Judentum verabschiedet, ließ sich taufen und trat in die evangelische Kirche ein.

 

Interessant ist, daß der in gegenseitige Antipathie zu Börne ebenfalls in Paris lebende HEINRICH HEINE, der wie Börne zum Christentum konvertierte, ein sehr positives Bild vom Reformator. „Ruhm dem Luther! Ewiger Ruhm dem teuren Manne, dem wir die Rettung unserer edelsten Güter verdanken, und von dessen Wohltaten wir noch heute leben! Es ziemt uns wenig, über die Beschränktheit seiner Ansichten zu klagen...Es ziemt uns noch weniger, über seine Fehler ein herbes Urteil zu fällen; diese Fehler haben uns mehr genutzt als die Tugenden von tausend andern. Die Feinheit eines Erasmus und die Milde Melanchthon hätten uns nimmer so weit gebracht wie manchmal die göttliche Brutalität des Bruders Martin.“

 

THOMAS MANN sieht Luther sehr positiv: „ Ein Fels und ein Schicksal von einem Menschen, ein heftiger und roher, dabei tief beseelter und inniger Ausbruch deutscher Natur, ein Individuum, klobig und zart zugleich, voller Wucht und Getriebenheit, von bäurisch volkstümlicher Urkraft, Theolog und Mönch, aber ein unmöglicher Mönch, „denn der Mann kann durch natürliche Begier des Weibes nicht entbehren“ -, sinnlich und sinnig, revolutionär und rückschlägig aus der Renaissance, mit deren Humanismus er keine Fühlung hatte, ins Mittelalter durch stete Balgerei mit dem Teufel und massivsten Aberglauben an Dämonen und Kielkröpfe, geistlich verdüstert und doch lebenshell kraft seiner Liebe zu Wein, Weib und Gesang, seiner Verkündigung ‚evangelischer Freiheit“ schimpffroh, zanksüchtig, ein mächtiger Hasser, zum Blutvergießen von ganzem Herzen bereit...antirömisch nicht nur, sondern antieuropäisch, furios nationalistisch und antisemitisch, tief musikalisch dabei, auch als Gestalter der deutschen Sprache.“

 

Fehlt der deutsche Oberguru: Johann Wolfgang Goethe (1749-1832). Der hat sich mehrfach zu Luther geäußert und seine Äußerung von 1817 wurde auch in der Pressekonferenz wiedergegeben: „Unter uns gesagt, ist an der ganzen Sache (der Reformation) nichts interessant als Luthers Charakter, und es ist auch das einzige, was einer Menge wirklich imponiert. Alles übrige ist ein verworrener Quark, wie er uns noch täglich zur Last fällt.“

 

In seinem Todesjahr heißt es dann bei Goethe: „Wir wissen gar nicht, was wir Luthern und der Reformation alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit, wir sind infolge unserer fortwachsenden Kultur fähig geworden, zur Quelle zurückzukehren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen...Je tüchtiger aber wir Protestanten in edler Entwicklung voranschreiten, desto schneller werden die Katholiken folgen.“

Fortsetzung folgt.



Foto: Lutherdarstellungen von Karl Bauer_(c) Ausstellung Thomas-Bruns.


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