Serie: Max Beckmann, ein überraschender und fulminanter Dreiteiler (Teil 2/3)

 

von Claudia Schulmerich

 

Leipzig (Weltexpresso) – Schier überwältigend, was das Leipziger Museum zum Thema Bildnisse aus dem Oeuvre Beckmanns zusammengetragen hat. Erinnert man sich an die Ausstellungen von Selbstporträts – die aus der Hamburger Kunsthalle sind immer noch visuell im Gedächtnis - , weiß man, daß alleine die Selbstporträts für eine umfassende Ausstellung gut sind und man freut sich, einigen auch in Leipzig zu begegnen. Nun aber erkennt man auf einen Schlag bei den vielen Menschenbildern – 58 Gemälde und über 160 vorbereitende Skizzen und Studien sowie Druckgraphiken - immer wieder, wie oft sich Beckmann in die Bilder mithineingemogelt hat. Und auch seine Frau Quappi hineinzauberte.

 

Weil die Leipziger Personenbilder so deutlich zeigen, daß dem Maler Beckmann die eigenen Züge und die seiner Liebsten allezeit gegenwärtig sind und auf der Leinwand Platz und Aussage finden, muß deutlicher als bei anderen Malern konstatiert werden, daß zwischen ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ hier keine Unterscheidung zu machen ist, will sagen, daß die meisten Personen auf seinen Gemälden und Zeichnungen aus dem Privatleben entstammen, einschließlich seines Sohnes Peter, aber durch den Malakt repräsentativ und öffentlich werden. Deshalb geben wir nun doch Erläuterungen zu Beckmanns Privatleben im Lebenslauf, was man generell nicht bei jedem Künstler machen muß, bei Beckmann schon.

 

In aller Kürze: 1884 in Leipzig geboren, ab 1900 Kunstschule in Weimar, dort lernt er 1902 Ugi Battenberg kennen, der zusammen mit seiner Frau wichtig für die Frankfurter Jahre wird. Noch wichtiger ist 1903 das Kennenlernen von Minna Tube, beide heiraten 1906. Im selben Jahr erhält er den Villa-Romana-Preis und ein Jahresstipendium. 1908 Geburt des Sohnes Peter. Längst werden seine Bilder – sehr oft er selbst, seine Gattin oder Doppelbildnisse – gekauft. 1913 erste Einzelausstellung bei Cassirer und erste Einzelmonographie. 1914 Freiwilliger im Kriegsdienst, psychischer Zusammenbruch 1915, Beurlaubung und Erholung in Frankfurt, Schweizer Str. 3 im 4. Stock, wo er dauerhaft bleibt.

 

Neben den Zeichnungen und Lithographien mit Kriegsmotiven, entstehen Selbstbildnisse, die Kreuzabnahme und der Grafikzyklus „Hölle“. Seine Beziehung zu seiner Frau ist auch geprägt durch sein Verbot ihrer künstlerischen Betätigung als Malerin; sie nimmt ein Gesangstudium auf und beide leben nebeneinander  her, bleiben sich jedoch auf Dauer immer freundschaftlich verbunden, auch als er 1924 die 20Jahre jüngere Musikstudentin Mathilde von Kaulbach kennenlernt, die nach der Scheidung von Minna 1925 seine zweite Frau wird, mit dem Kosenamen Quappi.

 

Die folgenden Jahre zeigen den arrivierten Künstler Beckmann in Frankfurt als Maler mit Meisteratelier an der Städelschule und Paris, wo er ein Atelier mietet. Er wird in den großen Ausstellungen wie NEUE SACHLICHKEIT in Mannheim beteiligt, auch  in London und in Zürich, auf den Biennalen von Venedig und Paris ausgestellt. 1932 wird ein Beckmann-Raum in der Berliner Nationalgalerie eingerichtet, den die Nazis direkt nach der Machtübernahme schließen. Am 15. April 1933 wird er als Professor entlassen, die Gemälde aus den Museen entfernt, neue Ausstellungen verboten. Er zieht nach Berlin, exiliert 1937 nach Amsterdam, will 1939 nach Amerika, wo ihm die Einreise kurz vor dem amerikanischen Kriegseintritt verwehrt wird. 1945 und Folgejahre schlägt er Berufungen nach Darmstadt, München und Berlin aus, nimmt aber 1947 die aus Saint Louis an. In Amerika gibt es viele Beckmann-Ausstellungen. 1949 geht er nach New York, stirbt dort am 27. Dezember 1950 auf dem Weg zu einer Ausstellung an einem Herzschlag.

