Serie: Max Beckmann, ein überraschender und fulminanter Dreiteiler (Teil 3/3)
von Claudia Schulmerich
Frankfurt (Weltexpresso) - Nun sind die Beckmannbilder da, wo sie hingehören, im Frankfurter Städel. Dem hätte Beckmann zumindest lange lange zugestimmt, denn Frankfurt war ihm in seinem durch die Nationalsozialisten verschuldeten Exil - ab 1937 gezwungenermaßen in Amsterdam, ab 1947/48 freiwillig und gerne in Amerika - in den Jahren von 1915 bis 1933 Heimat gewesen. Heimat war ihm das Städel durch seine Lehrtätigkeit als Professor an der Städelschule erst recht. Wenn man nun im ersten Raum der Ausstellung mit rund 110 Werken, gleich auf die 1917 in sanften Tönen gemalte, expressionistisch verstörende Kreuzabnahme stößt, die heute dem MoMa in New York gehört, ist man mitten drin im Thema Amerika. Wie das?
Amerika, so bekommt man auch im Folgenden mit, bedeutet in der Kombination mit Beckmann zwar in erster Linie sein in Amerika geschaffenes Oeuvre, dann auch seine lebenslange Sehnsucht nach der weiten Welt, aber Amerika heißt eben auch der Kunstmarkt, den die raffgierigen Nazis durch die Beschlagnahme von ‚entarteter Kunst‘ wie Beckmanns Bilder fütterten, was zur Folge hat, daß Beckmann in den amerikanischen Museen und Privatsammlungen hervorragend vertreten ist. Vor allem in Saint Louis, wohin er 1947 berufen wurde. Das dortige Museum hat den größten Beckmannfundus und dies auch deshalb, weil Georg Swarzenski seine Beckmannsammlung dem Museum vermachte.
Georg Swarzenski (1876-1957) ist derjenige, der die obige Kreuzabnahme für das Städel erworben hatte und bis zum Jahr 1919 schon dreizehn Bilder von Beckmann angekauft hatte und war Generaldirektor der Frankfurter Museen geworden. Er wurde wie Beckmann 1933 aus den öffentlichen Ämtern entlassen, konnte bis 1937 das private Städelche Kunstinstitut leiten und ging 1938 in die USA. Die beiden haben sich seit 1933 erst in Amerika wiedergesehen, wo Beckmann den alten Freund am 15. 12.1950, also 12 Tage vor seinem Tod am 27. Dezember gezeichnet hat, was ein Geschenk zu dessen 75. Lebensjahr sein sollte, wo Beckmann schon tot war.
Diese Zeichnung hängt nun in der Ausstellung und zeigt einen sehr nachdenklichen, durch das Leben gedrückten, aber auch widerständigen Mann, der wissend und müde durch uns hindurchsieht. Die Swarzenskis kann man in vielen Bildnissen in der Leipziger Ausstellung sehen, denn Beckmann verewigte im Bild seine Freunde wie auch die Battenbergs oft und malte sie auch in thematische Tableaus hinein. Swarzenski, die Kreuzabnahme und seine Porträts erlauben eine symptomatische Aussage zum Leben und Werk Beckmann: neben aller Entwicklung und der Einverleibung neuer Erfahrungen durch wechselnde Wohnorte, ja Kontinente, ändert sich zwar sein Malstil, aber der gedankliche, ja philosophische Ansatz, die Welt zu sehen, die Geheimnisse, die er mit den verrätselten Gegenständen und Handlungen auf Leinwand und Papier noch weitertreibt, das bleibt gleich, bleibt alte Welt und Europa und bleibt auch in den Figurendarstellungen auf bisherige Bewegungsmotive, Gesichter von Bekannten und Familie beschränkt
Wobei der Ausdruck ’beschränkt‘ hier das Gegenteil meint, nämlich eine Ausweitung in thematischer Vielfalt, aber immer mit demselben Grundpersonal und einer im Alter immer aggressiver, ja schreiend werdenden Farbpalette, die das Schwarz in ihre Schranken weist.
Das konnte uns die hier abgebildete Dame nahebringen, deren Schwestern Minna und Quappi in Leipzig hängen. Wie sehr das Werk Beckmanns durch die Zeiten ineinander verschränkt bleibt, fällt einem ununterbrochen auf, wenn man denkt, ach, dieses Bild aus Frankfurt hätte auch nach Basel gepaßt und dieses nach Leipzig und umgekehrt genauso.
Das spricht nicht gegen die Konzeptionen der Ausstellungen, die zwar unabhängig voneinander entstanden, aber uns nun vereint zeigen, welche großer Meister des 20. Jahrhunderts Max Beckmann war, nicht nur für Deutschland. Das spricht sogar für die Verteilung auf drei Orte und Themen, denn das Werk Beckmanns ist ein gewaltiges, von der Masse und dem Zugriff auf die Welt in Form von Gemälden, Zeichnungen und Kleinskulpturen, die in Frankfurt auch zu sehen sind.
Hier hängen auch drei der großformatigen Triptychen, deren erstes „Die Abfahrt“, schon 1935 entstand, von der Sehnsucht, wegzukommen genauso spricht wie von Freiheit und Knechtschaft und ihn 1947 in New York empfing, denn auch „Departure“ gehört dem MoMa. Wenn man ihm das letzte der neun Triptychen „Die Argonauten“ von 1950 gegenüberstellt, ist die Welt klarer und vergrößert dennoch noch immer die Rätselwelt von einst, mit Besatzung und Musikinstrumenten, mit barbusigen Frauen und richtigen Kerlen, einem Maler auch. Und vor allem dem Meer. Ein Stück Meer, ein wenig Horizont muß für Beckmann dabei sein.