 

Alle Menschen, die seinen Lebensweg begleiteten, sind nun in der Leipziger Ausstellung zu sehen. Sein privates Umfeld, erst mit den Bildern seiner ersten Frau, seiner Schwiegermutter, der eigenen Mutter und auch die in unseren Augen thematischen Bildern wie Mythologien, Badeszenen, Fastnacht, Zirkus, Theater oder anderen Menschenbildern bevölkern immer wieder dieselben Gesichter, die wir nun in Leipzig so umfassend wie nie zuvor auch namentlich kennenlernen. Die Battenbergs, die Ehefrauen, die Kunsthändler, die Kunstkollegen, die kannte man schon zuvor. Aber erst in Leipzig erahnt man, daß der Kosmos Beckmann tatsächlich auf einem personell überschaubaren – naja, 240 Biographien sind da schon zusammengekommen – Personenkreis beruht, die seinen Bildnissen über die Zeiten hinweg immer wieder begleiten, die nun erkannt sind und Namen tragen.

 

Aber seine Bilder bleiben dennoch in der Vielzahl rätselhaft. Dazu gehören einmal das Verweissystem von Gegenständen, wie flammenden Kerzen- schauen Sie allein im „Familienbild“ von 1920, wo viele Kerzen flackern, warum ausgerechnet die vor der Minna Tube erloschen ist und nur noch raucht? - , räkelnden Katzen, schlafenden Hunden, vor allem Musikinstrumente und ganz besonders die großen Fische u.a.. Es ist eine Welt für sich und es ist eine erotische und erotisierende Welt, wenn man von den Bildern von Krieg und Gewalt einmal absieht. Tatsächlich ist es immer wieder Quappi, die ihm das Idealbild einer Frau verkörpert, aber das war auch einmal Minna Tube. Quappi aber bleibt es bis zum Lebensende, wo beide dann auch schon 25 Jahre verheiratet sind.

 

Wie sehr ihm Frau gleich Frau ist, aber gleichzeitig die individuelle Variante eine Rolle spielt, soll an drei Bildern vorgeführt werden, von denen das dritte in der Frankfurter Ausstellung hängt, aber auch nur das I-Tüpfelchen bildet. In Leipzig sind nebeneinander hängend zwei „Siesta“ benannte Bilder zu sehen, dessen eines eine Radierung von 1923 und die leicht bekleidete liegende Minna zeigt, dessen zweites ein Gemälde von 1924/25 ist, auf dem Quappi in der selben Pose liegt. Beide Male sitzt Beckmann am Fußende. Zuerst wundert man sich, wie er einfach das selbe Sujet so kurz hintereinander für die wechselnden Ehefrauen verwendet. Vergnügt liest man dann im Katalog, daß auch das Gemälde erst Minnas Züge trug, die Beckmann mit denen seiner neuen und dauerhaften Liebe übermalte.