Und wenn man hier auf diesen kleinen Streifen blickt, möchte man flugs wieder nach Basel fahren, wo „Die Landschaften“ uns auch den sehnsuchtsvollen Beckmann mit seinen Meeresbildern zeigt. Außerdem würde man diese Bilder mit denen von Leipzig und Frankfurt im Kopf und im Herzen wiederum anders sehen. Und dann die Leipziger auch. Und dann wieder Frankfurt. Beckmann ist einfach ein Kosmos, den man bereisen kann und soll.
Die Ausstellungen:
Max Beckmann. Die Landschaften im Kunstmuseum Basel bis zum 22. Januar 2012
www.kunstmuseumbasel.ch
Max Beckmann. Von Angesicht zu Angesicht im Museum der bildenden Künste Leipzig bis zum 22. Januar 2010
www.max-beckmann.info
Beckmann & Amerika im Städel Museum in Frankfurt am Main bis 8. Januar 2012
Alle drei Kataloge sind im HatjeCantz Verlag 2011 erschienen
Basel: Max Beckmann. Die Landschaften, hrsg. von Bernhard Mendes-Bürgi und Nina Peter
In diesem Katalog haben wir alle Beiträge gelesen. Das liegt daran, daß sie einerseits kurz, bebildert und großzügig gedruckt sind. Sage keiner, das sei dem Lesen nicht förderlich. Natürlich sind sie auch kenntnisreich. Aber doch auch lesbar für Nichtwissenschaftler, was nicht jeder Katalog hält. Uns besonders interessant „Max Beckmanns Nizza in Frankfurt am Main“ von Eva Demski. Sie weiß, daß dieses Stück Mainufer einst die Badeszene der Jugend war und beschreibt das Stadtbild, das mit Recht dem Genre Landschaft zugeordnet ist, so liebevoll wie es diesem besonders rührenden Bild zusteht.
Leipzig: Max Beckmann. Von Angesicht zu Angesicht, hrsg. von Susanne Petri und Hans-Werner Schmidt
Analog der umfangreichsten Ausstellungen, die Bildnisse vom Menschen sind einfach Beckmanns Ding, ist dies auch der dickste und schwerste Katalog Aber das wäre keine Empfehlung, wenn die vielen Seiten nicht auch wichtige Informationen und Reflektionen enthielten, von der Katalogfunktion, dem Abdruck der in der Ausstellung gezeigten Bilder ganz abgesehen. Auch diese wird ab Seite 77 erfüllt, allerdings empfiehlt es sich, die Texte zu lesen, denn die Werke sind nicht numerisch, also zahlengemäß hintereinander aufgeführt, sondern in Sinnzusammenhängen abgedruckt. Wo was steht, kann man dann in einem Extraverzeichnis am Schluß erkunden. Erhellend und darum ein echtes „Danke“ nach Leipzig, ist die Forschungsarbeit, die in Form von Biographien im Katalog und in der Ausstellung als Lesetexte Aufschluß darüber geben, wer die Personen sind, die Beckmann gemalt und mit denen er beruflich oder privat zu tun hatte. Oft treffen alle drei Kategorien in einer Person zusammen und auch das ist dann bei ihrer Beschreibung erwähnt. Hervorragend und sehr hilfreich.
Uns machte das Titelbild des Katalogs „ Von Angesicht zu Angesicht“ besonders Spaß. Es zeigt einen Ausschnitt von „Familienbild“ von 1920 mit Oma Tube im Sessel, ein Buch vor sich, die rechte Hand allerdings bedeckt vollständig ihr Gesicht mit den geschlossenen Augen, seine Frau Minna Tube-Beckmann sieht man dafür von hinten, ihr Haar richtend und uns durch den Spiegel betrachtend, den kleinen Peter am Boden lümmelnd, den Kopf in den Händen, was wir ebenfalls von hinten sehen und das Profil von Max Beckmann als Hornbläser mit einem nach innen gerichteten offenem Auge und der Kippe zwischen den Lippen. Von „Angesicht zu Angesicht“ ist hier gar nichts. Hier wollen die einen nicht gesehen werden, die anderen nichts sehen, und die eine andere mit attraktivem Hinterteil und Korsage betrachtet uns als Spiegelbild. Was will Beckmann mit diesem Bild sagen? Über seine Familie sagen? Uns sagen? Sprachlosigkeit oder innere Verbindung, die den Blick und die Wörter nicht braucht. Gewissermaßen ein Antiporträt.
Frankfurt: Beckmann & Amerika, hrsg. von Jutta Schütz
Dieser Katalog erhöht das Gewicht aller drei auf 4,8 kg! und steht dem Leipziger nur wenig nach. Inhaltlich gibt es Beiträge, die in der Literatur über Beckmann nicht häufig sind, wie „Beckmann und der abstrakte Expressionismus. Existenz im Raum“ von David Anfam. Daß Beckmann auch direkt zitiert wird, in seinen Reden in Amerika, Briefen und Ansprachen, ist schlüssig, weil noch niemals der kunsthistorische Focus auf seinem Amerikaaufenthalt ruhte, von dem wir nun wissen, daß er lange ersehnt war, was auch Stefana Sabin - „Und bin damit gewissermaßen schon halber Amerikaner“ –Beckmann zwischen ideeller Anpassung und realer Isolation – herausarbeitet. Im Katalogteil haben die abgedruckten 110 Werke jeweils ausführliche Begleittexte, wofür die Betrachter der Bilder und Käufer des Katalogs bei der oft rätselhaften Ikonographie Beckmanns auf ihre Kosten kommen.
In der Reihe „Kunst zum Hören“ hat HatjeCantz auch „Beckmann & Amerika“ herausgegeben. Es handelt sich um die intensive Beschreibung von Werken, die Sie im Bildbuch vor sich sehen.