 

Eine wichtige Änderung von dem einen zum anderen Bild ist allerdings der „nahsichtige Schenkel“. Mit diesem Fachausdruck wird seit Michelangelos Skulptur „Die Nacht“ eine ruhende Schöne mit aufgestellten Beinen und leicht geöffneten Schenkeln benannt (erst recht bei seiner Leinwand „Leda und der Schwan“, die nur als Kopie überlebt hat) ,die viel ahnen lassen, aber wenig zeigen, anders als zum Beispiel bei Klimt, Schiele oder Rodin. Die Brüste allerdings dürfen aus dem Trägerhemdchen keck hervorlugen. Die Radierung zeigt uns Minna etwas offenherziger, das Quappigemälde gibt ihre Seitenansicht wieder, wobei das Hemdchen nun den Oberschenkel bedeckt und statt der Wolke/dem Schwan zwischen den Beinen bei Michelangelo bei Beckmann ein zusammengerolltes Tierchen geworden ist, das uns Katze ist, der Katalog aber mit Pekinese, also Hündchen erklärt. Eindeutig erotisch konnotiert sind die über den Knien endenden Strümpfe, die das Fleisch der Schenkel erst recht hervortreten lassen.

 

Dieses Motiv taucht in seinem amerikanischem Gemälde von 1950 „Frau mit Mandoline in Gelb und Rot“  wieder auf. Seitenverkehrt und nicht auf einer Liege, sondern in ein sehr rotes Sofa auf knallgelber Decke hineingebettet, liegt die fast identisch aussehende junge Frau in gleicher Pose vor uns. Die Brüste etwas stärker entblößt und der selbe träumerische Ausdruck bei geschlossenen Augen. Beckmann allerdings ist im Bild nicht mehr zugegen, ihren Leib bedeckt eine aus den Tiefen ihrer Scham längs über ihr liegende Mandoline, deren Ende ihre linke Augenbraue berührt. Was fehlt sind die einst als erotisch empfundenen Strümpfe bis über die Knie. Die festen Beine sind dem Maler nacktes Fleisch genug.

 

Schade eigentlich, dieses Bild in der Frankfurter Ausstellung aus dem Besitz der Bayerischen Gemäldesammlungen hätte nach Leipzig zu den beiden anderen gehört. Aber in New York entstanden, ist es auch richtig in Frankfurt. Und Leipzig hat so wundervolle Bilder aus allen Werkphasen, daß man nur staunt, aber sich auch erneut sagt, daß man selber die Bilder der 20er Jahre, dieser rein expressionistischen Phase besonders liebt. Und seine Selbstporträts!

 

Allein dies von Florenz aus dem Jahr 1907, das den eleganten Schnösel im schwarzen Frack, lässig mit der Zigarette in der Hand, uns unverwandt ansehen läßt. Ein Blick aus blauen Augen, so durchdringend wie distanziert, so selbstsicher wie irgendwie romantisch, was die lichte impressionistisch angedeutete Landschaft im Hintergrund verstärkt. Dies Bild begrüßt einem beim Hereinkommen und von diesem Selbstbildnis haben wir uns nach Stunden mit Respekt und Zuneigung wieder verabschiedet. So viel Beckmann bekommen Sie selten. Und niemals ist es ein Beckmann zuviel.

 

 

Die Ausstellungen:

Max Beckmann. Die Landschaften im Kunstmuseum Basel bis zum 22. Januar 2012

www.kunstmuseumbasel.ch

Max Beckmann. Von Angesicht zu Angesicht im Museum der bildenden Künste in Leipzig bis zum 22. Januar 2010

www.max-beckmann.info

Beckmann & Amerika im Städel Museum in Frankfurt am Main bis 8. Januar 2012

www.staedelmuseum.de

 

 

Alle drei Kataloge sind im HatjeCantz Verlag 2011 erschienen

 

Basel: Max Beckmann. Die Landschaften, hrsg. von Bernhard Mendes-Bürgi und Nina Peter

In diesem Katalog haben wir alle Beiträge gelesen. Das liegt daran, daß sie einerseits kurz, bebildert und großzügig gedruckt sind. Sage keiner, das sei dem Lesen nicht förderlich. Natürlich sind sie auch kenntnisreich. Aber doch auch lesbar für Nichtwissenschaftler, was nicht jeder Katalog hält. Uns besonders interessant „Max Beckmanns Nizza in Frankfurt am Main“ von Eva Demski. Sie weiß, daß dieses Stück Mainufer einst die Badeszene der Jugend war und beschreibt das Stadtbild, das mit Recht dem Genre Landschaft zugeordnet ist, so liebevoll wie es diesem besonders rührenden Bild zusteht.

 

Leipzig: Max Beckmann. Von Angesicht zu Angesicht, hrsg. von Susanne Petri und Hans-Werner Schmidt

Analog der umfangreichsten Ausstellungen, die Bildnisse vom Menschen sind einfach Beckmanns Ding, ist dies auch der dickste und schwerste Katalog Aber das wäre keine Empfehlung, wenn die vielen Seiten nicht auch wichtige Informationen und Reflektionen enthielten, von der Katalogfunktion, dem Abdruck der in der Ausstellung gezeigten Bilder ganz abgesehen. Auch diese wird ab Seite 77 erfüllt, allerdings empfiehlt es sich, die Texte zu lesen, denn die Werke sind nicht numerisch, also zahlengemäß hintereinander aufgeführt, sondern in Sinnzusammenhängen abgedruckt. Wo was steht, kann man dann in einem Extraverzeichnis am Schluß erkunden. Erhellend und darum ein echtes „Danke“ nach Leipzig, ist die Forschungsarbeit, die in Form von Biographien im Katalog und in der Ausstellung als Lesetexte Aufschluß darüber geben, wer die Personen sind, die Beckmann gemalt und mit denen er beruflich oder privat zu tun hatte. Oft treffen alle drei Kategorien in einer Person zusammen und auch das ist dann bei ihrer Beschreibung erwähnt. Hervorragend und sehr hilfreich.

 

Uns machte das Titelbild des Katalogs „ Von Angesicht zu Angesicht“ besonders Spaß. Es zeigt einen Ausschnitt von „Familienbild“ von 1920 mit Oma Tube im Sessel, ein Buch vor sich, die rechte Hand allerdings bedeckt vollständig ihr Gesicht mit den geschlossenen Augen, seine Frau Minna Tube-Beckmann sieht man dafür von hinten, ihr Haar richtend und uns durch den Spiegel betrachtend, den kleinen Peter am Boden lümmelnd, den Kopf in den Händen, was wir ebenfalls von hinten sehen und das Profil von Max Beckmann als Hornbläser mit einem nach innen gerichteten offenem Auge und der Kippe zwischen den Lippen. Von „Angesicht zu Angesicht“ ist hier gar nichts. Hier wollen die einen nicht gesehen werden, die anderen nichts sehen, und die eine andere mit attraktivem Hinterteil und Korsage betrachtet uns als Spiegelbild. Was will Beckmann mit diesem Bild sagen? Über seine Familie sagen? Uns sagen? Sprachlosigkeit oder innere Verbindung, die den Blick und die Wörter nicht braucht. Gewissermaßen ein Antiporträt.

 

Frankfurt: Beckmann & Amerika, hrsg. von Jutta Schütz

Dieser Katalog erhöht das Gewicht aller drei auf 4,8 kg! und steht dem Leipziger nur wenig nach. Inhaltlich gibt es Beiträge, die in der  Literatur über Beckmann nicht häufig sind, wie „Beckmann und der abstrakte Expressionismus. Existenz im Raum“ von David Anfam. Daß Beckmann auch direkt zitiert wird, in seinen Reden in Amerika, Briefen und Ansprachen, ist schlüssig, weil noch niemals der kunsthistorische Focus auf seinem Amerikaaufenthalt ruhte, von dem wir nun wissen, daß er lange ersehnt war, was auch Stefana Sabin - „Und bin damit gewissermaßen schon halber Amerikaner“ –Beckmann zwischen ideeller Anpassung und realer Isolation – herausarbeitet. Im Katalogteil haben die abgedruckten 110 Werke jeweils ausführliche Begleittexte, wofür die Betrachter der Bilder und Käufer des Katalogs bei der oft rätselhaften Ikonographie Beckmanns auf ihre Kosten kommen.